Militärexperten warnen vor den Folgen - Oberst über eingestampfte Ukraine-Hilfe: „Deutschland verliert an Ansehen“
Aus dem Bundeshaushalt wird es vorerst kein neues Geld für Waffen für die Ukraine geben. FOCUS online hat Militärexperten gefragt, wie sie die Ampel-Entscheidung bewerten und welche Folgen das nun für den Ukraine-Krieg hat.
Die jüngsten Sparmaßnahmen von Kanzleramt und Finanzministerium sorgen in Berlin für Wirbel. Nach der aktuellen Haushaltsplanung der Ampel-Koalition soll nur noch die bereits bewilligte Militärhilfe an Kiew ausgezahlt werden. Das berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Damit schränkt Deutschland die Militärhilfe für die Ukraine massiv ein.
Die Folgen für die Ukraine, die sich im Krieg mit Russland befindet , sind bereits spürbar. Denn: Die Sperre ist schon wirksam, da die Mittel in Höhe von rund acht Milliarden Euro für das laufende Jahr bereits verplant sind.
Doch was bedeutet das für das angegriffene Land? Schließlich ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte Geldgeber. FOCUS online hat Militärexperten gefragt, wie sie das Sparprogramm sehen und was sie nun erwarten.
Oberst d.R. Patrick Sensburg, Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.
Patrick Sensburg, Mitglied der CDU und Experte für Sicherheitsfragen, äußerte sich gegenüber FOCUS online besorgt über die möglichen Auswirkungen auf den Kriegsverlauf und die politische Signalwirkung.
Sensburg betont, dass Deutschland nach den USA der wichtigste Unterstützer der Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression sei und warnt: „Es wäre ein falsches Zeichen, das die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine bröckelt, was Putin genau in die Hände spielen würde.“
Allerdings sieht er noch keinen Grund zur Panik, da die Bundesregierung bereits Schritte unternimmt, um diese Berichte zu dementieren und alternative Finanzierungsquellen, wie die Zinserträge eingefrorener russischer Vermögenswerte, zu nutzen.
Die Auswirkungen auf die Ukraine sind laut Sensburg aber bereits jetzt spürbar. Die dringend benötigte Unterstützung, die bereits im Juli ausgegeben wurde, ist erschöpft, was die Beschaffung von Munition, Ersatzteilen und Militärgerät gefährdet. „Sollte die Ukraine in diesem Jahr weitere Munition oder Militärgerät benötigen, müsste die Bundesregierung diese Anfragen ablehnen“, so Sensburg.
Sensburg: „Deutschland verliert an Ansehen“
Dies würde den Abwehrkampf erheblich beeinträchtigen und könnte, wie in der Vergangenheit, zu unnötigen Verzögerungen führen, die Menschenleben kosten und den Krieg verlängern.
Ob der Wegfall der Unterstützung kompensiert werden kann, ist aus Sicht von Sensburg unklar. Bei der Nutzung der Zinserträge eingefrorener russischer Vermögenswerte, betont der Experte die erheblichen rechtliche Bedenken. „Zögern kostet auch hier Menschenleben“, mahnt Sensburg und fordert eine schnelle Entscheidung, um den Krieg bald beenden zu können.
Für Russland sieht Sensburg klare Vorteile durch das Einfrieren der Hilfe. Die russische Kriegsmaschinerie könnte dadurch gestärkt werden, und es würde ein fatales Signal an den Kreml senden, dass der Westen möglicherweise nicht in der Lage ist, die Ukraine vollumfänglich zu unterstützen.
„Deutschland verliert an Ansehen, wenn es sich mit dem Hinweis auf Sparmaßnahmen aus der Verantwortung zieht“, sagt Sensburg und appelliert an die Bundesregierung, die Ukraine gerade jetzt, vor dem bevorstehenden Winter, nicht im Stich zu lassen.
Nico Lange, Senior Fellow bei Münchner Sicherheitskonferenz
Nico Lange, Experte für Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sagt gegenüber FOCUS online, dass solche Signale in Moskau auf Wohlwollen stoßen könnten: „Mit solchen Verlautbarungen macht man Putin immer wieder Hoffnung, dass er doch noch seine militärischen Ziele erreichen kann, wenn er nur lange genug weitermacht.“
Bereits jetzt spüre die Ukraine die Auswirkungen der ausbleibenden Hilfe, so Lange weiter. „Die Streitkräfte der Ukraine müssen Ressourcen anders einteilen und zurückhalten, wenn sie sich nicht darauf verlassen können, dass zuverlässig weiter Hilfe ankommt.“
Der Experte äußert zudem deutliche Kritik an der derzeitigen Prioritätensetzung im Bundeshaushalt. Er fordert, dass die Sicherheit Europas und Deutschlands viel zentraler werden müsse: „Die wichtigste Sicherheitsfrage für Deutschland und Europa muss im Haushalt Priorität gegenüber anderen Dingen haben. Ich hoffe, dass der Bundestag das Haushaltsgesetz vor der Verabschiedung entsprechend ändert.“
Lange weist auch auf die Vorteile hin, die Putin aus dem Einfrieren der Hilfen ziehen könnte. „Russland freut sich über alles, was unsere Schwäche zeigt“, sagt er und fügt hinzu, dass dies Moskau nur weiter motiviere, den Krieg fortzusetzen, bis die Ukraine durch die nachlassende Unterstützung schwächer werde.
Oberst a.D. Wolfgang Richter, Associate Fellow beim Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf
Laut Wolfgang Richter, Experte für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, handelt es sich bei dem Einfrieren der Mittel um eine vorläufige Haushaltssperre, die aus der angespannten Haushaltslage resultiert, jedoch keinen grundlegenden Kurswechsel in der Unterstützung der Ukraine signalisiert.
„Bisher zugesagte finanzielle und materielle Hilfen für Kiew sind nicht betroffen und werden weiterhin zur Verfügung gestellt“, sagt Richter FOCUS online. Zudem könnten für dringliche Hilfsersuchen Sonderregelungen getroffen werden, fügt er hinzu. Die Regierung plane, zukünftige Hilfen aus den Erträgen eingefrorener russischer Vermögenswerte zu finanzieren.
Aktuell sieht Richter keine unmittelbaren finanziellen oder materiellen Auswirkungen in der Ukraine, sondern vielmehr eine politische Besorgnis über ein mögliches Nachlassen der deutschen Unterstützung. Diese Befürchtung wurde sowohl vom ukrainischen Botschafter in Deutschland als auch von Präsident Selenskyj geäußert.
„Angesichts der prekären militärischen Lage im Donbass steigt der politische Druck auf Kiew, Verhandlungen mit Russland zu suchen“, sagt Richter. Die jüngste Offensive ukrainischer Truppen aus Sumy in das russische Gebiet Kursk könnte ein Versuch sein, dem Westen zu zeigen, dass die Ukraine weiterhin handlungsfähig ist und Erfolge erzielen kann, um so weitere Unterstützung zu sichern.
Richter bleibt gelassen und optimistisch
Richter zeigt sich zudem optimistisch. Einen dauerhaften Wegfall der deutschen Unterstützung sehe er nicht. „Schon zugesagte Mittel sind nicht betroffen, kurzfristige Sonderregelungen bleiben möglich, und künftige Hilfen sollen aus den Erträgen eingefrorener russischer Vermögenswerte erwirtschaftet werden“, erläutert er.
Zudem leiste Deutschland über die EU weiterhin den größten europäischen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine. „Sollte es zu einer Notsituation in Kiew kommen, wird man auch in der Regierungskoalition noch einmal neu nachdenken.“
Hinsichtlich der Vorteile, die nun für Russland entstehen könnten, bleibt Richter gelassen. „Das bedingte Einfrieren der Mittel, das ja durchaus noch Auswege enthält, wird sich jedenfalls nicht kurzfristig zum Vorteil Russlands auswirken“, erklärt er.
Allerdings betont er, dass die knappen personellen Reserven Kiews möglicherweise eine größere Herausforderung darstellen könnten als die materiellen Ressourcen, was Deutschland und der Westen nicht kompensieren könnten, ohne selbst zur Kriegspartei zu werden.
Oberst a.D. Ralph D. Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft e.V.
Ralph Thiele, Oberst a.D. und Experte für militärische Strategie, hat sich in einem Gastbeitrag für FOCUS online zu den jüngsten Entscheidungen der Bundesregierung geäußert. Thiele warnt darin vor den langfristigen Konsequenzen für die Sicherheit Europas und Deutschlands.
Er schreibt: „Die Entscheidung der Bundesregierung, keine neuen militärischen Bestellungen für die Ukraine zu genehmigen, ist offensichtlich nicht in Stein gemeißelt.“ Er weist darauf hin, dass bereits über „Umwege“ diskutiert werde, um diese Sparmaßnahmen zu umgehen. Doch solche Umwege könnten „absehbar große Gefahren“ für die Ukraine und Deutschland mit sich bringen.
„Auch wenn es so nicht vorgesehen war, hat die Entscheidung unmittelbaren Auswirkungen auf die Fähigkeit der Ukraine, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen“, warnt Thiele. Die Sparmaßnahmen würden bereits jetzt die ukrainische Kampfkraft beeinträchtigen, da aktuelle Ersatzteillieferungen an die Ukraine nicht mehr ohne weiteres bedient werden könnten.
Hinzukommt: „Gegebenenfalls müssten sogar einsatzfähige Systeme der Bundeswehr für Ersatzteile ausgeschlachtet werden“, was nicht nur die Ukraine, sondern auch die Bundeswehr schwächen würde.
„Aus der Hand in den Mund kann es nicht weitergehen“
Angesichts der geplanten Kürzungen der deutschen Militärhilfe bis 2027 sieht Thiele die einzige Möglichkeit, dass diese ausreichen könnten, in einem möglichen Waffenstillstand mit Moskau. Thiele fragt sich, ob die Bundesregierung in ihren Haushaltsüberlegungen bereits einen möglichen Waffenstillstand einkalkuliert hat.
Er mahnt, dass eine weitere Aushöhlung der deutschen und europäischen militärischen Fähigkeiten nicht zur aktuellen Sicherheitslage passt. „Im Gegenteil: Wir müssen bereit sein, uns vor einem wiedererstarkten Russland zu schützen“, fordert der Militärexperte und betont die Notwendigkeit einer klaren Strategie, die sowohl militärische als auch hybride Bedrohungen effektiv adressiert.
Thiele äußert zudem Bedenken hinsichtlich der langfristigen Folgen der Sparmaßnahmen: „Wir müssen damit rechnen, dass die Bundeswehr noch mehr Fähigkeiten verliert und geplante neue Fähigkeiten deutlich später – das heißt etliche Jahre – die Truppe erreichen werden.“ Auch die Ukraine müsse sich auf längere Wartezeiten für ihre Bestellungen einstellen.
„Aus der Hand in den Mund kann es nicht weitergehen. Zumindest nimmt das kein gutes Ende“, so Thiele.
Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München
Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, bezeichnet den Schritt der Bundesregierung, vorerst keine neuen Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren, im „ Tagesspiegel “ als strategisch unklug. „Der Deutsche Bundestag hat es in der Hand, das Ganze zu verhindern.“
Dass die Ampel eingefrorene russische Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Dollar für die Waffenhilfe an die Ukraine nutzen will, hält Masala grundsätzlich für sinnvoll. Er sehe erhebliche praktische Probleme: „Wir haben gesehen, dass dieser Beschluss zur Nutzung russischer Vermögen schon lange gefallen ist und bisher wenig passiert ist.“
Der Militärexperte befürchtet demanch, dass der Wegfall der Unterstützung aus dem Bundeshaushalt nicht durch die Nutzung eingefrorener Vermögenswerte kompensiert werden kann.
„Wenn die Hilfe gekürzt wird, dann bedeutet das natürlich, dass die Ukraine künftig weniger Waffen hat beziehungsweise weniger Waffen kaufen kann“, so Masala. Dies würde sich negativ auf die Kampfkraft der Ukraine auswirken.
Er warnt zudem vor den Folgen des politischen Zögerns, das in den letzten Jahren immer wieder zu Problemen geführt habe. „Welche Folgen politisches Zögern im Krieg gegen Russland hat, haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen“, betont Masala.
Er kritisiert, dass die neue Linie der Bundesregierung nicht nur die Planbarkeit für die Ukraine, sondern auch für das Bundesverteidigungsministerium und die Rüstungsfirmen erheblich einschränke. Masala zeigt sich insgesamt skeptisch, ob in Zukunft zusätzliche Mittel für die Ukraine bereitgestellt werden können, wie es in der Vergangenheit teilweise noch gelungen ist.