Michael Jung reitet in die Geschichtsbücher - und Carsten Sostmeier gehen die Pferde durch
Team Deutschland hat sein zweites Gold. In Paris ritt Vielseitigkeitsreiter Michael Jung in die Geschichtsbücher. Keiner außer ihm holte jemals drei Goldmedaillen bei Olympia. Höchstens ARD-Kommentator Carsten Sostmeier. Der fieberte so emotional mit, dass ihm quasi die Pferde durchgingen.
Tag drei bei Olympia war toll. Angelique Kerber (36) ist noch immer nicht Tennis-Rentnerin und steht in der dritten Runde. Die Basketball-Damen besiegten bei ihrer Olympia-Premiere die Europameisterinnen aus Belgien. Die Handballer zerlegten Japan. Es war auch ein bisschen tragisch: Kanute Sideris Tasiadis (34) paddelte im Wildwasserkanal hauchdünn an seiner dritten Olympia-Medaille vorbei. Aber vor allem war dieser Tag einmalig. Dank Reiter Michael Jung (41) und seines Pferdes Chipmunk (16) und Kommentator Carsten Sostmeier.
Sostmeier ist ein Poet. Keiner berichtet so wortgewandt, metaphernreich und gefühlig von seinem Sport, dem Reitsport. Wenn er haucht, flüstert oder doziert, meint man, selbst im Sattel zu sitzen. Der Hesse (Jahrgang 1960) war selbst Springreiter und ist seit 1991 Pferdesportexperte bei der ARD. Seit 33 Jahren. Oder wie er sagte: "Ich bin schon ein altes Pferd hier auf der Weide des olympischen Reitens." Aber diesmal gab er nochmal richtig Gas. Die Stimme schwappte über, die Gefühle auch, Sostmeier weinte sogar, als Michael Jung die Goldmedaille um den Hals gehängt wurde. Sostmeier nach der Ehrung: "Ich muss erstmal Wasser auffüllen, es ist doch einiges herausgeflossen."
Carsten Sostmeier brüllte Michael Jung zum dritten Gold
"Drücken Sie eine Minute die Daumen, auch wenn die blau werden!" Mit jedem Hindernis, dass Michael Jung und sein "schwarz-rot-goldenes Streifenhörnchen" (O-Ton Sostmeier) fehlerfrei in Richtung Goldmedaille überwanden, verlor der Kommentator keuchend die Contenance, verabschiedete sich vom beschwörenden Flüstern. "Komm, Chipmunk, Burschi, lass deine Beine und deinen Reiter jetzt bloß nicht hängen", barmte er erst, beschwor dann: "Reit', du hast ihn vor dir, den Arc de Triomphe der goldenen Emotionen. Holt euch die Krone der Reiterei!" Als sie - also Michael, Chipmunk und Carsten - es vollbracht hatten, kiekste Sostmeier mit vor Emotionen brechender Stimme "Gooold! Freunde, das ist unglaublich, ich werd verrückt. Chapeau! Was für eine Tour d'Honneur. Die Herzen galoppieren!"
Ein Mann, sein Sport. Und ein Mann und sein Pferd. Denn bei aller Begeisterung Sostmeiers: Michael Jung ist - spätestens jetzt - tatsächlich einmalig, eine Legende. Er ist der einzige Vielseitigkeitsreiter, der dreimal Olympia-Gold holte. Der "König von Versailles, der Sonnenkönig" (Sostmeier) ist nachweislich der Beste aller Zeiten in seinem Sport. "Vielleicht ein Rekord für die Ewigkeit", wagte Sostmeier zu vermuten.
Sven Schwarz trotzt der Kommentatoren-Unke Tom Bartels
Als Jung zur Siegerehrung (sch)ritt, sah Sostmeier das Große, das Ganze. "Das war der perfekte Moment. Dass wir so was erleben dürfen", sagte er und man wusste nicht so recht, ob er Jung, den Sport oder sich selbst meinte. "Danke an alle, die diesen Sport möglich machen." Und dann, passend zur schwülstigen Hymnenmucke, brach seine Stimme endgültig: "Danke an die tollen Pferde." Schluchz.
Boah. Was. Für. Eine. Leistung! Man stelle sich vor, Tom Bartels oder Claudia Neumann gelänge eine derart atemberaubende Darstellung beim Fußball. Oder lieber nicht.
Bartels war selbst im Einsatz, am Beckenrand. Vor Jungs Goldritt und Sostmeiers Gefühlsausbruch betätigte sich Bartels beim Vorlauf von Sven Schwarz über 800 Meter Freistil aber lieber als Unke. "Das wird schweeeer für Sven Schwarz. Ich glaub, er hat nicht mehr die Power." Doch hatte er. Deshalb steht er auch morgen im Finale und Florian Wellbrock, eher als Finalist gehandelt, nicht. Bartels drang in die Psyche der Sportler ein und verirrte sich sofort: "Was hat das für die ^1.500 Meter oder die 10 Kilometer Freiwasser zu bedeuten? Ich hoffe nichts."
Abends taute Bartels, vielleicht beseelt von Sostmeiers Empathie, dann auf und brüllte und jauchzte und jubelte Athleten zu Gold, Italienische. Amerikanische. Irische. Nur leider keine deutschen.
Taylor Swift zur Abschlussparty? Angelina Köhler würde es freuen
Morgens, da hatte Esther Sedlaczek Schicht, war Angelina Köhler Studiogast. Die durfte/musste über das "Leid des Vierten" berichten, denn das war sie geworden, tags zuvor über 100 Meter Schmetterling. Geschlagen - unter anderen - von der des Dopings verdächtigten Zhang Yufei. Sedlaczek zeigte Meinung: "Das war ja eh schon damals ein Skandal, dass die in Tokio antreten konnte und zweimal Gold holte." Diesmal wurde sie Dritte. Vor Köhler. "Es ist schwierig", gestand Köhler, "Ich steh für sauberen Sport." Das bedeutet auch Fairness. Da die Ergebnisse neuer Doping-Untersuchungen noch nicht feststünden, müsse gelten: "Die Medaille gehört erstmal ihr."
Gut zu wissen, und das entlockte die clevere Esther, dass Angelina noch ein paar nette Tage in Paris bevorstehen. Mit Lucas Märtens (abends "nur" Fünfter über 200 Meter Freistil) und Isabel Gose hat sie ein Airbnb gemietet. Da wird wohl viel Taylor Swift gehört (Köhler: "Ich bin ein riesengroßer Swiftie!") und vielleicht kommt - so werde gemunkelt - ja sogar Taylor Swift zur Schlussveranstaltung. Und hinterher geht's per Segelboot von Tahiti nach Bora Bora.
Alexander Bommes: "Chipmunk, ich will ein Fohlen von dir!"
Alexander Bommes übernahm die Abendschicht. Da hätte man einiges befürchten können, aber er ließ ein paar Supersprüche fallen. Die herrliche Ignoranz von Basti Fantasti Schweinisteigi bei diesem Kickturnier unlängst scheint ihm ein ordentliches "Leck-mich-doch"-Gefühl übergestülpt zu haben.
Über den unglücklichen Viertplatzierten, aber baldigen Vater Tasiadis meinte er "Papa werden ist eh viel wichtiger". Und den Jahrhundertsieg von Jung ordnete er auch richtig ein: "Deutsche Söhne, die heute geboren werden, heißen Michael. Oder Chipmunk natürlich." Sogar das Interview mit Jung gelang, wenngleich man sich da wirklich Sostmeier gewünscht hätte. Mit dem ausrastenden Kollegen Sostmeier fühlte Bommes jedenfalls mit. Der sei ja richtig abgegangen. "Das war alles dabei. Fehlte nur noch 'Chipmunk, ich will ein Fohlen von dir!'"
Doch: Olympia macht Spaß. Nicht immer, aber immer öfter.