Meinungsbeitrag von Psychologin Lackner - Parteiprogramm unter der Lupe (Teil 1) - wie sich die AfD das Thema Feminismus zurechtlegt

Alice Weidel und Tino Chrupalla. Die AfD-Spitze strebt einen Austritt aus dem rechten Parteienbündnis an und will damit einem Rauswurf zuvorkommen.<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Alice Weidel und Tino Chrupalla. Die AfD-Spitze strebt einen Austritt aus dem rechten Parteienbündnis an und will damit einem Rauswurf zuvorkommen.Kay Nietfeld/dpa

Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Psychologin Martina Lackner analysiert verschiedene Schwerpunkte aus dem Parteiprogramm der AfD und entlarvt dadurch psychologische Tricks der rechten Partei - zum Start beim Thema Feminismus.

Alle sprechen von der AfD und dem Rechtsextremismus, das Thema in Deutschland und Europa. Aber kennen Sie eigentlich das Parteiprogramm der AfD? Ich bisher dato nicht. Nun, das wird sich mit diesem Gastbeitrag und weiterer Beiträge ändern, denn ich würde Sie gerne unter einem psychologischen Blickwinkel auf Unwahrheiten, Verdrehung von Fakten und Reframing aufmerksam machen.

„Reframing“ ist ein Psychologiekonzept, indem man Situationen positiv umdeutet, um einen Zustand von Wohlbefinden zu erzeugen. Die AfD hat es geschafft, diesen Begriff für sich zu nutzen, allerdings in einem anderen Sinn, als das Konzept es ursprünglich vorsah. Das finden wir an mehreren Stellen. Reframing ist somit ein probates Mittel der rechten Partei.

Schwerpunkt Feminismus

Beginnen wir mit einem Reizthema: Feminismus. Was sagt das Parteiprogramm der AfD zu den Frauen und zur Familienpolitik und wo steckt das Reframing?

Auszug Parteiprogramm AfD: „Die Alternative für Deutschland setzt sich für eine Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene ein. In Deutschland kommen auf rund 700.000 Lebendgeburten pro Jahr ca. 100.000 Schwangerschaftsabbrüche. Dabei liegt nur bei drei bis vier Prozent eine medizinische oder kriminologische Indikation vor, in allen anderen Fällen wird der Schwangeren nach einer Beratung eine Bescheinigung ausgestellt, die ihr eine straffreie Abtreibung aus „sozialen Gründen“ ermöglicht. Ein Schwangerschaftsabbruch stellt eine einschneidende Erfahrung für die Betroffenen dar und kann zu langanhaltenden Schuldgefühlen, psychosomatischen Beschwerden oder depressiven Reaktionen führen.“  

An dieser Stelle muss ich als Psychologin auf diese „Verdrehung“ anspringen: eine Willkommenskultur für Neu-und Ungeborene, gefolgt von der Drohung von Schuldgefühlen und Depressionen. Alle Achtung: die Willkommenskultur hat schon bei den Flüchtlingen nicht funktioniert. Das Wort „Willkommenskultur“ steht hier für die positive Umdeutung des Begriffs „Abtreibungsverbot“.

Warum hat man sich für diesen sprachlichen Kunstgriff entschieden? Sehr wahrscheinlich, weil er ein Wohlgefühl hervorruft. Abtreibungsverbot ließe sich im Moment in Deutschland nicht gut verkaufen. Eine andere Art der Verdrehung, sind Halbwahrheiten, wie zum Beispiel die Thematik rund um Schuldgefühle, wie im Auszug erwähnt. Aus psychologischer Sicht kann ich das noch verstehen. Aber was hier der Vollständigkeit halber fehlt sind die psychischen Erkrankungen, die Frauen erleiden, wenn sie unter bestimmten Bedingungen Kinder bekommen, und ihnen dann ggf. Armut, Gewalt oder die Bürde der „Alleinerziehung“ drohen.

Wenn die Partei schon auf die psychologische Ebene geht, dann bitte nicht nur Teilwahrheiten, sondern akademisch richtig Sachverhalte darstellen.

Weiter im Text:

Auszug Parteiprogramm AfD: „Die aktuelle Familienpolitik in Deutschland wird bestimmt durch das politische Leitbild der voll erwerbstätigen Frau, so dass die Anzahl außerfamiliär betreuter Kleinkinder stetig ansteigt. Die sichere Bindung an eine verlässliche Bezugsperson ist aber die Voraussetzung für eine gesunde psychische Entwicklung kleiner Kinder und bildet die Grundlage für spätere Bindungs- und Beziehungsfähigkeit. Die AfD fordert daher, dass bei unter Dreijährigen eine Betreuung, die Bindung ermöglicht, im Vordergrund steht. Die Krippenbetreuung darf nicht einseitig staatlich bevorzugt werden. Stattdessen sollen die häusliche Erziehung und Fremdbetreuung gleichberechtigt nebeneinanderstehen.“

Diese Bindungstheorie, auf die man sich hier bezieht, ist aus grauen Vorzeiten. Ich habe Ende der 80er Jahre Psychologie studiert. Damals war die Bindungstheorie von Ainsworth und Bowlby hoch im Kurs. Sprich: Kinder brauchen Bezugspersonen und eine sichere Bindung, die verlässlich ist, damit sie seelisch gesund gedeihen und später nicht psychisch krank werden. Mit Bezugsperson war damals noch klar die Mutter gemeint. Das war aber vor mehr als 30 Jahren. Heute weiß man aus aktuellen Studien, dass unsichere Bindungen keinesfalls psychische Störungen im Erwachsenenalter hervorrufen müssen.

Hier kommen Faktoren wie Resilienz, Milieu, kultureller Hintergrund, usw. ins Spiel. Es gibt keine Bindungstheorie, die klar beweisen kann, dass eine verlässliche Bezugsperson die ultima ratio darstellt. Ein Narrativ, das man sich gerne weitererzählt. Und es gibt keine Studie, die beweisen würde, dass Mütter die besseren Bezugspersonen sind. Hier lässt der „Mütterorden“ grüßen. Das können genauso gut Väter wie Großeltern oder andere enge Bezugspersonen sein.

Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Eltern selbst psychisch instabil (Mütter wie Väter) sind, haben sie zu viel negativen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder. Sie bieten keine sicheren Bindungen an, weil sie es nicht können. Somit kann man nicht einfach so behaupten, dass alles gut wäre, wenn die Kleinkinder bei den Eltern besser aufgehoben wären, als in einer Kita. Und wenn wir der Faktenlage glauben, dass es in Deutschland einen Mangel an Psychotherapeuten gibt und damit verbunden lange Wartezeiten, müssen wir davon ausgehen, dass eine Menge Menschen in Deutschland psychische Probleme haben, also auch Eltern.

Und die AfD sieht Kinder gut aufgehoben bei verlässlichen Bezugspersonen, die im Zweifel selbst auf die Couch müssten. Also zurück in die 40er, als der Mütterorden „aktiv“ war.

Und weiter im Programm:

Auszug Parteiprogramm AfD: „Die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des „Gender-Mainstreaming”-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit. Die Wirtschaft will Frauen als Arbeitskraft. Ein falsch verstandener Feminismus schätzt einseitig Frauen im Erwerbsleben, nicht aber Frauen, die „nur” Mutter und Hausfrau sind. Diese erfahren häufig geringere Anerkennung und werden finanziell benachteiligt.“

Die Beurteilung von Frauen unterliegt in Deutschland einer größeren Bandbreite: wenn sie sich der „Care-Arbeit“ widmen, spricht man abfällig über die „nur Hausfrauen“. Und wenn sie aber Karrierepositionen anstreben, sind sie „karrieregeil“.

Die AfD hat hier sich klar für die Variante, der armen „nur Hausfrauen“ entschieden, die man doch bitte jetzt endlich aufwerten müsste. Wäre das ein Parteiprogramm der Linken gewesen, hätte hier vermutlich gestanden: „Frauen in Top-Positionen müssen die Möglichkeit haben, Vorstandspositionen einzunehmen, sonst sind sie benachteiligt.“ Aus psychologischer Sicht ist dies wieder nur eine Halbwahrheit, (abhängig von der Ideologie der jeweiligen Partei) und dann noch gleich mit emotionaler Tränendrüse geschrieben: weil sie finanziell benachteiligt sind. Ja klar, wenn sie nur Hausfrauen sind, sind sie abhängig vom Einkommen des Partners. Was sonst?

Aber was mir am meisten aufstößt ist der Auszug: „Die Individualität untergräbt die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.“

Also zurück ins Kollektiv, in die Reihe, wie beim Militär? Die Unterordnung bzw. Eingliederung der Frau in ein kollektives System, am besten unter den Mann. Keine individuelle Lebensentwürfe, keine Selbstverwirklichung? Übrigens trifft dieser Kollektivgedanke auch Männer: Stichwort Wehrpflicht. In einem Kollektiv heißt es marschieren, lieber Leser!

So auch diese Aussage: „Die Ehe als wertegebende Grundeinheit.“

Wenn sie so wertegebend ist, wie man das hier darstellt, warum funktionieren Ehen dann nicht immer? Weil der Wert sich nicht nur auf die Kindererziehung und Kinderbetreuung beziehen müsste, sondern auch auf einer Gemeinschaft basieren müsste, die Werte hochhält. Also keine Gewalt in den Ehen, keine Seitensprünge, Beziehungen auf Augenhöhe. Willkommen in der Realität, liebe AfD.

Liebe Leser:innen und Leser!

Das Kapitel aus dem Parteiprogramm wirkt ziemlich antiquiert, realitätsfremd, und mit keinem faktenbasierten Unterbau. Was ich als Leistung anerkennen muss: Reframing, das ist zwar nicht im Sinne des Erfinders, aber im negativen Sinne sehr gelungen. Und damit ich es nicht vergesse: Natürlich auch frauenfeindlich. Aber wir haben ja schon eingangs festgestellt, dass zu viel Feminismus Widerstand hervorruft.

Nur dürfen Sie eines nicht vergessen, denn die Gefahr liegt in der Luft: Heute geht es gegen die Frauen, morgen geht es wieder gegen Flüchtlinge und dann vielleicht gegen Sie als eigenständige, individuelle und „bunte“ Person? In einem rechtsextremen Weltbild ist nur der sicher, der von der Hautfarbe her weiß ist, männlich und Deutscher ist.

Nur noch mal der Vollständigkeit halber: wir haben zwar mittlerweile in Deutschland und in Europa auch einige weibliche Politikerinnen, die rechtsextreme Gedanken vertreten. Das scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Meine These dazu ist: Auch Frauen bedienen sich zunehmend männlicher gewaltvoller Machtprinzipien. Sie haben gelernt ... und zwar von männlichen Vorbildern wie man Macht gewinnt, verteidigt oder missbraucht.

Bitte prüfen Sie in Zukunft Parteiprogramme immer auf inhaltliche, fachliche Aussagen und subtile Zwischentöne und bilden Sie sich eine unabhängige Meinung!