Werbung

"Mercy On Me": Ein Comic-Tribut an Nick Cave

Direkt jugendlich wirkte Nick Cave nicht einmal in den frühen Jahren seiner Karriere , doch trotzdem immer auch irgendwie alterslos. Da mutet es schon etwas merkwürdig an, dass die Indie-Ikone nun ihren 60. Geburtstag feiert. Immerhin ein Anlass, dem Meister der düsteren Songwriting-Kunst auf die eine oder andere Weise Tribut zu zollen. Einen interessanten Beitrag liefert dabei Comic-Künstler Reinhard Kleist, der in seinen Biografien gerne mal die Grenzen von Realität und Fiktion verwischt. Genau die richtige Herangehensweise an Cave, den ohnehin stets der Hauch des Rätselhaften umweht.

In „Nick Cave – Mercy On Me“ (Carlsen, 328 Seiten, 24,99 Euro) verwebt Kleist Episoden aus Caves Leben mit den Stories seiner morbiden Lyrics, der rastlose Musiker wird ebenso unsteten Alter Egos als Revolvermann, Pirat oder Mörder gegenübergestellt. Eine umfassende Schau auf Leben und Werk kann der Comic mit dieser episodenhaften Erzählweise nicht bieten, und will das auch gar nicht. Stattdessen werden schlaglichtartig die wichtigsten Abschnitte aus Caves Werdegang hervorgehoben: Seine Wurzeln in der australischen Punk-Szene, die Anläufe zum großen Durchbruch und die ersten Höhenflüge mit den Bad Seeds. Zeiten, die von künstlerischer Rastlosigkeit geprägt waren und einem ebenso nomadenhaften Leben zwischen Hotspots wie London, Westberlin und São Paulo.

Die späteren sesshaften Zeiten sind dagegen kaum von Interesse: Die einzige Frau, die eine größere Rolle spielt, ist Caves frühe Freundin und Muse Anita Lane – abgesehen natürlich von Elisa Day, die er dort ermordet, wo die wilden Rosen wachsen. Spätere Beziehungen und sein Familienleben werden nur kurz am Rande dargestellt, der tragische Verlust seines Sohnes ganz ausgespart. Statt Aufarbeitung ist Mythenbildung angesagt – dazu gehört gerade auch, dass Caves Drogensucht als Kehrseite der Medaille viel Raum bekommt, denn welche Rocker-Vita wäre ohne den Absturz komplett?

Eine bessere formale Umsetzung als Kleists expressiven Zeichenstil kann man sich dabei kaum vorstellen. Die kraftvolle Linienführung und der Mut zum flächendeckenden Schwarz bringen die zerklüfteten Landschaften aus Caves Texten ebensogut zur Geltung wie die urbanen Dschungel, in denen er sich bevorzugt tummelt und die Hexenkessel der berühmt-berüchtigten frühen Konzerte.

Wer auf einen dokumentarischen Ansatz aus ist, sollte lieber woanders weitersuchen. Fans dürfen dafür in einer Liebeserklärung eines Gleichgesinnten schmökern, die auf ihre Weise vielleicht tatsächlich „näher an der Wahrheit als jede Biografie“ ist, wie Cage im Klappentext bekundet. Neben dem Comic ist mit „Nick Cave & The Bad Seeds“ (Carlsen, 96 Seiten, 24,99 Euro) auch ein Artbook Kleists im imposanten LP-Format erschienen.