Michèle Kiesewetter: Mord an Polizistin bleibt mysteriös

Vor zehn Jahren wurde die 22-Jährige getötet. Aber von wem genau?

Den 16. April 2007 verbringt Michèle Kiesewetter in ihrer Böblinger Polizeikaserne, sie nimmt an einem Fortbildungslehrgang teil. Die Polizistin ist 22 Jahre alt, sie stammt aus dem thüringischen Oberweißbach, arbeitet nun schon seit vier Jahren in Baden-Württemberg. Michèle Kiesewetter ist guter Dinge, sie hat sich verguckt in einen Kollegen. Der besucht sie am Abend auf ihrem Zimmer, zwei Freunde sind mitgekommen. Die vier jungen Leute sitzen lange zusammen, lachen, trinken. Am Tag darauf wird der Kollege abends allein zu ihr kommen. Es sei nichts Ernstes, sagt sie einer Freundin später, nur ein Flirt. Ihr letzter Flirt. Sie hat nur noch wenige Tage zu leben. Am Vormittag dieses 16. April 2007, es ist ein Montag, betritt 450 Kilometer nordöstlich von Böblingen ein junger Mann das Büro des Chemnitzer Caravan-Vermieters Horn. Es ist der mutmaßliche Rechtsterrorist Uwe Böhnhardt. In dem Geschäft gibt er sich als Holger Gerlach aus, legt auch einen Führerschein auf diesen Namen vor. Dem Firmenchef Alexander Horn ist dieser Gerlach seit Langem bekannt. Schon mehrmals habe der aus Hannover stammende Kunde in der Vergangenheit Wohnmobile ausgeliehen, erinnert sich Horn später in einer Vernehmung. Es habe nie Probleme gegeben mit ihm. Dienstwaffen im Schutt Der Mann, der sich Gerlach nennt, holt an diesem Tag ein Wohnmobil vom Typ Fiat Ducato 2.3 JTD ab. Das Fahrzeug mit vier Schlafplätzen hat das Kennzeichen C–PW 87. Gemietet ist es vorerst für drei Tage, bis zum 19. April. Später wird Gerlach alias Böhnhardt die Mietzeit noch einmal verlängern, mit einem Telefonanruf. Abgabetag soll nun der 26. April 2007 sein. Einen Tag vor diesem Abgabetermin, am 25. April 2007, wird der Chemnitzer Caravan kurz nach 14.30 Uhr von einem Polizeibeamten registriert, der im baden-württembergischen Oberstenfeld an einer Kontrollstelle die Kennzeichen vorbeifahrender Autos notiert. Der Anlass für die Kontrolle ist ein spektakulärer Mordanschlag: Gut eine halbe Stunde zuvor, kurz vor 14 Uhr, haben Unbekannte Michèle Kiesewetter in ihrem auf der Heilbronner Theresienwiese geparkten Streifenwagen erschossen; ihr Beifahrer und Kollege Martin Arnold ringt zu diesem Zeitpunkt nach einem Kopfschuss noch mit dem Tode. Von Heilbronn bis Oberstenfeld sind es 21 Kilometer. Mit einem Wohnmobil – das ergeben spätere Testfahrten – braucht man für die Strecke mindestens 24, höchstens 31 Minuten. Hat der Fahrer des Chemnitzer Caravans vielleicht etwas zu tun mit dem brutalen Polizistenmord? Die Pistolen wurden gefunden Erst viereinhalb Jahre später scheint es eine Antwort auf diese Frage zu geben. Am 4. November 2011 werden in einem wenige Tage zuvor angemieteten Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda die Leichen der seit mehr als 13 Jahren untergetauchten Jenaer Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden. An Bord des ausgebrannten Fahrzeugs stellen Beamte die Dienstwaffen von Kiesewetter und Arnold sicher; die Heckler&Koch-Pistolen sind seit dem Mordanschlag von Heilbronn verschwunden. Ein paar Tage später finden sich im Brandschutt der Zwickauer Wohnung, in der Mundlos und Böhnhardt zusammen mit der ebenfalls seit 1998 verschwundenen Beate Zschäpe lebten, weitere Ausrüstungsgegenstände der überfallenen Polizisten sowie die beiden Tatwaffen von Heilbronn. Zudem taucht in einem ebenfalls aus der Zwickauer Wohnung stammenden Bekennervideo einer rechten Terrorgruppe namens Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) neben neun Morden an Migranten auch der Kiesewetter-Mord auf; das entsprechende Bildmaterial ist auf einem Rechner in der Wohnung unter dem Dateinamen „aktion polizeipistole“ abgespeichert. Später findet sich in einem Kleiderschrank der Wohnung noch eine Jogginghose, mit dem Blut Kiesewetters und einem Papiertaschentuch, das DNA-Spuren von Mundlos aufweist. Und zeigt ein Tatortfoto aus Heilbronn nicht auch die Buchstabenkombination NSU, die jemand an die Wand des Trafohäuschens gesprayt hat, neben dem der Streifenwagen stand? Die Bundesanwaltschaft will dieser jüngsten Entdeckung nachgehen. Der Mord an Michèle Kiesewetter, der vor zehn Jahren verübt wurde und als letzte...Lesen Sie den ganzen Artikel bei berliner-zeitung