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Minister Heil preist die Kurzarbeit - Missbrauch gering

Missbrauch bei Kurzarbeitergeld könnte den Staat teuer zu stehen kommen.
Missbrauch bei Kurzarbeitergeld könnte den Staat teuer zu stehen kommen.

Der Bundesarbeitsminister ist zuversichtlich: Die Kurzarbeit als deutsches Erfolgsmodell im volkswirtschaftlichen Anti-Corona-Kampf soll auch weiter helfen. Ein paar Millionen Schaden durch Missbrauchsfälle fallen angesichts der Dimension kaum ins Gewicht.

Nürnberg (dpa) - Über sechs Millionen Kurzarbeiter, 2100 Verdachtsfälle auf Missbrauch: Das deutsche Erfolgsmodell im Kampf gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie hat sich nach Ansicht von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bewährt.

«Deutschland ist bisher durch diese tiefste Wirtschaftskrise unserer Generation besser gekommen, als andere Volkswirtschaften auf der Welt», sagte Heil am Freitag bei einem Besuch der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. «Das ist maßgeblich das Verdienst der Bundesagentur für Arbeit.» Die veränderten Regeln zur Kurzarbeit - unter anderem die Verlängerung auf bis zu 24 Monate bis Ende 2021 - hätten Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland gesichert.

Die Bundesregierung werde der Bundesagentur aus der Klemme helfen, in die sie durch die stark erhöhten Milliardenausgaben für die Kurzarbeit und die damit verbundenen Sozialleistungen geraten ist. Steffen Kampeter (CDU), Vorsitzender des Verwaltungsrates der Behröde, erklärte, das Bundeskabinett habe in Aussicht gestellt, die Agentur bis Ende 2021 schuldenfrei zu stellen. Das bedeutet, dass der Bund nicht nur einen Kredit, sondern einen Zuschuss gibt, um das durch Kurzarbeit und andere Effekte in der Coronakrise ausgelöste Milliardendefizit der Nürnberger Behörde zu decken. «Es wird nicht nur Liquiditätshilfen aus dem Bundeshaushalt geben, sondern Zuschüsse», sagte Heil.

Die Bundesagentur hat bisher alleine 14,3 Milliarden Euro für Kurzarbeit ausgezahlt. Die Missbrauchsquote beträgt nach bisherigen Erkenntnissen 0,3 Prozent. Heil wies Kritik zurück, die sich auf angeblich zu häufigen Missbrauch der Kurzarbeiterregelungen bezieht. Natürlich müsse Missbrauch abgestellt werden, weil er ein Ausnutzen des Solidarprinzips bedeute, sagte der Minister. Jedoch sei die Zahl der Fälle gemessen am Aufkommen verschwindend gering.

Katharina Utermöhl, Volkswirtin der Allianz-Gruppe, sieht ein Problem in der Vermengung von Corona-Effekten und strukturellen Branchenproblemen bei der Inanspruchnahme von Kurzarbeit. Es falle auf, dass die Kurzarbeit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wie Spanien oder Frankreich nur sehr langsam wieder zurückgehe, besonders in der Industrie. «Dass trotz der zügiger als erwarteten Industrieerholung im dritten Quartal kein stärkerer Abbau verzeichnet werden konnte, spricht dafür, dass die Kurzarbeit zum Teil auch zum Schutz vor strukturellen Gegenwinden genutzt wird», betonte die Volkswirtin.

«Gerade in Deutschland sehen wir in diesem Kontext das Risiko von Zombie-Jobs als besonders hoch an. Ohne die Einführung von Einstellungsanreizen und einer noch stärkeren Förderung von Umschulung und Weiterbildung dürften rund 1,1 Millionen Arbeitsstellen nur vorübergehend durch die Kurzarbeit geschützt werden.

Eine Erkenntnis, die auch in der Arbeitsverwaltung gereift ist. Wer im nächsten Jahr noch 100 Prozent der Sozialleistungen vom Staat finanziert bekommen will, muss etwa die Kurzarbeit mit Weiterbildungsmaßnahmen für seine Mitarbeiter verknüpfen. Dies erscheint Experten insbesondere in der Automobilindustrie und bei deren Zulieferern nötig - dort droht unter anderem wegen der Transformation hin zur Elektromobilität ein deutlicher Stellenabbau.

Arbeitsminister Heil bleibt dennoch optimistisch. Die Corona-Krise sei nicht vorbei, es werde Insolvenzen geben. Die Zuversicht auf eine Frühjahrsbelebung der Konjunktur sei dennoch realistisch. Heil erhielt in seiner Einschätzung am Freitag Rückendeckung vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Das IAB hat für das nächste Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent ermittelt, nach einem Minus von 5,2 Prozent im laufenden Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen, die der Prognose zufolge im Jahr 2020 um 440.000 im Jahresschnitt steigen wird, könnte demnach im kommenden Jahr wieder um 100.000 fallen.

«Der Arbeitsmarkt geriet massiv unter Druck, die Verschlechterung blieb angesichts des immensen wirtschaftlichen Schocks jedoch vergleichsweise begrenzt. Der Arbeitsmarkt stürzte auch aufgrund der Stabilisierungsmaßnahmen nicht ins Bodenlose», sagte Enzo Weber, Leiter des IAB-Forschungsbereichs «Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen».

Noch keine Erholungseffekte sagen die Experten im nächsten Jahr für das Gastgewerbe und den Einzelhandel voraus. Dort werde sich der Arbeitsmarkt auf dem Niveau dieses Jahres stabilisieren, die erlittenen Verluste aber nicht ausgleichen können. Für 2020 wird ein Verlust von 230.000 Arbeitsplätze in der Branche geschätzt.

Gleiches gelte für den Bereich «sonstige Dienstleistungen», wozu die Ausrichtung von Sport- und Kulturveranstaltungen zählt - hier wird für das laufende Jahr ein Verlust von 110 000 Arbeitsplätzen prognostiziert. Im verarbeitenden Gewerbe, besonders in der Automobilbranche und bei deren Zulieferern, fallen der IAB-Prognose zufolge in diesem Jahr 160.000 Arbeitsplätze weg, im nächsten Jahr noch einmal 60.000.