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Vor 30 Jahren: Historische Flucht von DDR-Bürgern aus Ungarn

Massenflucht am 18. August 1989: DDR-Bürger drängen mit ihren Kindern durch das geöffnete Grenztor von Ungarn aus nach Österreich. Foto: Votava/Archiv
Massenflucht am 18. August 1989: DDR-Bürger drängen mit ihren Kindern durch das geöffnete Grenztor von Ungarn aus nach Österreich. Foto: Votava/Archiv

Ein Picknick wurde im August 1989 zur historischen Massenflucht - und läutete das Ende der DDR ein. Nun gedenken Ungarn und Deutschland gemeinsam des Tages, an dem 600 DDR-Bürger nach Westen flüchteten. Regierungschef Orban nutzt den Gedenkakt mit Kanzlerin Merkel für überraschend freundliche Worte.

Sopron (dpa) - Mit überraschend viel Lob für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und einem Bekenntnis zur stetigen Arbeit am Zusammenhalt der EU hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban versucht, das angespannte Verhältnis beider Staaten zu entkrampfen.

Merkel genieße «die Wertschätzung der ungarischen Nation», zumal sie stets für den europäischen Zusammenhalt gearbeitet habe und mehrfach zur Bundeskanzlerin gewählt wurde, sagte Orban bei einem Festakt aus Anlass des 30. Jahrestags der ersten Massenflucht von DDR-Bürgern über die ungarische Grenze nach Österreich. Deutschland und Ungarn verbinde ein «besonderes Verhältnis», so Orban.

Merkel ihrerseits dankte den Ungarn für die Unterstützung bei der Öffnung der Grenzen 1989 und bei der folgenden Deutschen Einheit. Das durch die ungarische Seite ermöglichte Paneuropäische Picknick sei zum Symbol für die großen Freiheitsbewegungen damals geworden, sagte Merkel. «Aus dem Picknick wurde die größte Massenflucht aus der DDR seit dem Bau der Mauer 1961. Aus dem Picknick wurde ein Weltereignis.»

Mehr als 600 DDR-Bürgern war am 19. August 1989 die Flucht über die anlässlich des Picknicks kurzzeitig geöffnete Grenze gelungen. Das Geschehen war der Vorbote zum Fall der Berliner Mauer im November.

Zugleich mahnte die Kanzlerin die Verteidigung europäischer Werte an. «Sopron ist ein Beispiel dafür, wie viel wir Europäer erreichen können, wenn wir für unsere unteilbaren Werte mutig einstehen», sagte Merkel in der Evangelischen Kirche von Sopron. Zentrale politische Fähigkeit sei der Wille zum Kompromiss. «Wir sollten uns stets bewusst sein, dass nationales Wohl immer auch vom europäischen Gemeinwohl abhängt.»

Ungarn gehört zu den EU-Ländern, die gerade in der Migrationsfrage ihre nationale Interessen bisher unnachgiebig verteidigen. «Es verlangt auch manchmal, über den eigenen Schatten zu springen, um gemeinsam der Verantwortung für Europa und auch für die Welt gerecht zu werden», mahnte die deutsche Regierungschefin.

Orban erinnerte daran, dass die Ungarn immer gewusst hätten, dass die eigene Befreiung von den Sowjets nur durch die deutsche Wiedervereinigung gelingen könne. Der politische Schwung dieses Schritts habe den EU- und Nato-Beitritt Ungarns ermöglicht.

Die Einheit Europas solle nie als «vollendet» betrachtet werden, betonte Orban. Vielmehr müsse sie «von Konflikt zu Konflikt» stets neu erschaffen werden, sagte der rechtsnationale ungarische Regierungschef mit Blick auf die Abkühlung des deutsch-ungarischen Verhältnisses wegen des Streits um die Migrationspolitik. Orban fährt seit Jahren einen strikten Anti-Zuwanderungs-Kurs. Deutschland kritisiert seinerseits die illiberalen Tendenzen in Ungarn.

Orban drückte bei dem Treffen mit Merkel seine Hoffnung aus, dass sich die belasteten Beziehungen seiner Regierung zur EU-Kommission unter der künftigen Führung von Ursula von der Leyen verbessern. Nach einem kürzlichen Gespräch mit von der Leyen sei er optimistisch, dass ein Neustart gelingen könne. «Es existiert ein neues Gleis statt alter Strukturen. Das ist auf jeden Fall ermutigend», sagte Orban.

Der Abbau des Grenzzauns vor 30 Jahren habe auf die «Freiheit» der Bürger des damaligen Ostblocks abgezielt. Der Bau des neuen Zauns an den Grenzen zu Serbien und Kroatien 2015 diene der «Freiheit und Sicherheit» der Europäer, sagte Orban weiter. Er rechne mit neuem Migrationsdruck. «Wir haben jetzt an den südlichen Grenzen Mauern gebaut, damit jene Deutschen, für die wir vor 30 Jahren Mauern abgebaut wurden, heute in Sicherheit leben können. Diese beiden Dinge hängen zusammen, Wir sind die Burghüter der Deutschen.»