Mediziner Volker Busch - Erkältungszeit gestartet! Was Ihr Immunsystem jetzt braucht, um Sie zu schützen

Die Zahl der Atemwegserkrankungen ist in diesem Jahr besonders hoch. Doch Vitamin-Pillen werden Sie davor nicht schützen<span class="copyright">Getty Images</span>
Die Zahl der Atemwegserkrankungen ist in diesem Jahr besonders hoch. Doch Vitamin-Pillen werden Sie davor nicht schützenGetty Images

Die Zahl der Atemwegserkrankungen ist in diesem Jahr besonders hoch. Viele greifen jetzt zu Nahrungsergänzungsmitteln, um ihr Immunsystem fit für den Herbst zu machen. Warum das gar nicht sinnvoll ist - und welche Maßnahmen wirklich vor einer Erkältung schützen.

Die Tage werden langsam kürzer und die Temperaturen fallen. Der Herbst steht bevor und mit ihm eine erhöhte Inzidenz an Erkältungskrankheiten und Grippe. Wie das Robert-Koch-Institut in seinem aktuellen Wochenbericht schreibt, liegt die Zahl der Atemwegserkrankungen auf einem höheren Niveau als sonst um diese Jahreszeit. Vor allem Rhino- und Coronaviren sind aktuell unterwegs. Wie können wir unser Immunsystem davor bestmöglich unterstützen?

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Viele Maßnahmen werden heute damit beworben, dass sie Ihre Immunabwehr „aktivieren“ oder „stimulieren“ sollen. Diesen vollmundigen Versprechungen liegen meist jedoch stark vereinfachte Vorstellungen zugrunde, die wissenschaftlich so nicht haltbar sind. Ihr Immunsystem ist nämlich ständig aktiv und bedarf für seine tägliche Arbeit zunächst einmal keines äußeren Anschubs. Eine Überstimulation wäre auch gar nicht wünschenswert, denn diese kann schwere Entzündungsreaktionen oder Autoimmunerkrankungen in Gang setzen oder aufrecht erhalten.

Dennoch können wir unser Immunsystem indirekt unterstützen, und zwar indem wir es schützen! Faktoren, die seine Funktion empfindlich beeinträchtigen können, sind beispielsweise

  • chronischer Stress

  • Nikotin

  • Fehlernährung

  • Schlafmangel

  • Bewegungsmangel

Die nachfolgende Zusammenstellung von Maßnahmen umfasst beispielhaft wissenschaftlich evidente Möglichkeiten, Ihr Immunsystem auf eine natürliche und sinnvolle Weise bei seiner täglichen Arbeit zu unterstützen.

1. Wer keinen Mangel hat, braucht keine Nahrungsergänzungsmittel

Zunächst einmal gilt: Vorsicht vor Nahrungsmittelergänzungen! Seit Jahren im Trend sind verschiedene Vitamintabletten und Mineralstoffpulver, die das Immunsystem angeblich „stimulieren“ sollen. Sie werden von der Industrie heute teils mit pseudoreligiösen Heilsversprechungen aufgeladen. Eine besonders freche Behauptung ist, dass sie Ihr Immunsystem nicht nur unterstützen, sondern sogar „aufbauen“ sollen. Das ist, gelinde gesagt, Humbug.

Ein Aufbau, im Sinne einer immunologischen Lernfunktion, geschieht nämlich ausschließlich durch die Auseinandersetzung mit Krankheitserregern oder Impfungen, nicht jedoch durch Vitamine oder Mineralstoffe. Auch Umkaloabo oder Ashwagandha „lehren“ Ihr Immunsystem nichts, auch wenn ihre wohlklingenden Namen mythische Naturkraft suggerieren.

 

Streng genommen gibt es für die Sinnhaftigkeit regelmäßiger Nahrungsmittelergänzungen, bis auf wenige Ausnahmen, praktisch keine Evidenz. Solange Sie keinen eklatanten Mangel an einem bestimmten Nährstoff aufweisen, wie dies beispielsweise

  • im Rahmen einer Schwangerschaft,

  • während einer Chemotherapie,

  • beim Hochleistungssport

  • oder bei Malabsorptionssyndromen

der Fall sein kann, sind sie verzichtbar.

Eine unkritische Einnahme hoher Dosen an Mikronährstoffen in Form von Pulver und Tabletten kann vielmehr das Risiko von Lungen- und Darmkrebs fördern, Hämochromatose (toxische Eisenablagerungen in der Leber) induzieren, die Blutgerinnung auf eine gefährliche Weise stören oder die Bildung von Gallen- und Nierensteinen begünstigen.

Neue Untersuchungen an knapp 400.000 Erwachsenen, die über die Dauer von 27 Jahren begleitet wurden, belegen, dass Nahrungsmittelergänzungen weder Morbidität noch Mortalität senken. Das allgemeine Sterberisiko liegt neuesten Auswertungen zufolge sogar um vier Prozent höher als ohne diese Mittel. Viel hilft eben nicht immer viel.

Genießen Sie am besten eine vielseitige und ausgewogene Mischkost, mit Betonung auf

  • frischem Obst und Gemüse (Antioxidanzien zum Abbau oxidativer Stoffwechselprodukte),

  • Vollkornprodukten (Ballaststoffe zur Unterstützung der natürlichen Darmflora)

  • und fetten Fischen (Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D)

Der gelegentliche Konsum von Fleisch beeinträchtigt das Immunsystem nicht. Bevorzugen Sie, wenn es irgend geht, naturbelassene Lebensmittel , die regional angebaut, frisch geerntet und nur kurz transportiert wurden.

Verzichten Sie auf Nikotin und hohe Mengen einfacher Zucker.

Denken Sie außerdem daran, ausreichend zu trinken. Die Evidenz von Wasser zur Unterstützung der allgemeinen Zellfunktion ist höher als von jedem Supplement.

2. Bewegung hilft bei der Abwehr von Krankheitserregern

Moderate sportliche Aktivität verbessert zahlreichen Studien zufolge verschiedene immunologische Zellfunktionen. So kommt es beispielsweise zu einem Anstieg verschiedener Immunglobuline, die zur Abwehr bestimmter Krankheitserreger notwendig sind. Regelmäßiger Sport erhöht nicht nur die Anzahl unspezifischer und spezifischer Abwehrzellen, sondern verbessert auch deren Funktion. Dadurch werden unter anderem körpereigene Entzündungsprozesse wirksamer unterdrückt.

Die Laborbefunde sind zusammengenommen vermutlich der Grund für die klinische Beobachtung , dass sportlich aktive Menschen seltener unter (Atemwegs-)Infekten leiden beziehungsweise sich von ihnen schneller wieder erholen. Gerade Menschen mit höherer Anfälligkeit diesbezüglich scheinen hier von Sport zu profitieren. Hohe Trainingsumfänge sind dabei nicht notwendig. Der gewünschte Effekt kann sich bei zu hoher und/oder häufiger sportiver Belastung sogar eher umkehren.

Sinnvoll sind drei bis vier Trainingseinheiten pro Woche , bei denen das Herz während der Betätigung in einer Frequenz von circa 120 bis 140 Schlägen pro Minute schlägt. Der Wert gilt nur als grobe Orientierung und ist abhängig von der Sportart und dem Alter der Person. Eine kardiale Ausbelastung muss jedenfalls nicht angestrebt werden, um das Immunsystem zu unterstützen.

Im Schnitt sitzen wir heute 9,2 Stunden täglich auf unserem Hintern. Die Tendenz ist seit Jahren zunehmend. Sorgen Sie daher für regelmäßige Bewegung im Alltag. Selbst Spaziergänge in der Natur zeigen eine nachweislich positive Wirkung. Wichtig ist, dass Sie sich gerne sportliche betätigen, denn nur dann werden Sie auch motiviert sein, Bewegung regelmäßig in Ihren Alltag zu integrieren.

 

3. Dauerhafter Stress verschlechtert die Immunabwehr

Sich einer anstrengenden Aufgabe zuzuwenden oder einmal unter Zeitdruck zu stehen, senkt nicht gleich unsere Immunkompetenz. Wissenschaftlich unbestritten ist jedoch, dass extremer oder chronisch anhaltender Stress die Immunabwehr signifikant verschlechtert.

So sind beispielsweise Infektionen der Atemwege bei Menschen mit starken oder wiederholten psychischen Belastungen höher, unter anderem weil die Produktion verschiedener Immunglobuline reduziert ist. Außerdem schütten Betroffene vermehrt Glukokortikoide aus, die immunsuppressiv wirken. Dadurch wird eine Ansteckung mit verschiedenen Krankheitserregern begünstigt und deren Abwehr erschwert . Man spricht von einem soenannten „Open-Window-Phänomen“. Der Stress „öffnet“ gewissermaßen das Fenster für Krankheitserreger.

Stress, ob in beruflichen oder privaten Alltagssituationen, kann niemand gänzlich vermeiden. Aber achten Sie darauf, in Phasen einer längerwährenden Belastung immer wieder zur Ruhe zu kommen. Wenden Sie sich auch an vollen Tagen für mindestens eine Stunde Dingen zu, die Ihnen Freude bereiten, ohne dass sie unter einem Leistungszwang oder Zeitdruck stattfinden.

Sobald Sie Ihre persönlichen Probleme oder Herausforderungen einmal für eine umschriebene Zeit vergessen und abschalten können, tritt eine neurovegetativ und endokrinologisch nachweisbare Entlastung auf, in der sich auch Ihr Immunsystem erholen kann.

4. Schlaf regeneriert das Immunsystem

Schlaf gehört zu den meist unterschätzten Schutzfunktionen für ein leistungsfähiges Immunsystem. Ein paar schlaflose Nächte sind kein Problem. Aber ein chronischer Schlafmangel kann das rasche Ansprechen Ihres Immunsystems auf Krankheitserreger oder Tumorzellen stören oder gar verhindern.

Eine suffiziente Schlafdauer mit ausreichendem Tiefschlafanteil wirkt sich dagegen positiv auf die allgemeine Abwehrleistung aus und zwar je nach Krankheitsprozess:

 

Versuchen Sie pro Nacht zwischen 6,5 und 8,5 Stunden zu schlafen. Ältere Menschen kommen gegebenenfalls mit etwas weniger Schlaf aus. Sie machen jedoch oft den Fehler, zu früh ins Bett zu gehen und dann bereits zwischen vier und fünf Uhr wieder aufzuwachen. Später ins Bett zu gehen, kann dann helfen, den Schlafdruck zu erhöhen.

Für eine Erholung des Immunsystems in der Nacht scheint die Tiefe des Schlafes jedoch letztlich wichtiger zu sein als dessen Länge. Falls Sie sich am Morgen nicht erholt fühlen, verbessern Sie zunächst die physikalischen Umgebungsbedingungen: Schlaf fällt nämlich bei ruhiger Umgebung, kühler Temperatur, frischer Luft und Dunkelheit nachweislich tiefer aus. 

Fazit

Durch regelmäßige Wartung und Pflege unseres PKWs können wir ihn zwar weder schneller noch leistungsfähiger machen als es von Seiten des Motors ausgelegt ist. Aber wir können dadurch kleinere Schäden beheben oder gegebenenfalls sogar im Vorfeld vermeiden. Das erhält langfristig die Lebensdauer und die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs.

Ähnlich verhält es sich mit unserem Immunsystem: Eine ausgewogene Ernährung, körperlich moderate aber regelmäßige Bewegung, ein guter Umgang mit Stress und Belastungen sowie ausreichend Schlaf gehören aber zu den wichtigsten Faktoren, die wir beeinflussen können, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Die beste Stärkung unseres Immunsystems besteht in Schutz und Pflege. Den Rest macht es von ganz allein.