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Was Menschen vom Impfen abhält und wie die Quote besser wird

«Vergleicht man die Verweigerer mit dem Rest der Ungeimpften, haben die Verweigerer eher Sicherheitsbedenken und halten die Impfung für überflüssig, da Covid-19 in ihrer Wahrnehmung keine Bedrohung darstellt.»
«Vergleicht man die Verweigerer mit dem Rest der Ungeimpften, haben die Verweigerer eher Sicherheitsbedenken und halten die Impfung für überflüssig, da Covid-19 in ihrer Wahrnehmung keine Bedrohung darstellt.»

Nachdem fast 45 Millionen Deutsche vollständig geimpft sind, geht hierzulande nun die Impfquote stark zurück. Weshalb sich Menschen gerade lieber nicht impfen lassen, hat verschiedene Gründe.

Berlin (dpa) - Steigende Inzidenzen wecken bei vielen Menschen Sorge vor einer vierten Corona-Welle im Herbst - auch angesichts des sinkenden Impftempos. Was über die Impfbereitschaft der Bevölkerung bekannt ist, und wie sich die Impfquote steigern ließe.

Wie viele Menschen in Deutschland sind derzeit ungeimpft?

Bis Mittwoch (4.8.) waren 53,6 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen (44,6 Millionen) vollständig geimpft. 62,1 Prozent (51,6 Millionen) hatten mindestens eine Impfdosis erhalten. Bei einer Gesamtbevölkerung ab 18 Jahren - der die Impfung generell empfohlen wird - von 69,4 Millionen bleiben knapp 18 Millionen Erwachsene, die noch keine Impfdosis bekommen haben.

«Auch wenn das Impftempo derzeit sinkt - die Impfbereitschaft ist in den vergangenen Monaten kontinuierlich gestiegen», sagt Cornelia Betsch von der Universität Erfurt. Sie leitet die Cosmo-Studie, die seit März 2020 alle zwei Wochen knapp 1000 Erwachsene im Alter bis 74 Jahre zur Corona-Pandemie befragt - zuletzt Mitte Juli.

Was weiß man über die ungeimpften Menschen?

«Mit dem Alter steigen die Impfquoten», sagt Nora Schmid-Küpke, die am Robert Koch-Institut (RKI) die Covimo-Studie zur Covid-19-Impfbereitschaft und -akzeptanz leitet. «Das liegt natürlich auch daran, dass wir am Anfang eine priorisierte Vergabe von Impfstoffen hatten» - also dass sich Ältere schon früher impfen lassen konnten.

In der Cosmo-Studie wollten sich Mitte Juli 10 Prozent der Teilnehmer keinesfalls impfen lassen. Diese «Verweigerer» entsprachen 41 Prozent der ungeimpften Teilnehmer. Die übrigen Ungeimpften wollen sich entweder noch impfen lassen oder sind unsicher oder zögerlich. «Vergleicht man die Verweigerer mit dem Rest der Ungeimpften, haben die Verweigerer eher Sicherheitsbedenken und halten die Impfung für überflüssig, da Covid-19 in ihrer Wahrnehmung keine Bedrohung darstellt», so die Cosmo-Studie.

Was ist über die Gründe der Impfskepsis bekannt?

Die Gründe sind vielfältig. Den typischen Ungeimpften gebe es ebenso wenig wie den typischen Geimpften, betont Schmid-Küpke.

Der Hauptgrund sei fehlendes Vertrauen vor allem in die Sicherheit der Impfung, sagt die Erfurter Psychologin Betsch. Zudem glaubt ein großer Teil der Befragten («Trittbrettfahrer»), man brauche sich nicht impfen zu lassen, wenn genügend andere das tun. «Statt selbst tätig zu werden, verlässt man sich lieber auf andere», sagt Betsch. Darüber hinaus sehen manche Menschen in Sars-CoV-2 keine Bedrohung für sich selbst.

Ein weiterer Grund: Die Schutzwirkung der Impfung wird von vielen Ungeimpften deutlich unterschätzt, auf unter 50 Prozent. Tatsächlich liegt der Schutz vor einer Hospitalisierung laut RKI bei mehr als 90 Prozent - auch bei der Delta-Variante. «Dass die Impfung sowohl mit dem Impfstoff von Biontech als auch mit dem von Astrazeneca nahezu sicher vor Krankenhausaufenthalten schützt, sollte nachdrücklicher kommuniziert werden», rät die Cosmo-Studie.

Ein sehr wichtiger Faktor ist - salopp formuliert - Bequemlichkeit: Stress, Zeitnot und strukturelle Hürden halten viele Menschen davon ab, sich um einen Impftermin zu kümmern. Viele von ihnen könne man durch niedrigschwellige Angebote erreichen, heißt es in der Cosmo-Studie.

Welche Rolle spielt das Geschlecht?

Hier kommen bei Frauen und Männern unterschiedliche Faktoren zum Tragen. «Bei Frauen ist das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung etwas niedriger», sagt Betsch. So halte sich etwa hartnäckig der Mythos, die Impfung beeinträchtige die Fruchtbarkeit. Männer würden dagegen eher durch praktische Hürden zurückgehalten.

Gibt es eine geringe Impfbereitschaft in bestimmten Branchen wie der Pflege?

Dafür liefern die Covimo-Daten keine Anhaltspunkte, bisher erfasste Unterschiede in den Quoten sieht Schmid-Küpke vor allem durch die anfängliche Impfreihenfolge bedingt. Auch Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher seien ihren Daten zufolge größtenteils geimpft. Für Krankenhauspersonal belegte eine RKI-Befragung, dass bereits im April sehr hohe Impfquoten erreicht wurden.

Wie ist die Impfbereitschaft bei Menschen, die kaum Deutsch sprechen?

Das lässt sich schwer sagen, weil Deutsch-Kenntnisse in vielen Erhebungen Voraussetzung sind. «Wir sehen bisher, dass Personen ohne Migrationshintergrund etwas besser geimpft sind als jene mit», sagte Schmid-Küpke. Die Herkunft sei aber nicht allein der bestimmende Faktor - vielmehr müssten verschiedene Punkte wie Alter, Geschlecht, Region oder Beruf gemeinsam betrachtet werden.

Wie viel Potenzial für Impfungen gibt es noch unter den Ungeimpften?

Aufgrund der Resultate der Cosmo-Studie hält die Psychologin Betsch eine Impfquote um 80 Prozent in der befragten Altersgruppe (18 bis 74 Jahre) für möglich. Sie betont jedoch, dieser Maximalwert sei nur schwer erreichbar. Aber: «Schon 10 Prozent mehr Impfbereitschaft können einen großen Unterschied machen.» Uwe Wagschal von der Universität Freiburg, der die Befragung «Politikpanel Deutschland» leitet, geht von einer tendenziellen Impfbereitschaft von mehr als 80 Prozent der Erwachsenen aus.

Bei älteren Menschen sieht Betsch nur noch wenig Potenzial. «Besonders in der Gruppe der älteren Befragten über 60 sind fast alle Impfwilligen bereits geimpft», heißt es in der Cosmo-Studie. «Wer jetzt noch ungeimpft ist, will es auch eher nicht.» Auch RKI-Expertin Schmid-Küpke betont, bei Menschen über 60 gebe es nur noch eine kleine Lücke. Eine größere Chance, impfbereite oder unentschlossene Menschen noch zu erreichen, bestehe bei den 18- bis 59-Jährigen.

Schmid-Küpke ist optimistisch, dass die vom RKI ausgegebenen Zielimpfquoten erreicht werden können: Demnach sollten mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Senioren ab 60 vollständig geimpft sein. Würden diese Quoten rechtzeitig erreicht, scheine «eine ausgeprägte vierte Welle im kommenden Herbst/Winter unwahrscheinlich», hatte das Institut Anfang Juli erklärt.

Welche konkreten Maßnahmen könnten die Impfquote steigern?

Gerade jüngeren Menschen mit eher geringer Risikowahrnehmung müsse man die Impfung so leicht wie möglich machen, sagt Schmid-Küpke. «Impfen quasi im Vorbeigehen», wie das etwa bei Ikea in Berlin gemacht werde. Die Cosmo-Studie stellt fest: «Wer kein Verweigerer ist, fühlt sich eher von praktischen Barrieren vom Impfen abgehalten.» Sie rät: «Praktische Barrieren sollten abgebaut werden», der Zugang zu Impfungen sollte «so einfach wie möglich sein» - etwa in Apotheken oder Einkaufszentren, aber auch am Arbeitsplatz und im Bildungssektor. «So können große Gruppen mit vielen Kontakten erreicht werden und der Aufwand, an eine Impfung zu kommen, wird drastisch reduziert.» Dadurch erreiche man neben jüngeren Menschen besonders Männer, Menschen mit Kindern, niedrigerer Bildung oder Migrationshintergrund.

Wie stehen die Menschen zu einer Impfpflicht?

«Aktuell sind nur etwa 14 Prozent der Befragten eindeutig für eine allgemeine Impfpflicht (starke Zustimmung)», heißt es nach der jüngsten Cosmo-Befragung Mitte Juli. «Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung.» Grundsätzlich könne eine Impfpflicht für viel Ärger sorgen und letztlich kontraproduktiv sein, betont Betsch: «Die Leute könnten sich aus Ärger organisieren, um gegen Corona-Maßnahmen zu protestieren - wie jüngst in Frankreich. Möglicherweise unterlassen sie dann andere Schutzmaßnahmen und lehnen auch andere Impfungen ab. Dann hätten wir nichts gewonnen.»

Auch der Freiburger Politologe Wagschal sieht eine Impfpflicht kritisch, nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen: «Solche Zwangsmaßnahmen passen nicht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat», betont er. Man solle eher positive Anreize und niedrigschwellige Impfangebote für schwer erreichbare Gruppen verbessern. Auch könnte es eine bessere Aufklärung in verschiedenen Sprachen geben.