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Michael Mittermeier: "Pippi Langstrumpf war die Greta Thunberg unserer Kindheit"

Der bayerische Komiker Michel Mittermeier ist seit 50 Jahren Fernseh-Junkie. Nun hat er ein Buch über sein wichtigstes Hobby geschrieben: "Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped". (Bild: Enrico Meyer)
Der bayerische Komiker Michel Mittermeier ist seit 50 Jahren Fernseh-Junkie. Nun hat er ein Buch über sein wichtigstes Hobby geschrieben: "Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped". (Bild: Enrico Meyer)

"Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped" - in seinem neuen Buch reflektiert der 55-jährige Comedian Michael Mittermeier seine letzten 50 Jahre als TV-Junkie. Ein Gespräch über "Star Trek", "The Walking Dead" und "Squid Game" - aber auch die verbindende Kraft des TV.

Schon Michael Mittermeiers letztes Buch "Ich glaube, ich hatte es schon: Die Corona-Chroniken" handelte zum Teil vom Fernsehen. Was blieb einem auch anderes übrig - damals im Lockdown? Für den 55-jährigen Komiker, der mit seinem neuen Werk "Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped" (erscheint am Donnerstag, 10. März, bei Kiepenheuer & Witsch) sein "50-jähriges Jubiläum" als "Zuschauer" feiert, ist Fernsehen mehr als nur Ablenkung. Mittermeier ist ein TV-Junkie. Bereits sein erstes Bühnenprogramm "Zapped" handelte vor 25 Jahren von persönlichen TV-Helden wie Lassie, Pippi Langstrumpf und Mr. Spock. Doch Mittermeier, Vater einer 14-jährigen Tochter, ist kein Flimmerkisten-Autist. Für ihn ist gemeinsames Fernsehen ein durchaus tiefsinninger Austausch innerhalb der Familie - der gerade jetzt in Krisenzeiten guttut.

teleschau: Ihr letztes Buch handelte vom Leben mit und in der Corona-Pandemie. Nun erleben wir eine neue Katastrophe, den Krieg. Sind Sie in diesen Tagen ein Nachrichten-Junkie?

Michael Mittermeier: Natürlich schaue ich gerade sehr viel Nachrichten. Aber ich glaube auch an das Prinzip, dass man sich von schlimmen Dingen hin und wieder ablenken muss. Deshalb schaue ich mir auch jetzt zwischendurch einen Film oder eine Serienfolge an - ohne den Krieg dabei zu vergessen. Man sollte auch Corona nicht völlig vergessen, nur weil Kriegs-"Brennpunkte" die Corona-"Brennpunkte" im Fernsehen abgelöst haben. Auch in Sachen Pandemie werden wir jetzt nicht komplett in den "Freedom Day"-Modus schalten können, nur weil wir keine Lust auf zwei Probleme gleichzeitig haben. Ich hatte gerade Corona und kann nur sagen: Das will ich ungeimpft nicht bekommen!

teleschau: Sind Sie denn aktuell noch in Quarantäne?

Mittermeier: Sie endet jetzt, heute kann ich endlich wieder meine Familie umarmen. Aber es ist ein fieses Virus, das muss man schon sagen. Er sucht sich die Schwachstellen im Körper und setzt einem ziemlich zu. Es ging mir einigermaßen okay, aber ich war geboostert. Ohne Booster hätte mir die Krankheit anders zugesetzt, da bin ich mir sicher.

"Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped" - in seinem neuen Buch reflektiert der 55-jährige Comedian seine letzten 50 Jahre als TV-Junkie. (Bild: Kiepenheuer & Witsch)
"Nur eine Folge noch - Fernsehen von A bis Zapped" - in seinem neuen Buch reflektiert der 55-jährige Comedian seine letzten 50 Jahre als TV-Junkie. (Bild: Kiepenheuer & Witsch)

"Ablenkung kann durchaus politisch sein"

teleschau: Am Anfang einer neuen großen Krise wie dem Krieg hängen viele Menschen intensiv an TV und Nachrichten. Wie lange hält man das durch, bevor man nicht mehr kann und der Eskapismus beginnt?

Mittermeier: Keiner sollte sich dafür schämen, wenn man sich nicht rund um die Uhr mit Krise beschäftigen kann. Das würde auch denen, die für Krisen verantwortlich sind, zu viel Macht über dich geben. Ich höre nicht auf, meine Lieblingsspeise zu mögen, wenn sich die Welt in der Krise befindet. Vielleicht habe ich nur etwas weniger Appetit drauf. Wir Comedians stehen mit unserem Beruf für Zerstreuung und Ablenkung. Deshalb sagt niemand: "Uns interessiert der Krieg nicht, deshalb gehen wir zur Comedy." Jeder Mensch muss sich vom Schlimmen auch mal entspannen, um Kraft und Widerstandsfähigkeit zu sammeln. Mein Freund, der Komiker und Filmemacher Zarganar aus Birma, hat schon 13 Jahre im Knast verbracht, weil er glaubt, politische Witze erzählen zu müssen, damit sich die Menschen auch mal entspannen können. Ablenkung kann durchaus politisch sein.

teleschau: Mit welcher Serie oder mit welchen Filmen können Sie sich gerade vom Weltgeschehen ablenken?

Mittermeier: Meine ganze Familie befindet sich derzeit im "Blacklist"-Fieber. Wir sind gerade bei Staffel acht, jede Staffel besteht aus 22 Folgen. Es ist eine ganze Menge Lebenszeit, die wir mit der Serie verbracht haben, aber ich sage: Das ist okay!

teleschau: Im Buch schreiben Sie übers gemeinsame Fernsehen. Sie schauen viel mit Ihrer mittlerweile 14-jährigen Tochter und mit Ihrer Frau. Was gibt Ihnen das als Familie?

Mittermeier: Es gibt uns ganz viel. Ich erinnere mich ans gemeinsame Anschauen von "Godzilla vs. Kong" - das haben wir mitten im Lockdown wie eine große Kinopremiere abgefeiert. Es klingt vielleicht pathetisch, aber dieser Moment wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Man muss sich die schönen kleinen Dinge im Leben nehmen und "hinstellen". Den Wahnsinn da draußen gibt es doch immer.

Veteran der deutschen Comedy-Szene: Mit grotesker Mimik, atemberaubender Körpersprache und sinnlosem Detailwissen über Sendungen von "Aktenzeichen XY" bis "Raumschiff Enterprise" tobt und zappt Michael Mittermeier seit mittlerweile 25 Jahren über die Bühne. Am Anfang nahmen "ernste" Kritiker seine Spezialdisziplin nicht richtig ernst, sagt er. (Bild: ProSieben / Agentur de Sully München)

"Squid Game' ist eine fiese, aber kluge Gesellschaftsstudie"

teleschau: Manche sagen, man solle sich als Paar oder Familie lieber mal unterhalten, anstatt immer nur zusammen Fernsehen zu schauen. Aber tauscht man sich über Filme und Serien nicht trotzdem miteinander aus?

Mittermeier: Ja, das sehe ich genauso. Letztlich ist es Zeit, die man miteinander hat. Dabei wird kommentiert, gelacht, vielleicht sogar geweint. Man ist gemeinsam betroffen, schockiert, empört, verliebt. Mehr emotionaler Austausch geht kaum - vor allem nicht in dieser Intensität und Regelmäßigkeit.

teleschau: Ihre Tochter ist 14. Überlegen Sie viel, was Sie ihr zumuten - auch abseits von FSK-Freigaben?

Mittermeier: Ja, aber sie entscheidet mittlerweile fast komplett selbst, was sie schauen will und was nicht. Wenn Sie findet, dass etwas nichts für sie ist, obwohl ich ihr das gerne zeigen würde, fällt sie augenblicklich in einen tiefen Schlaf. Andererseits durchschaut sie vieles und kommentiert es ausgesprochen bissig, ironisch. Wir schauen zum Beispiel gerade "Germany's Next Topmodel". Ich meine es ganz ehrlich, wenn ich sage: Ich könnte die Sendung nicht lustiger kommentieren, als meine Tochter. Sie erkennt die Zusammenhänge und emotionalen Fake-Momente viel besser als Show-Teilnehmerinnen, die fünf oder mehr Jahre älter sind als sie. Und sie wundert sich dann auch darüber, dass 20-jährige Frauen heulend zusammenbrechen, nur weil sie kein Foto bekommen und aus einer bescheuerten Villa ausziehen müssen.

teleschau: Enthalten Sie Ihrer Tochter bewusst Sachen vor, weil Sie finden, dass sie die nicht sehen sollte?

Mittermeier: Ja, "Game of Thrones", eine unserer Lieblingsserien - dafür fanden wir sie noch zu jung. Aber das ist ja schon ein bisschen her. "Squid Game" haben wir dafür zusammen geguckt. Die meisten Jugendlichen haben die härtesten Szenen eh schon auf TikTok verfolgt, da werden ja gerne mal die brutalsten Momente hochgeladen. "Squid Game" ist keine sinnlose Gewalt-Orgie, sondern ein Sozialdrama - eine fiese, aber kluge Gesellschaftsstudie. Es gibt sicher sehr viel blödere Dinge, mit denen sich Jugendliche beschäftigen. Auch "The Walking Dead" ist nicht nur eine Zombie-Serie, sondern vor allem in den ersten sechs oder sieben Staffeln eine Sozialstudie darüber, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten und miteinander umgehen.

Michael Mittermeier bei der  Verleihung der "Comedy Awards" in Köln im Oktober 2018. Damals wusste niemand, dass knapp anderthalb Jahre später eine Pandemie für langfristige Ausfälle von Bühnenprogrammen und existenzielle Krisen bei vielen Künstlern sorgen würde. (Bild: 2018 Getty Images)
Michael Mittermeier bei der Verleihung der "Comedy Awards" in Köln im Oktober 2018. Damals wusste niemand, dass knapp anderthalb Jahre später eine Pandemie für langfristige Ausfälle von Bühnenprogrammen und existenzielle Krisen bei vielen Künstlern sorgen würde. (Bild: 2018 Getty Images)

"Bonanza war eine Serie über alte weiße Männer und ihre Methoden"

teleschau: Sie haben als Comedian in den 90-ern mit einem Bühnenprogramm übers Fernsehen angefangen. Wie hat man damals auf Sie reagiert?

Mittermeier: Das Publikum bekanntlich gut, aber viele Kritiker haben das nicht verstanden. Die fanden meine Sachen absolut kindisch und bescheuert. Die haben gefragt, wie man ein Bühnenprogramm über "Bonanza", "Lassie" und "Star Wars" machen kann. "Weil ich etwas davon verstehe", habe ich geantwortet. Damals war Comedy noch etwas, über das Blöde lachten - und Kabarett war fürs Lachen mit Niveau zuständig. Teilweise wird es in Deutschland heute noch so gesehen. Dabei finde ich Comedy oft viel politischer als Kabarett, weil in der Comedy die aktuelle Gesellschaft abgebildet wird. Dies bringt mir mehr Erkenntnis, als die 25. Parodie über denselben Politiker.

teleschau: Sie schreiben und reden gern über Retro-Serien der eigenen Kindheit und Jugend. Haben Sie die alle noch mal gesehen, um herauszufinden, wie gut oder schlecht sie gealtert sind? Das kann ein recht schmerzhafter Prozess sein ...

Mittermeier: Ja, ich weiß, was Sie meinen. Nicht alles übt den gleichen Reiz wie damals aus. Aber man kann auch faszinierende neue Dinge entdecken. Nehmen wir "Bonanza". Dieser Vater, Ben Cartwright, hat drei Söhne von drei verschiedenen Frauen, die alle bei der Geburt gestorben sind. Wie krank ist das denn? Ich hatte diese Information früher ausgeblendet. Ebenso wie die Tatsache, dass die Cartwrights ihre Widersacher eigentlich in jeder Folge erschossen haben. Die killen wirklich in jeder Serienfolge all ihre Gegner! Das fällt mir jetzt erst auf, wenn ich noch mal reinschaue. "Bonanza" war eigentlich eine Serie über alte weiße Männer und ihre Methoden.

teleschau: Also ist "Bonanza" nicht gut gealtert ...

Mittermeier: Sie ist zumindest anders gealtert, als man sie in Erinnerung hatte. Doch es gibt auch ganz andere Erfahrungen. Nehmen wir Pipi Langstrumpf, der ich im Buch ebenfalls Zeit widme. Ihre Filme kannst du heute noch eins zu eins sehen, ohne dass sie etwas von ihrer Faszination verlieren. Pippi Langstrumpf war die Greta Thunberg unserer Kindheit. Sie führt dich in eine bessere Welt, von der du nicht zu träumen gewagt hast, dass es sie geben könnte.

Michael Mittermeier und seine Frau Gudrun besuchen im Mai 2019 die Verleihung der Goldenen Kamera in Berlin. Das Paar ist schon sehr lange zusammen, gemeinsam haben die beiden eine mittlerweile 14 Jahre alte Tochter. (Bild: 2019 Getty Images/Christian Marquardt)
Michael Mittermeier und seine Frau Gudrun besuchen im Mai 2019 die Verleihung der Goldenen Kamera in Berlin. Das Paar ist schon sehr lange zusammen, gemeinsam haben die beiden eine mittlerweile 14 Jahre alte Tochter. (Bild: 2019 Getty Images/Christian Marquardt)

"Ich könnte dem Fernseher nie etwas antun"

teleschau: Sie schreiben auch einiges über Ihre Lieblingsserie "Raumschiff Enterprise". Wie ist die in Ihren Augen gealtert?

Mittermeier: Ziemlich gut, finde ich. Das ist natürlich Fernsehen aus den späten 60-ern. Meine Tochter hatte schon körperliche Schmerzen bei den Special Effects der ersten drei "Star Wars"-Filme und die sind zehn bis 15 Jahre nach "Star Trek" entstanden. Na klar, wenn Captain Kirk auf einem fremden Planeten einen Stein hochhebt, um ihn nach einem Echsenmonster zu schleudern, ist das Monster nicht wirklich überzeugend, und auch der Stein ist klar als einer aus Styropor zu erkennen. Manche Steine wackeln sogar, wenn Kirk und seine Crew nur vorbeilaufen, so leicht sind sie (lacht). Trotzdem funktioniert die Serie, weil sie einen guten erzählerischen Spirit hat. Doch ich traue mich nicht, diese Serie meiner Tochter zu zeigen - weil es meine Erweckungsserie schlechthin ist. Die unendlichen Weiten habe ich in meinem Kopf nachvollzogen. "Raumschiff Enterprise" war endlich mal keine Dystopie, sondern schuf auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

teleschau: Da Sie ja echter Fan sind und im Buch sogar darüber schreiben, wie Sie Leonard Nemoy, also Mr. Spock, kennengelernt haben - wie finden Sie die neueren Star Trek-Franchises?

Mittermeier: Ich glaube immer noch, dass die Urserie die für mich schönste ist. "The Next Generation" war aber auch sehr gut, weil sie einen ähnlichen Spirit mit guten, lebendigen Charakteren hatte. Okay, "Deep Space Nine" oder "Voyager", das habe ich geguckt, aber es hatte nicht mehr die gleiche Faszination. Man bleibt halt ein Fanboy. Als jetzt bei Amazons "Picard" plötzlich Data wieder auftauchte, habe ich fast geweint, so gerührt war ich. Man muss auch zugeben, dass die drei neuen Star Trek-Filme von J.J. Abrams wirklich sehr, sehr gut sind. Abrams ist ohnehin ein Genie und dazu ein großer Star Trek-Fan. Er würde dieses Universum nie verraten.

teleschau: Sie reflektieren im Buch 50 Jahre Fernsehen, so wie Sie es erlebt haben. Wie lautet Ihr Fazit: Ist Fernsehen heute besser oder schlechter als in Ihren Kindheitstagen?

Mittermeier: Man kann diese Frage nicht mit "ja" oder "nein" beantworten. Das wäre so, als wenn ich einen meiner Auftritte vor 35 Jahren betrachten und mir die Frage stellen würde: Bin ich heute ein besserer oder schlechterer Komiker als damals? Natürlich bin ich heute besser als damals, sonst wäre ich ein verdammt schlechter Comedian! Wäre das Fernsehen nicht besser geworden, hätten wir die Kisten längst Rockstar-mäßig aus dem Fenster geworfen. Ein Freund von mir hat das in seiner Hochphase mal gemacht. Ich habe ihm gesagt: "Wie kannst du das Fernsehen nur so verraten? Da wohnen Lassie drin und Captain Kirk. Und der Columbo wird rauskriegen, dass du es warst!" Ich könnte dem Fernseher nie etwas antun.

"Jeder Mensch muss sich vom Schlimmen auch mal entspannen, um Kraft und Widerstandsfähigkeit zu sammeln. Ablenkung kann durchaus politisch sein", sagt Michael Mittermeier. (Bild: )
"Jeder Mensch muss sich vom Schlimmen auch mal entspannen, um Kraft und Widerstandsfähigkeit zu sammeln. Ablenkung kann durchaus politisch sein", sagt Michael Mittermeier. (Bild: )