Wenn Menschen für Maschinen schuften: Eine brisante TV-Doku blickt hinter die Perversionen im Silicon Valley

Die französische Filmemacherin Sandrine Rigaud deckt menschenverachtende Praktiken von Internet-Großkonzerne auf und weist nach, wie sehr Branchenriesen noch immer auf menschliche Hilfe angewiesen sind - selbst wenn sie die Beschäftigten übel ausnutzt.

Es ist eine stupide, nervenaufreibende Tätigkeit, die an Absurdität jedes fade Spielkonsolen-Daddelspiel in den Schatten stellt. Und doch ist es ein Job, der Menschenleben retten kann - und auf den eine ganze Industrie mit den auf dem Börsenparkett strahlenden Namen wie Amazon, Apple, Facebook, Google und Uber vertraut. Die Amerikanerin Dawn Carbone, Sozial-Hilfeempfängerin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern, markiert auf ihrem Laptop-Bildschirm acht Stunden pro Tag mehr oder weniger unscharfe Fotos von Passanten im Straßenverkehr. Aufgenommen wurden die Bilder von Fahrzeugkameras von Autos, die eigentlich autonome Verkehrsentscheidungen treffen sollten. Doch vorher müssen die Algorithmen erst trainiert werden, um Menschen von Schatten oder Straßenlaternen zu unterscheiden. Es ist ein Knochenjob, den Dawn Carbone, eine Klickarbeiterin, übernimmt. Und er bringt ihr nur an guten Tagen bis zu fünf Dollar pro Stunde; an den vielen schlechten sind es oft nur lausige zehn Cent.

Die französische Filmemacherin Sandrine Rigaud hat sich - unterstützt von mutigen Mitarbeitern, die auch mit Versteckter-Kamera-Technik arbeiteten - für ihre beklemmende Wirtschaftsdokumentation "Ghost Workers - Wie Klickarbeiter von Konzernen ausgebeutet werden", hinter die Kulissen der boomenden Silicon-Valley-Großunternehmen gedrängelt. ZDFinfo strahlt den sehenswerten Tatsachen-Beitrag am Dienstag, 23. Juni, um 20.15 Uhr, aus.

Mit der versteckten Kamera in die Höhle der Löwen

Die Star-Unternehmen der Branche, allen voran Facebook, wollten mit der forsch nachfragenden, europäische Maßstäbe von Arbeiterrechten und Menschenwürde anlegende TV-Journalistin natürlich nicht sprechen. Warum auch? Die Drecksjobs, so eine der zentralen Erkenntnisse des Investigativberichts zur besten Sendezeit, übernehmen ohnehin Subunternehmen, die zur strikten Verschwiegenheit verpflichtet sind. Telegene Unternehmer wie Facebook-Boss Mark Zuckerberg machen sich nicht die Finger schmutzig. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Völlig unabhängig von den gewichtigen ethischen, arbeitsrechtlichen und politischen Fragen, die die Doku aufwirft, ist ein Zeugnis besonders beschämend, das die nach außen gerne so stolze Silicon-Valley-Industrie in ihrem technologischen Kernverständnis trifft: Auch in Zeiten angeblich komplett selbstfahrender Autos und weltweit zusammengerückter Netzgemeinschaften ist das Rückgrat des Technik-Welterfolgs der Großunternehmen immer noch der Mensch. "Hier schuften Menschen für Maschinen - nicht andersherum", lautet Sandrine Rigauds Erkenntnis über die IT-Industrie an der US-Westküste. Dort spricht man gerne von Künstlicher Intelligenz. Doch auf moderne Arbeitssklaven wie Dawn Carbone oder den "Micro-Arbeiter" Jared Mansfield aus dem ländlichen Oregon kann man eben doch nicht verzichten.

Algorithmen sind hilflos - wenn ihnen nicht Menschen Entscheidungen abnehmen

Für oftmals in der Summe lediglich rund 30 Cent pro Stunde klickt sich Mansfield durch Computer-Testaufgaben, die ihm von dem Silicon-Valley-Unternehmen Figure Eight auf seinen Rechner gespielt werden. Er hilft dabei, algorithmische Prozesse zu verbessern, in dem er etwa Produktfotos, die Suchmaschinen gefunden haben, kritisch überprüft. Ein unverzichtbarer Dienst für Unternehmen wie Google & Co. Angemessene Bezahlung - sogar so etwas wie den gesetzlich vorgeschriebenen Stundenlohn - lassen sie für derartige niedrige menschliche Hilfsdienste allerdings nur sehr ungern springen.

Schlimmer noch: IT-Tester wie Carbone oder Mansfield, die oft vom heimischen Sofa aus arbeiten, sind schnell engagiert und ebenso schnell wieder freigestellt. "Ich bin doch kein Wegwerfartikel", beklagt sich die Klickarbeiterin. Und doch ist sie für ihre Auftraggeber genau das.

Auf der widerlichen Seite der Globalisierung

"Es entwickelt sich eine globale Arbeiterschaft", sagt die Medienwissenschaftlerin Janine Berg in der Dokumentation. Und die Globalisierung auch von Billig-Jobs bringt wenig Gutes. "Das große Angebot an Arbeitskraft drückt die Löhne." Doch mit dem Auslagern von stupiden, unterbezahlten Arbeiten an Freiwillige, die beliebig ausgetauscht und ersetzt werden können, unterlaufen die Großkonzerne, die die eigentlichen Profiteure im Hintergrund sind, nicht nur alle Fragen von wirtschaftlicher Verantwortung. Sie schieben auch alle ethischen Fragen weit von sich fort - an Subunternehmer. Und an willige Klick-Freiwillige.

"Ich fühle mich wie ein Roboter", klagt zum Schluss ein Computer-Arbeiter, der lange als sogenannter "Content Reviewer" tätig war und de facto für einen erbärmlichen Lohn mithelfen mussten, verstörende Bilder, allzu anstößige Formen von Gewalt, Sex und Missbrauch aus dem Netz und von den großen Plattformen zu putzen. An der mithin schauerlichen Tätigkeit ist Pedro, der im Film anonym bleiben möchte, fast zerbrochen. Für sich selbst hat er nur gelernt: Auszusteigen aus dem schwer traumatisierenden Job war die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Wer wird denn schon freiwillig zur Maschine?