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Merkel bittet in Coronavirus-Krise um Geduld

Auch wenn die Ungeduld der Menschen wächst: Die Bundesregierung dämpft die Hoffnung auf eine schnelle Lockerung der Regeln im Kampf gegen das Coronavirus. Die Kanzlerin meldet sich mit einer persönlichen Botschaft aus der Quarantäne.

Dieses Mal wandte sich die Bundeskanzlerin nicht via Fernsehen an Deutschland, sondern sie sprach in einem Podcast über aktuelle Entwicklungen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand / dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Dieses Mal wandte sich die Bundeskanzlerin nicht via Fernsehen an Deutschland, sondern sie sprach in einem Podcast über aktuelle Entwicklungen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand / dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Zu Hause bleiben, Kontakte vermeiden - und geduldig bleiben: Kanzlerin Angela Merkel hat die Bürger um weitere Mithilfe im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus gebeten. Angesichts immer noch zu schnell steigender Infektionszahlen stellt die Bundesregierung klar, dass Einschränkungen vorerst bestehen bleiben - bis mindestens 20. April, also eine Woche nach Ostern.

Bisher zeigen sich die Menschen überwiegend einsichtig: Trotz Frühlingswetters von der Ostsee bis zu den Alpen musste die Polizei bei Kontrollen nur vereinzelt einschreiten. Polizeiberichten zufolge lag der Schwerpunkt der Kontrollen auf Grünanlagen.

Keine schnellen Lockerungen

Die Kanzlerin wandte sich am Samstag per Podcast aus der häuslichen Quarantäne an die Bürger: «Niemand kann heute mit gutem Gewissen sagen, er wisse, wie lange diese schwere Zeit anhält.» Noch gebe es keinen Grund, die Regeln zu lockern. «Ich muss Sie bitten, seien Sie geduldig.» Derzeit verdopple sich die Zahl der Neuinfektionen etwa alle fünfeinhalb Tage. Dieser Zeitraum müsse in Richtung von zehn Tagen gehen, um das Gesundheitssystem nicht zu überfordern. «Jeder, der die Regeln befolgt, kann jetzt ein Lebensretter sein.» Weil Merkel Kontakt zu einem infizierten Arzt hatte, bleibt sie derzeit zu Hause. Auch sie freue sich wieder auf «Kontakt und Nähe», sagte sie.

Kanzleramtschef Helge Braun betonte, dass es vor dem 20. April keine Lockerungen geben werde. «Bis dahin bleiben alle Maßnahmen bestehen», sagte der CDU-Politiker dem «Tagesspiegel». Die am 22. März von Merkel und den Ländern beschlossenen Kontaktbeschränkungen seien für mindestens zwei Wochen verhängt worden, sagte Braun. In der kommenden Woche würden Bund und Länder die Entwicklung der Neuinfektionen bewerten, sagte Braun der dpa. Bis heute gebe diese keinen Anlass, eine Aufhebung von Maßnahmen zu erwägen. Leitlinien vom 16. März etwa zur Schließung von Geschäften, Spielplätzen und Kirchen gelten ohnehin bis zum 20. April, nach Ende der Osterferien. Viele Länder haben auch Kontaktbeschränkungen schon bis 20. April verhängt.

Wege aus dem Krisenmodus

Die Europäische Kommission arbeitet an einer Exit-Strategie aller EU-Staaten zur schrittweisen Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen. Mit Experten prüfe sie, «wann wir nach und nach die Maßnahmen der "sozialen Distanz" wieder lockern könnten», sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen der Deutschen Presse-Agentur. «Wir vertrauen auf den Rat von Medizinern, aber auch von Wirtschaftsfachleuten, die sich mit Lieferketten auskennen.» Einen Zeitrahmen könne heute aber niemand präzise vorhersagen.

Um das Virus effektiver zu bekämpfen, hätte jeder zweite Deutsche nichts gegen die Nutzung von Handy-Daten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa sagten 50 Prozent, sie hielten die Ortung von Kontaktpersonen von Infizierten über die Standortdaten für sinnvoll. 38 Prozent fänden das unangemessen, 12 Prozent machten keine Angaben. Überlegungen gibt es etwa zu einer App, die man freiwillig nutzt.

Zahl der Infizierten und Toten steigt weiter

Weltweit steigen die Zahlen der mit dem Coronavirus Infizierten und der Todesfälle. In Deutschland wurden bis Samstagnachmittag mehr als 52 100 Infektionen registriert. Besonders hohe Zahlen haben Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Gerechnet auf 100 000 Einwohner verzeichnet Hamburg mit einem Wert von 105,1 die meisten Infektionen - im Bundesschnitt sind es 62,7. Mehr als 366 mit Sars-CoV-2 Infizierte sind den Angaben zufolge bislang bundesweit gestorben. Zudem starben mehrere Deutsche im Ausland im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion.

In Europa besonders schwer vom Coronavirus betroffen sind Italien und Spanien. Der italienische Zivilschutz meldete am Samstag 889 neue Todesfälle. Damit sind in dem Land seit Beginn der Pandemie 10 023 Corona-Patienten gestorben - das ist die höchste Zahl weltweit. In Spanien wurden innerhalb von 24 Stunden 832 neue Todesopfer verzeichnet.

Weltweit haben sich nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität fast 650 000 Menschen nachweislich mit dem neuen Coronavirus infiziert. Demnach starben mittlerweile mehr als 30 000 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19, die das Virus Sars-CoV-2 auslösen kann. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Auch Südkorea meldete wieder mehr Neuinfektionen. Am Freitag seien 146 Fälle festgestellt worden, teilten die Behörden mit. Im März hatte sich ein deutlicher Abwärtstrend eingestellt, das Land gilt vielen als Vorbild im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus.

Kritik an Wirtschaftshilfen, Altmaier antwortet

Handwerk, Reisebranche und Familienunternehmen beklagen mangelnde Unterstützung und eine Förderlücke in der Krise. «In dieser Extremlage brauchen neben den kleinen Betrieben auch solche mit mehr als zehn Mitarbeitern Soforthilfen», sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer der dpa. Weite Teile des Mittelstandes fielen durch das Raster von direkten Zuschüssen. Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Reiseverband (DRV). Ein Großteil der Unternehmen in der Reisewirtschaft falle unter die Größenordnung zwischen 10 und 250 Mitarbeitern - für diese Gruppe werde zu wenig gemacht.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versuchte, die Kritik zu entschärfen: «Wir helfen mit umfassenden Maßnahmen der gesamten Wirtschaft von klein bis groß und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit dieser Extremsituation umzugehen», heißt es in einem Brief Altmaiers an Wirtschaftsverbände. Die bisher vereinbarten Maßnahmen bildeten das wohl umfassendste Hilfs- und Schutzprogramm in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Die Nachfrage nach Unterstützung ist derweil groß. Wie die «Bild»-Zeitung berichtete, sind bei den zuständigen Stellen binnen weniger Tage mindestens 360 000 Anträge auf Soforthilfe von Selbstständigen und Kleinunternehmern eingegangen. Die Bundesländer hätten bislang 138,5 Millionen Euro zur Zahlung angewiesen.

Beschränkungen erhöhen Risiko für häusliche Gewalt

Die Ausgangsbeschränkungen lassen die Sorge vor häuslicher Gewalt wachsen. Berichte zeigten, dass Kinder und Frauen derzeit in den eigenen vier Wänden einem höheren Missbrauchsrisiko ausgesetzt seien, sagte die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić, der dpa. Neben dem Gewaltrisiko könne die Krise die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen bedrohen. Auch deutsche Experten sind alarmiert und sehen vor allem Kinder in Gefahr. Bund und Länder wollen etwa Hilfstelefone am Laufen halten oder prüfen, ob leere Hotels Schutz bieten können, wenn Frauenhäuser überfüllt sind.

Sportvereine in Not

Für Basketball, Eishockey, Handball oder Volleyball ist die Existenzbedrohung angesichts der Corona-Krise nach Meinung des Beratungsexperten Karsten Petry weitaus größer als im Fußball. «Die Clubs in den Profiligen unterhalb des Fußballs sind definitiv in der Existenz bedroht - viel mehr als die des Fußballs. Da sehe ich ein paar Vereine, die nicht überleben werden, sollte alles so bleiben, wie es ist, was ihre finanziellen Verpflichtungen angeht», sagte Petry der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (Samstag).

Patienten aus anderen Ländern in Deutschland zur Behandlung

Wegen der dramatischen Notlage norditalienischer Krankenhäuser in der Corona-Krise bringt die Luftwaffe Patienten zur Behandlung nach Deutschland. Der Airbus A310 MedEvac, die fliegende Intensivstation der Bundeswehr, brachte sechs schwer erkrankten Italiener aus Bergamo nach Nordrhein-Westfalen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, bislang seien 73 Krankenhausplätze für italienische Patienten in acht Bundesländern vermittelt worden. Zudem würden bereits 30 französische Patienten in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen behandelt, mindestens 50 Plätze seien Frankreich angeboten worden. Auch Berlin nimmt sechs Corona-Patienten aus Frankreich auf.

Sorge um die Zusammenarbeit in der EU

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fürchtet in der Corona-Krise um den Zusammenhalt der Europäischen Union. Nach der Einführung von Grenzkontrollen habe das Schengen-Abkommen für freien Reiseverkehr auf der Kippe gestanden, sagte sie der dpa. Nun sähen alle, dass sich die Staaten durch extreme Abschottung selbst am meisten schadeten. In dieser großen Krise liege «auch die Chance, dass sich Europa noch einmal neu erfindet», sagte von der Leyen.