Migrationstalk bei Illner: "Ich sehe Leute weinend zusammenbrechen"
Zunehmende Geflüchtetenzahlen sorgen zunehmend für Sorge in Deutschland und in der Europäischen Union. Wie prekär die Lage wirklich ist, zeigte unter anderem eine Integrationsbeauftragte bei "maybrit illner" am Donnerstag im ZDF.
"Eigentlich waren sich alle einig - 2015 darf sich nicht wiederholen": Mit diesen Worten begann Moderatorin Maybrit Illner die nach ihr benannte ZDF-Talkshow am Donnerstagabend. Schnell war klar, wie emotional die Diskussionen zum Thema "Lässt sich Migration steuern und begrenzen?" werden würden. Deutlich wurde das nicht zuletzt am Beispiel von Claudia Kruse: Seit zehn Jahren hilft sie Geflüchteten, seit sieben Jahren ist sie Integrationsbeauftragte in Odenthal, einer Gemeinde mit 16.000 Einwohnern. Rund 180 Geflüchtete, so erzählt sie, hätte die Gemeinde in diesem Jahr aufgenommen. Die Gemeinde stößt finanziell und strukturelle zunehmend an ihre Grenzen: "2015 dienten Turnhallen einer kurzfristigen Unterbringung", erklärt Kruse: "Jetzt, 2023, werden die Menschen für die nächsten Jahre in einer Turnhalle leben." Mehr noch: "Wir haben immer noch Geflüchtete von 2015 in Gemeinschaftsunterkünften leben."
Sie selbst habe kaum noch Kraft für die Bewältigung ihrer Aufgaben, denn: "Ich stehe vorne vor dem Bürger, ich muss mich beschimpfen lassen, dass ich meine Arbeit nicht ordentlich mache." Gleiches gelte für den Bürgermeister. Sie bemüht sich trotzdem: Die Menschen verließen ihre Heimat nicht leichtfertig, erklärt sie. Dennoch könne sie ihnen keinen Frieden mehr bieten: "Ich sehe Leute weinend zusammenbrechen, wenn sie sehen, wo sie untergebracht werden."
Migrationsforscher: "Das Dublin-Abkommen ist tot"
Kruse ist nicht in der Position, politische Entscheidungen zu treffen. Diese Aufgabe obliegt den anderen Gästen der ZDF-Talkshow, allen voran der Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin begann ihren ersten Redebeitrag mit einem Vorwurf: "Italien hält sich nicht an die Dublin-Rückübernahme". sagte sie. Und solange das der Fall sei, werde Deutschland auch keine Flüchtlinge, die aus Italien weiterreisen, aufnehmen. Der Migrationsforscher Ruud Koopmans hielt sogleich dagegen: "Das Dublin-Abkommen wurde in einer Zeit geschaffen, als wir in Europa noch Binnengrenzen hatten." Mit anderen Worten: "Dublin ist tot. Und es ist schon sehr lange tot. Und es hilft nichts, an diesem toten Pferd weiter zu ziehen." Es gebe weder eine deutsche noch eine europäische Lösung für das Problem. Stattdessen fordert er ein Abkommen mit Drittstaaten: "Grenzkontrollen innerhalb Europas bringen wenig."
Ähnliches forderte auch der Politologe und Migrationsforscher Christopher Hein: "Wir haben die Migration in einen Dunst der Illegalität geschoben, weil es praktisch keinen legalen Weg der Einwanderung gibt", kritisierte er. Viele der Menschen, die nach Italien kommen, wählten das Land aufgrund der geografischen Lage. Dass sie nach Deutschland, Frankreich oder in andere Länder weiterziehen, könne aber nicht verhindert werden. Denn dort hätten diese Menschen Freunde oder Familie.
Spahn warnt: "Es geht nicht mehr lange gut"
Der Unionsfraktionsvize Jens Spahn nutzte die Gelegenheit um ein berühmtes Zitat von Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel umzuformulieren: "Wir schaffen es nicht mehr", sagte er: "Wenn sich darauf alle verständigen können, dass es Grenzen gibt dessen, was geht, wäre das ein erster wichtiger Schritt." Er forderte unter anderem eine nationale Einigung, illegale Migration einzudämmen. Auch müsse die Rückführung abgelehnter Asylbewerber erleichtert werden. Der 43-Jährige zeigte sich besorgt: Alle europäischen Länder seien wegen der Migrationsfrage politisch instabil geworden. Dann ging er zum Angriff auf Faeser über: "Ich bin etwas verwundert, wie ruhig Sie dasitzen können": Statt mit Drittstaaten zu verhandeln, begebe sie sich auf Wahlkampftour mit Bundeskanzler Olaf Scholz. "Wir haben gerade eine Teilzeitministerin", kritisierte er.
Faeser ließ dies nicht lange auf sich sitzen: "Tun Sie nicht so, als ob ich nichts machen würde", sagte sie: "Wir haben die Asylverfahren beschleunigt, ich war im Ausland, ich habe über Migrationsabkommen schon geredet". Doch Spahn ließ nicht locker: "Sie machen mit vielen nationalen Maßnahmen das Gegenteil dessen, was notwendig wäre, um die Zahlen entsprechend runterzubringen." Er warnte: "Wir brauchen eine Lösung, weil sonst die politische Landschaft eine völlig andere wird. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob alle merken, was los ist in diesem Land. Es geht nicht mehr lange gut!"