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„Mischung aus Kontinuität und Erdbeben“ – Wahl-Fazit bei „Maybrit Illner“

Wie bekommt man die Rechtsparteien in den Griff? Das war die prominente Frage der Wahlnacht. (Bild: Screenshot/ZDF)
Wie bekommt man die Rechtsparteien in den Griff? Das war die prominente Frage der Wahlnacht. (Bild: Screenshot/ZDF)

„Deutschland nach der Wahl – neue Rolle in der Welt?“ fragte Maybrit Illner in ihrer gestrigen Sendung – im Mittelpunkt stand dabei die Analyse des AfD-Wahlergebnisses.

„Hat Martin Schulz auf die falschen Themen gesetzt? Oder die SPD auf den falschen Kandidaten?“, fragte die Moderatorin zu Beginn ihrer Sendung den ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Matthias Platzeck. „Nein, das glaube ich nicht“, entgegnete er. Und prophezeite: „Ich glaube, dass die Themen, die gesetzt wurden, alle wiederkehren werden.“ Jene Themen, die die Bevölkerung bewegen, hätte die SPD durchaus angesprochen: bezahlbare Mieten, Stabilität der Renten sowie wachsende Bedenken und Ängste, ob die Globalisierung unsere Arbeitsplätze bedrohe. Jedoch habe die AfD diese Themen für sich vereinnahmt – oder wie Platzeck es formulierte: „All diese Ängste und Bedenken, die da sind, haben eine andere Folie gefunden.“ Die AfD habe ihrer Klientel Flüchtlinge als Hauptschuldige verkauft. „Wir haben es nicht vermocht, da eine tragfähige, für uns erfolgreiche Gegenstrategie zu entwickeln“, so Platzeck.

„Eine Mischung aus Kontinuität und Erdbeben“, nannte der britische Fernsehjournalist Matt Frei das Ergebnis. „Kontinuität wegen Angela Merkel, das hat man in Großbritannien auch erwartet, dass sie Kanzlerin bleibt. Erdbeben wegen der AfD. […] Das wird ein richtiger Schock sein für viele, eine Genugtuung für andere. Für viele, die für den Brexit gestimmt haben, wird die Präsenz der AfD im Bundestag eine Genugtuung sein.“

Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sah indes Parallelen zur österreichischen Politik: „Ich glaube, das sieht man auch jetzt gerade in Österreich, dass diese große Koalition keinen Weg mehr gefunden hat, außer Minimalkompromisse wirklich in die Umsetzung zu bringen. Wenn Parteien in der Mitte nichts sehen und den Wählern kein Angebot machen, mitzugehen, dann wechseln sie nach rechts oder nach links.“ Sobotkas Fazit: „Man muss viel genauer hinhorchen. […] Wo sind wirklich die Probleme? – und sie auch schonungslos beim Namen nennen. Wir haben uns aus vielen Situationen früher immer ein wenig herausgeschummelt: Parallelgesellschaften, die Situation, dass es eine soziale Balance in dieser Form nicht mehr gibt.“ Bei der Bundestagswahl 2017 sei „der Stimmzettel zum Protestzettel“ geworden, so der Innenminister.

Frankreichs Ex-Verteidigungsministerin Sylvie Goulard forderte einen positiven Fokus. (Bild: Screenshot/ZDF)
Frankreichs Ex-Verteidigungsministerin Sylvie Goulard forderte einen positiven Fokus. (Bild: Screenshot/ZDF)

„Ich glaube, mit positiven Botschaften und Handlungen – und das würden wir auch gerne auf europäischer Ebene den Partnern vorschlagen – kann man vielleicht diese Neigung stoppen, in dem man andere Lösungen vorschlägt und positiv von Europa spricht. Und nicht nur von Krisenbewältigung […]“, sagte Sylvie Goulard, Politologin und ehemalige Verteidigungsministerin Frankreichs.

Ob sich die Meinung über Angela Merkel in den USA nun verändern würde, fragte die Gastgeberin den CNN-Fernsehjournalisten Frederik Pleitgen. „Ich glaube schon, dass die Bundeskanzlerin etwas angekratzt ist nach der Wahl. Sie ist ja die Anführerin der freien Welt, gerade für die Leute in Amerika, die ein Problem mit Donald Trump haben – der sich sogar klammheimlich ein wenig freuen könnte über das Wahlergebnis, glaube ich. Gerade, weil er natürlich in letzter Zeit gegen Deutschland geschossen hat – international, gerade was den Handel angeht, aber auch, was die NATO angeht. Ich weiß nicht, ob er da nicht vielleicht sogar was Positives daraus zieht, wenn die Bundeskanzlerin etwas schwächer ist als vorher“, so Pleitgen. Die Bundeskanzlerin genieße in den USA jedoch weiterhin hohes Ansehen: „Es ist in der Tat so, dass viele Amerikaner die Kanzlerin als Gegengewicht zu Donald Trump ansehen.“

Matthias Platzeck merkte an, dass es auch wieder eines lebendigeren Diskurses im Bundestag bedürfe: „Natürlich stimmt es, dass unsere Bundestagsdebatten in den letzten Jahren etwas langweiliger geworden sind. Leute brauchen in der Demokratie Auseinandersetzung und Streit. Deshalb würde ich mir wünschen, dass es mal wieder etwas wilder zugeht im Bundestag, damit Menschen wieder ihre Meinung besser danach abgleichen können und damit es wieder Freude macht, sich der Politik zu widmen.“

Frederik Pleitgen erklärte, dass Protestwähler gerne eine Vielzahl von Themen zu einem einzigen machen – und zieht als Beispiel den Brexit heran: „Die Brexit-Wahl war nicht nur eine Wahl über Europa. Es war eine Protestwahl in einer Volksabstimmung gegen alles: Immigranten, die EU, die Wirtschaft, die Banken, die Finanzkrise. Das muss man verhindern: dass das alles verknotet wird.“

„Wie geht man mit den Rechtsnationalen um?“, fragte Illner anschließend. „Wenn wir nicht in der Lage sind, zu antizipieren, wenn wir die Zukunft unserer Kinder nicht vorbereiten, wenn wir vor der Hürde nicht zusammen die richtigen Entscheidungen treffen, dann haben diese Extremparteien auch sehr viel Raum. Wir können kritisieren: Europa hat in vielen Bereichen nicht geliefert, aber das ist nicht nur die Verantwortung der europäischen Behörde, es ist kollektiv“, antwortete Goulard. Dem stimmte Pleitgen zu – und erklärte, dass die nötigen Debatten nicht geführt wurden: „Es geht nicht nur um Rechtsradikale, es geht auch um Linksradikale. Es gibt keine richtige Debatte – ich habe sie nicht in dieser Wahlkampagne gesehen, ich habe sie auch Großbritannien nicht gesehen. Wie entwickelt sich die Wirtschaft? Wie entwickelt sich die Gesellschaft durch Automatisierung, Artificial Intelligent? Die Hälfte der Arbeitskräfte brauchen wir nicht in zehn Jahren, was machen wir mit diesen Leuten?“

Goulards Fazit, wie man mit den rechtsnationalen Kräften umgehen soll: „Indem wir aufhören, den Bürgern zu sagen, dass es nationale Lösungen gibt für internationale Probleme gibt.“