„Minimalismus ist eine fantastische Art, zu leben“ - Bei Weihnachtsmarkt-Besuch hat Maren Aha-Erlebnis - und ändert ihr Leben radikal
Vor sechs Jahren zog Maren Kauer (49) mit ihrem Mann in eine 30 Quadratmeter-Wohnung und bereut nichts – außer, dass sie diesen Schritt nicht schon viel früher getan hat.
FOCUS online: Sie leben mit ihrem Mann in einer 30-Quadratmeter-Wohnung… freiwillig?
Maren Kauer: Und ob! Minimalismus ist eine fantastische Art, zu leben. Einfach genial! Es ist so schade, dass die meisten Menschen Angst davor haben. Was werden die Nachbarn sagen, die Freunde? Denken viele. Wie wirke ich nach außen hin? Es gehört Mut dazu, um gegen das übliche Statusdenken und die Konventionen anzugehen.
Hatten Sie damit mal ein Problem?
Kauer: Na klar. Wir leben nun mal in einer Gesellschaft, die andere Maßstäbe setzt. Für mich als gebürtige Schwäbin gilt das vielleicht noch mal extra.
Was meinen Sie?
Kauer: Mein Haus, mein Vorgarten, meine Einbauküche… Natürlich hat mich diese Art zu denken geprägt. Und dass man Sachen nicht einfach wegtun kann. Nach dem Motto: Das ist doch noch gut…
Aber irgendwann haben Sie genau das trotzdem gemacht: Sachen weggetan.
Kauer: Ja, das war 1999. Ich hatte vorher vier Jahre mit meinem damaligen Lebensgefährten zusammengelebt, in einer schönen großen Altbauwohnung. Waschmaschine, Spülmaschine… Der übliche Luxus.
Ich hatte Musik auf Lehramt studiert und gejobbt, aber es war immer klar: Beruflich sind das nur Zwischenstationen. Dann klappte es mit einem begehrten Studienplatz in den Niederlanden, dafür musste ich umziehen. In ein kleines Studentenzimmer, mehr war finanziell nicht drin.
Ein Freund meinte, er würde mich mit dem ganzen Kram in den Norden fahren. Eine Autoladung voll. Also musste ich mich reduzieren.
Haben Sie einen Teil der Sachen eingelagert?
Kauer: Nein, ich habe mich von einem Großteil getrennt, habe ganz viel auf Flohmärkten verkauft.
Fiel Ihnen das nicht schwer?
Kauer: Eigentlich nicht. Gefühlt war das der Preis für das, was ich im Gegenzug bekommen habe. Genau das Studium, was ich so gerne machen wollte! Das war fantastisch. Aber klar, als ich schließlich in meinem Minizimmer saß, bin ich schon erst mal in Tränen ausgebrochen.
„Was habe ich getan? Wo ist der ganze Luxus hin, den ich hatte?“
Tränen des Verlusts?
Kauer: Eher Tränen des Entsetzens. Was habe ich getan? Wo ist der ganze Luxus hin, den ich hatte? Aber im nächsten Schritt hat es sich dann schon nach Befreiung angefühlt.
Leben Sie seitdem minimalistisch?
Kauer: Nein. Kurz nachdem ich in den Niederlanden angekommen war, habe ich meinen jetzigen Mann kennen gelernt. Joost lebte wie ich in einer Studentenbude.
Mit ihm hat es sich von Anfang an richtig angefühlt, also sind wir schon nach drei Monaten zusammengezogen. Ein Reihenhaus, mit Garten, großem Schuppen und Dachboden. Letzterer hat sich zusehends durch Flohmarktshoppen und Schnäppchenjagd gefüllt.
Das heiß, Sie kennen das Gefühl von Menschen, die gerne Shoppen gehen?
Kauer: Absolut. 2012 sind wir nach Bremen gegangen. Da hatte ich eine Phase, in der ich richtig viel Geld für Klamotten ausgegeben habe. Manchmal 500 Euro im Monat. Rückblickend weiß ich, dass ich mit den Käufen was kompensieren wollte.
Ich hatte eine Arbeitsstelle in der Psychiatrie, mit der ich nicht glücklich war. Die Mode, die ich damals gekauft habe, war sehr hochwertig, einen Teil davon trage ich noch immer. Rückblickend hatte die Phase also auch ihr Gutes. Aber ich habe es damals eindeutig übertrieben.
„Mit jedem Umzug wurde mir bewusster, was für eine Last wir da mit uns rumschleppen“
Haben Sie in Bremen auch wieder großzügig gewohnt?
Kauer: Das war unterschiedlich, wir sind in sieben Jahren fünf Mal umgezogen. Mal wegen eines Wechsels der Arbeitsstelle, mal wegen Schimmel in der Wohnung, mal hatten wir Alkoholiker unter uns.
Mit jedem Umzug wurde mir bewusster, was für eine Last wir da mit uns rumschleppen. Was für Unmengen an Büchern, CDs, und so weiter, die wir jedes Mal ein- und wieder auspackten.
Zuletzt wohnten wir in einer 50-Quadratmeter-Wohnung, ganz bewusst, um diesem irren Festhalten an Dingen zu entkommen. Kurz vorher hatte ich auf einem Weihnachtsmarkt ein Aha-Erlebnis.
Erzählen Sie.
Kauer: Ich bin über diesen Markt geschlendert und habe, wenn ich etwas Schönes gesehen habe, sofort gedacht: Ja, das landet dann wieder in einer Kiste, wenn wir das nächste Mal umziehen. Damit war klar: Das brauche ich nicht. Das wird nicht gekauft, das will ich nicht – Punkt. Das war wirklich eine verblüffende Erfahrung. Sich Dinge gar nicht erst anzueignen.
Inzwischen leben Sie in Bamberg, auf 30 Quadratmetern.
Kauer: Seit 2019, genau. Und entgegen so mancher Prophezeiung ist es wunderbar.
Was für Prophezeiungen meinen Sie?
Kauer: Manche haben uns für verrückt erklärt. Einige meinten sogar, unsere Beziehung würde scheitern, bei so wenig Platz. Im ersten Jahr habe ich mal ein paar Kollegen eingeladen, damit sie sich selbst ein Bild machen konnten.
Und?
Kauer: Die Bandbreite reichte von Kopfschütteln bis Begeisterung.
„Inzwischen ersetze ich nur noch, wenn was kaputtgeht“
Können Sie Ihre Wohnsituation ein wenig beschreiben?
Kauer: Es ist eine Ein-Zimmerwohnung, das Wohnzimmer ist zugleich Küche, Büro und Flur. Den Schlafbereich haben wir durch einen großen Kleiderschrank abgetrennt.
Wir haben ein großes Hochbett, dadurch gewinnen wir Raum: Schlafen tun wir zwischenzeitlich unten, oben hat Joost sein Reich. Generell schlage ich gern zwei Fliegen mit einer Klappe.
Vor einem unserer Fenster steht eine Kommode mit Teppichbezug. Wenn ich das Fenster öffne und mich auf die Kommode setze, habe ich sozusagen den Balkon, den ich nicht habe.
Wir sind mitten in der Altstadt von Bamberg, haben eine schöne Aussicht auf die Kirche und die schönen Altbauten und das Grün vor unserer Wohnung.
Ihr Lebensstil ist aber nicht nur durch Ihre Art zu Wohnen geprägt, oder?
Kauer: Das stimmt. Wir haben keinen Fernseher und kein Auto. Eine Zeitlang – genau: anderthalb Jahre lang – habe ich kein einziges Kleidungsstück gekauft, inzwischen ersetze ich nur noch, wenn was kaputtgeht.
Wir gehen extrem selten ins Café oder ins Restaurant. Lieber verbringen wir unsere freie Zeit bei einem Picknick in der Natur, mit Kaffee aus der Thermoskanne.
„Warum sollten wir viel Geld für Konsumgüter ausgeben?“
Und Sie vermissen nichts?
Kauer: Im Gegenteil. Dieses Leben ist ein Gewinn! Warum sollten wir viel Geld für Konsumgüter ausgeben? Wieso sollten wir nach außen hin reich aussehen wollen, wenn wir das alles doch gar nicht brauchen?
Was haben Sie gewonnen?
Kauer: Freiheit! Früher haben wir jeden Monat darauf gewartet, dass Geld aufs Konto kommt. Jetzt legen wir einen Großteil des Geldes in ETFs an – und dieses Geld wächst und wächst. Im Moment haben wir monatliche Erträge von 600 Euro.
Wie viel investieren Sie dafür jeden Monat?
Kauer: Zwischen 800 und 1000 Euro. Wir verdienen beide voll und haben gerade mal 600 Euro Miete warm, also geht das problemlos.
Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen: Wenn wir beide von heute auf morgen keinen Job mehr hätten, kämen wir locker fünf bis sechs Jahre über die Runden. Das nimmt unfassbar Druck, macht das Leben leicht.
Nicht zu vergessen, die Freiheit, in den kalten Wintermonaten einfach mal eben woanders hingehen zu können.
Machen Sie das denn?
Kauer: Ja, bereits dreimal. Mal war ich in der Türkei, mal in Spanien, mal in einem Airbnb, mal im Hotel. Ich war jedes Mal für zwei bis drei Monate weg, es war wunderbar. Mal sehen, wo es mich in diesem Winter hinzieht…
Für eine gewisse Zeit des Nichtstuns?
Kauer: Nein, ich arbeite, ganz klassisch: Workation. Ich liebe meinen Job, da wollte ich das gar nicht anders. Seit zwei Jahren bin ich als Ordnungs- und Minimalismus-Coach selbstständig und gebe an andere Menschen weiter, was ich über die Jahre so gelernt habe.
Gehört zu Ihrem Lifestyle auch der Plan, früher in Rente zu gehen?
Kauer: Die Idee stand tatsächlich mal im Raum, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wissen Sie, es ist einfach unglaublich inspirierend, anderen Menschen dabei zu helfen, loszulassen.
Eine Kundin, verheiratet, 70 m²-Wohnung, war völlig verzweifelt. Sie erwartete ihr erstes Kind, dafür wollten sie eine größere Wohnung, aber obwohl beide sehr gut verdienen, konnten sie am Wohnungsmarkt nichts finden.
Im Laufe des Coachings hat die Frau ihre 70 m² Wohnung komplett umgestaltet und am Ende hatten sie plötzlich ein Zimmer übrig. Jetzt sind sie noch immer in dieser Wohnung, mit zwei Kindern – und sie sind glücklich. Und ich bin es erst!
Nein, ich weiß wirklich nicht, ob ich jemals aufhören möchte, Menschen dabei zu helfen, sich von Konventionen zu befreien, anders zu denken und dadurch Erfüllung zu finden.
Mehr Infos teilt Maren auf auf ihrer Webseite .