Meinungsbeitrag von Psychologin Lackner - Parteiprogramm unter der Lupe - wie die AfD beim Thema Gendern manipuliert

Was bedeutet der Aufstieg der AfD für die Wirtschaft im Osten? „Report Mainz“ zeigt es.<span class="copyright">IMAGO/dts Nachrichtenagentur</span>
Was bedeutet der Aufstieg der AfD für die Wirtschaft im Osten? „Report Mainz“ zeigt es.IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Psychologin Martina Lackner analysiert verschiedene Schwerpunkte aus dem Parteiprogramm der AfD und entlarvt dadurch psychologische Tricks der rechten Partei beim Thema Gendern.

Sehr geehrte Leserschaft, begleiten Sie mich heute erneut durch die Wirren des Parteiprogramms der AfD. In meinen Meinungsbeiträgen versuche ich, rechtsextreme Denkmuster und Haltungen aus einem psychologischen Blickwinkel zu analysieren, ihre Fallen und Widersprüche aufzudecken, einem Faktencheck zu unterziehen und psychologische Theorien dahinter dem geneigten Leser vorzustellen.

Heute betrachten wir den sogenannten „Genderwahn“, ein umgangssprachlicher Begriff, der oft despektierlich für alles rund um Gendern und Gender-Forschung verwendet wird.

Schwerpunkt: Rechtsextremismus und „Genderwahn“

Die AfD schreibt dazu: 

Die Gender-Forschung erfüllt nicht den Anspruch, der an seriöse Forschung gestellt werden muss. Ihre Methoden genügen nicht den Kriterien der Wissenschaft, da ihre Zielsetzung primär politisch motiviert ist. Bund und Länder dürfen daher keine Sondermittel für die Gender-Forschung mehr bereitstellen. Bestehende Genderprofessuren sollten nicht mehr nachbesetzt, laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängert werden. Viele der im Bereich des „Gender-Mainstreamings” vertretenen Ansichten widersprechen den Ergebnissen der Naturwissenschaft, der Entwicklungspsychologie und der Lebenserfahrung. 

 

Ende der 80er-Jahre, während meiner Studienzeit als Psychologin, war es in Diplomarbeiten und Dissertationen „usus“, qualitative Forschungsmethoden zu verwenden. Die Frauen- und Geschlechterforschung war von Anfang an eng mit qualitativen Forschungsmethoden verknüpft. Qualitative Untersuchungen basieren auf wissenschaftlichen Tools, mit denen Entscheidungen, Werte und Einstellungen erfragt und nach rekonstruktiven Methoden ausgewertet werden.

Das bedeutet, dass durch die Interpretation des Gesagten die Geschichte einer Person und die Bedeutung von Ungesagtem in einen Kontext gesetzt werden, um daraus Theorien und Annahmen abzuleiten. Qualitative Forschungsmethoden sind vor allem in der Psychologie und in den Sozialwissenschaften verbreitet und wurden erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt.

Sie sind somit kein alleiniges wissenschaftliches Werkzeug der Gender-Forschung, wie das Parteiprogramm der AfD suggeriert. Die Gender-Forschung hat sich dieser Methoden bedient, die bereits vor Beginn der Geschlechterforschung existierten und mittlerweile eine anerkannte wissenschaftliche Methode sind. Die Behauptung, die Methoden genügen nicht den Kriterien der Wissenschaft, ist daher völlig falsch.

Ebenso die Schlussfolgerung, dass die Gender-Forschung primär politisch motiviert sei. Die Entstehung dieser Methoden stand nie in einem politisch motivierten Zusammenhang. Es ging darum, menschliche Phänomene zu beobachten, zu beschreiben und zu verstehen.

Auszug aus dem  Parteiprogramm: Viele der im Bereich des „Gender-Mainstreamings” vertretenen Ansichten widersprechen den Ergebnissen der Naturwissenschaft, der Entwicklungspsychologie und der Lebenserfahrung.

Auch in diesem Satz des Parteiprogramms wird eine Unwahrheit behauptet.

"Gender-Mainstreaming ist eine Strategie zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Gender-Mainstreaming bedeutet, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Menschen aller Geschlechter bei allen Entscheidungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu berücksichtigen, um so die Gleichstellung durchzusetzen.“

Gender-Mainstreaming trifft im Wesenskern keine Aussage, die sich mit anderen Wissenschaften kreuzen könnte, weil sie eben eine Strategie ist. Man kann vermuten, dass der Verfasser unter Gender-Mainstreaming Gleichmacherei verstanden hat, die vermeintlich den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie widerspricht. Aber selbst diese Annahme ist falsch.

Die Entwicklungspsychologie spricht von einer geschlechtlichen Entwicklung, die sozial, kulturell und biologisch geformt wird. Das heißt, ein Individuum hat keine Wahl, in welche geschlechtliche Richtung es sich entwickelt. Und sie stellt keinesfalls die These auf, alle wären gleich. Entwicklungspsychologische Theorien behaupten genau das Gegenteil.

Und welche Ergebnisse aus der Naturwissenschaft könnten gemeint sein? Hier kann ich nur raten. Vermutlich geht es darum, dass es laut AfD nur zwei Geschlechter gibt. Rein biologisch gesehen, gibt es mehrere Geschlechter. Und Geschlechter sind einer Vielfalt unterworfen auch in Bezug auf ihre Identität, eine Laune der Natur: sowohl in Bezug auf ihre soziale Identität, oder auch auf ihre sexuelle Identität. Hier werden Gleichstellung mit Gleichmacherei verwechselt. Wir sind nicht gleich, aber trotz Ungleichheit gilt es, eine Chancengleichheit zu erreichen.

Daher ist die erste Hälfte im Parteiprogramm ebenfalls falsch: „Die Gender-Ideologie marginalisiert naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern und wirkt damit traditionellen Wertvorstellungen und spezifischen Geschlechterrollen in den Familien entgegen. Wir wenden uns daher gegen jede staatliche Förderung von ‚Gender-Studies‘.“

Was richtig ist: Gender-Ideologien richten sich gegen traditionelle Wertvorstellungen. Und zwar nicht, weil alle gleich sind oder sein sollten, sondern weil alle gleiche Chancen haben sollen. Das passt natürlich nicht in ein rassistisch-konservativ geprägtes Weltbild. Traditionelle Wertvorstellungen gehen von der Überlegenheit des Mannes aus und fordern damit zugleich die Anpassung und Unterordnung der Frauen. Und sie kennen nur zwei Geschlechter, alles andere ist abnormal.

Diese Wertvorstellungen sind eine Legitimation zur Machtausübung, zur Verletzung der allgemeinen Menschenrechte, zu Gewalt und Diskriminierung. Ein Verbot der Förderung von Gender-Studies würde bedeuten, dass Studiengänge verboten, keine Forschung mehr betrieben und jede Veröffentlichung, sei es eine wissenschaftliche Publikation, ein Artikel oder ein Buch, eingestellt würde. Erinnert Sie das an etwas? Bücherverbrennung im Dritten Reich.

Ist man erst auf dem Weg in diktatorische Verhältnisse, wird jede unliebsame Forschung verboten

Muss ich noch mehr sagen? Die Aussagen in diesem Kapitel sind inhaltlich falsch oder in einen anderen Kontext gesetzt. Wir wissen es nicht, aber es ist zu vermuten, dass der Verfasser dieses Kapitels keine fundierte Kenntnis von Gender-Forschung oder Gender-Mainstreaming hat. Oder aber sie werden zum Zwecke der Manipulation eingesetzt, um Wählerstimmen zu machen.

Wussten Sie, dass Antifeminismus und Gender-Ideologien besonders in Krisenzeiten dazu benutzt werden, das Feindbild „Frau“ und die Forschung darüber in der Gesellschaft noch mehr zu schüren und damit Stimmen bei bestimmten Wählern zu gewinnen? Wenn sich einige Menschen davon beeindrucken lassen, sind sie Opfer der Marketingmaschinerie und der Manipulationsstrategien dieser Partei geworden.

Übrigens selbst in demokratischen Parteien haben wir Manipulationsstrategien: auf der einen Seite wollen Parteien durch ihre Programme den jeweiligen Wählerwillen abbilden, aber letztendlich auch dadurch Macht erlangen. Wir sind daher immer Manipulationen ausgesetzt, um durch unsere Stimme ein System zu etablieren, das durch die verliehene Macht wieder Macht über uns ausübt. Demokratie ist die beste Regierungsform, die wir haben. Nichtsdestotrotz wird sie oftmals benutzt, um durch Wählerstimmen Macht zu erlangen, und diese wieder gegen das eigene Volk einzusetzen.

In der Psychologie spricht man von Machtmissbrauch, der aber in demokratischen Strukturen nicht gleich sichtbar wird. Er läuft im Verborgenen und subtil. Und da keine Gewalt oder Aggression im Spiel ist, sehen wir sie nicht. Genau das ist in den letzten Jahren passiert. Und eine Antwort darauf ist Rechtsextremismus. Ein Schmerz soll ausgelöscht werden und ein anderer Schmerz beginnt sich gerade zu etablieren.

Surftipp: Schwerpunkt Feminismus - AfD-Parteiprogramm unter der Lupe - ausgediente Konzepte versus aufgeklärte Moderne