Merkels Euro-Politik und die Frage des Scheiterns

Griechenlands Ministerpräsident Tsipras absolviert im März 2015 seinen Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Merkel. Foto: Bernd von Jutrczenka

Alexis Tsipras legt seine Hand auf Angela Merkels Schulter und lenkt die Kanzlerin in Richtung Kameras. Er strahlt. Es ist der 23. März und der neue Ministerpräsident im hoch verschuldeten Griechenland ist zum Antrittsbesuch im Kanzleramt.

Der 40-Jährige vermittelt ein wenig den Eindruck, er sei der Hausherr und die 20 Jahre ältere Angela Merkel ein hilfebedürftiger Gast. Ihre Beziehung sei positiv, betont Tsipras noch. Griechische physische und verbale Umarmung am Tag eins des Verhältnisses zur mächtigsten Frau Europas. Merkel ist aber distanziert. Deutschland sei nicht die Institution, die über die Richtigkeit der griechischen Reformen entscheide, sagt sie. Und, Athen müsse seine Zusagen an die Geldgeber einhalten.

105 Tage und viele quälende Krisensitzungen in Brüssel später ist das Verhältnis der schwarz-roten Bundesregierung und der Links-Rechts-Regierung in Athen auf dem Nullpunkt. Das Vertrauen ist hin, wenn es überhaupt jemals vorhanden war. Die Griechen haben Nein gesagt zu dem ausgehandelten Reform- und Sparprogramm.

Ist Merkel nun gescheitert? Wenn die seit zehn Jahren regierende Christdemokratin so mächtig ist, warum konnte sie den regierungsunerfahrenen Politiker Tsipras von der linken Syriza dann nicht besser steuern? Warum konnte sie die anderen Euroländer nicht zu mehr Nachsicht gegenüber Athen bewegen? Seit fünf Jahren versucht sie, Griechenland durch Milliarden-Hilfsprogramme im Euro zu halten. «Scheitert der Euro, scheitert Europa», lautet Merkels Mantra. Aber scheitert der Euro, wenn Griechenland zur Drachme zurückkehrt?

Seit geraumer Zeit versucht Merkel zu verhindern, dass ein wie auch immer geartetes Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro - aktiv durch eine Entscheidung oder schleichend durch Einführung einer Parallelwährung - an ihr kleben bliebe. Sie betont immer wieder, dass die Eurozone heute, ganz anders als 2010, stabil sei. Nach dem griechischen Referendum vom Sonntag machte der Euro am Montag erste Kursverluste rasch und fast vollständig wieder wett. Die Gemeinschaftswährung kann ihren Wert halten. Auch insofern erscheint die Eurorettungspolitik nach dem Prinzip Leistung und Gegenleistung, Geld gegen Reformen wie in Irland, Portugal und Spanien erfolgreich.

Aus Sicht der Opposition im Bundestag hat Merkel viel falsch gemacht. Unrealistische Forderungen werden ihr vorgeworfen, weil Griechenland nicht gleichzeitig Schulden tilgen, sparen und reformieren könne. Außerdem sei Merkel mit ihrer Politik der kleinen Schritte nie der große Wurf gelungen. Fünf lange Jahre Rettungspolitik für Griechenland zeuge von fehlender Weitsicht der Kanzlerin, heißt es.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft Merkel mangelnde Identifikation mit einem geeinten Europa vor. Für sie sei die EU ein «vor sich hin wurschtelnder Staatenbund, der lästiger Weise ein Parlament und eine im Kern überflüssige technokratische Kommission hat», sagt er. «So kann das nichts werden.»

Aber: Merkel sei nicht die Regierungschefin von 19 Euro-Staaten, sie sei Mitschuld an der Misere, aber nicht die alleinige Schuldige. Ein Grexit würde ihre Euro-Politik beschädigen - von scheitern zu sprechen, wäre aber übertrieben, heißt es hinter vorgehaltener Hand selbst bei der Linken.

Die Grünen beklagen auch Versäumnisse in Griechenland bei Korruptionsbekämpfung, Bürokratieabbau und Aufbau eines Katasteramtes und einer funktionierenden Steuerverwaltung. Bei den Linken wird der Rücktritt von Finanzminister Gianis Varoufakis als Zeichen gesehen, dass Tsipras mit einem neuen Minister einen versöhnlicheren Ton anschlagen und sein eigenes Gesicht damit wahren könnte.

In Merkels Union ist die Fassungslosigkeit und teilweise auch Wut über das Vorgehen der griechischen Regierung groß. Aber niemand habe ein Interesse, Griechenland aus dem Euro rauszudrängen, heißt es. Bedingung blieben jedoch der Grundsatz Solidarität gegen Eigenleistung und die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er wird quasi als Zahlungszuchtmeister gesehen.

Merkel könnte Probleme bekommen, die Fraktion von einem dritten Hilfsprogramm zu überzeugen, wenngleich auch bei CDU und CSU die Schuld für das Schuldendrama nicht allein dem Linken Tsipras, sondern auch seinen konservativen Vorgängern zugeschrieben wird. Unabhängig davon wurde Merkel auch schon vor Jahren in Griechenland mit Vergleichen zu Nazi-Deutschland verunglimpft.

Von einem dritten Hilfsprogramm will Merkel jetzt erst einmal nichts wissen. Angesichts der «klärenden» Entscheidung der griechischen Bürger gebe es zurzeit keine Voraussetzungen dafür, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht von der Führung in Athen sogar «letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten».

Alle warten nun gespannt, welche neuen Vorschläge Tsipras beim Sondergipfel der Euro-Gruppe am Dienstagabend in Brüssel präsentieren wird. Aus der Union verlautet, letztlich bestehe das Prinzip Hoffnung fort: Dass sich alles noch irgendwie zurechtrüttelt.