Mehr Arbeit für Geflüchtete als Ziel - Jobturbo „völliger Schwachsinn“? Was Heil-Programm nach einem Jahr gebracht hat
Vor einem Jahr zündete Bundesarbeitsminister Heil (SPD) den Jobturbo – ein Programm, das die Erwerbstätigkeit unter Geflüchteten steigern soll. Die Bilanz nach einem Jahr fällt indes eher ernüchternd aus.
Im Oktober 2023 verkündete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Jobturbo. Wir wollen dafür sorgen, dass anerkannte Geflüchtete, die im Bürgergeld und arbeitsfähig sind, mit einem Jobturbo schneller in Arbeit gebracht werden“, sagte er damals bei der Vorstellung des Programms.
Der Hintergrund: Nur jeder vierte Flüchtling aus der Ukraine war in Deutschland zu diesem Zeitpunkt erwerbstätig. Im europäischen Vergleich lag die Bundesrepublik mit dieser Quote nur im Mittelfeld. In Großbritannien, Litauen und Dänemark hatte einem Forschungsbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mehr als jeder zweite ukrainische Flüchtling eine Arbeit.
Jetzt, ein Jahr später, ist Zeit für einen Kassensturz. Konnte der Jobturbo tatsächlich mehr Geflüchtete beim Einstieg die Erwerbstätigkeit unterstützen oder erwies er sich als Fehlzündung?
Ein Jahr Jobturbo: Wie hat sich Heils Programm auf Erwerbstätigkeit Geflüchteter ausgewirkt?
Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) lebten im September 2024 rund 531.000 erwerbstätige ukrainische Flüchtlinge und etwa 722.000 Geflüchtete aus den Top 8 Asylherkunftsländern, also Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien, in Deutschland.
Gemäß den aktuellsten Zahlen vom Juli waren 39,8 der ukrainischen und 40,7 Prozent der Flüchtlinge aus den Asylherkunftsländern arbeitslos. Die Beschäftigungsquote von Geflüchteten aus der Ukraine betrug 29,4 Prozent und die der Asylherkunftsländer 44,6 Prozent. Somit stieg die Quote im Vergleich zu Oktober 2023 unter ukrainischen Geflüchteten um 5,1 Prozent und unter jenen aus den Asylherkunftsländern um 1,6 Prozent.
„Völliger Schwachsinn“ oder „positive Entwicklung“?
Einem Turbo gleicht dieses Wachstum keineswegs, finden zumindest Mitarbeiter von Jobcentern und BA laut einem Bericht der „Welt“ vom Juli. Wie sie im Gespräch mit der Zeitung äußerten, hätten sie nie den Einfall gehabt, Heils Programm „Jobturbo“ zu nennen. Der Abteilungsleiter eines Jobcenters einer deutschen Großstadt bezeichnet diesen sogar als „völligen Schwachsinn“.
Die Nürnberger BA-Zentrale bewertet das allerdings anders. „Aktuell sehen wir – trotz der konjunkturell schwierigen Rahmenbedingungen – bei der Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen eine positive Entwicklung“, sagt die Zentrale zum „Handelsblatt“.
Laut Herbert Brücker vom IAB habe der Jobturbo zwar rund fünf Monate lang kaum Wirkung gezeigt, da der Winter für den Arbeitsmarkt ohnehin eine schwierige Zeit sei, erklärt er im Gespräch mit dem „Handelsblatt“. „Aber ab März sehen wir deutliche Effekte.“ Bei gleichbleibendem Beschäftigungs- sowie Bevölkerungswachstum prognostiziert Brücker für das Ende des Jahres eine Beschäftigungsquote von 35 Prozent unter Ukrainern und 48 Prozent unter den Geflüchteten aus Asylherkunftsländern.
Gründe für schleppende Einbindung von ukrainischen Flüchtlingen in Arbeitsmarkt
Weshalb die Einbindung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt nicht besser läuft – dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen sind die von der Nürnberger BA-Zentrale angedeutete konjunkturelle Schwäche sowie der Anstieg von Firmeninsolvenzen ausschlaggebend.
Fehlendes Wirtschaftswachstum wirkt sich derweil auch auf die Nachfrage nach Arbeitskräften aus. So ist nach Angaben des „Spiegels“ die Zahl der offenen Stellen seit zwei Jahren bis August 2024 um rund ein Fünftel gesunken. Die zurückgehende Nachfrage und der demografische Wandel ziehen einen langsameren Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach sich und die Arbeitslosigkeit nimmt zu.
Zum anderen ist der andauernde Zuzug nach Deutschland ein ausschlaggebender Faktor. Von Januar bis Juli 2024 kamen laut Zuwanderungsmonitor des IAB rund 710.000 Menschen nach Deutschland. Die meisten von ihnen (18 Prozent) stammten aus der Ukraine, 15 Prozent kamen aus den Top 8 Asylherkunftsländern.
Laut Brücker senke der Zuzug die Beschäftigungsquote. „Denn von der Ankunft bis zur Arbeitsaufnahme dauert es etwas“, sagt er.
Immer noch großer Zuzug nach Deutschland
Außerdem hat sich durch den Zuzug der Anteil der Geflüchteten aus der Ukraine, die Bürgergeld beziehen, seit Beginn des Jobturbos kaum verändert oder im Vergleich zu Flüchtlingen aus den Asylherkunftsländern vergrößert. Die Neuzugänge ins Bürgergeld übersteigen derweil die Einsparungen, die sich aus der Erwerbstätigkeit einiger Flüchtlinge aus dem von Russland attackierten Land ergeben. Auch die Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes Anfang des Jahres um 61 Euro für Alleinstehende und um 55 Euro für Partner in einer Bedarfsgemeinschaft spielt in diesem Kontext eine Rolle.
Fachkräftemangel auch in den Behörden
Darüber hinaus ist der Mangel an Fachkräften Behörden eine Jobturbo-Bremse. Das berichtet Kathleen Exner, die seit 17 Jahren bei der Bäckerei Exner arbeitet, im Gespräch mit der „Tagesschau“.
„Wir haben regelmäßig Bewerbungen von Flüchtlingen. Wir stellen regelmäßig Flüchtlinge ein, wir begleiten die, wir unterstützen die“, sagt Exner. Sie kritisiert, dass die Jobturbo-Idee nicht zu Ende gedacht sei, da die Behörden zu wenig Personal für die Umsetzung hätten. Das verlangsame das Einstellen von Geflüchteten.
Auch Jeanette Lucke, Geschäftsführerin der Neuen Linie Friseure in Brandenburg an der Havel, moniert den Fachkräftemangel in den Behörden. Sie ergänzt, dass der Prozess der Fachkräftegewinnung häufig viel Zeit verschlinge und die Kommunikation zwischen Betrieben und Arbeitsagentur ausbaufähig sei.
Angesichts dieser Entwicklungen bilanziert Stephan Stracke, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, nach einem Jahr Jobturbo im Interview mit dem „Handelsblatt“: „Wenn Heils Jobturbo weiter in diesem Schneckentempo verläuft, wird es noch rund zehn Jahre dauern, bis alle Ukrainer in Arbeit vermittelt sind.“