Moment mal – der Zwischenruf von Saina Bayatpour - Viele Deutsche haben die Schnauze voll - doch der Flucht-Modus ist keine Lösung

Saina Bayatpour über den Fight-, Flight- und Freeze-Mode.
Saina Bayatpour über den Fight-, Flight- und Freeze-Mode.

Die wachsende Frustration an der Politik führt zu Fluchtgedanken. Dabei sollten wir kurz innehalten und bedenken: Wirkliche Veränderung beginnt mit Selbstreflexion und Menschlichkeit statt Schuldzuweisungen.

Zugegeben, es passiert inzwischen mehrmals pro Woche, dass sich in mir der Wunsch regt, in eine einsame Waldhütte zu ziehen, oder auf eine Insel zu fliehen, fern ab von wachsender Wut, Destruktivität, steigender AfD-Zahlen und der Tatsache, dass Donald Trump wieder Präsident der USA werden könnte.

Irgendwie scheint die Welt wahnsinnig geworden zu sein. Mir kommt es so vor, als ob die Pandemie die Ruhe weggeweht hätte und wir seit dem kaum Atempausen bekommen.

Egal, wo man hinschaut, die Menschen sind verzweifelt, frustriert, wütend und haben auf gut deutsch gesagt, die Schnauze voll. Und in vielen Fällen, verstehe ich sie absolut.

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Unsere Politiker versumpfen im Schaulauf ihrer Egos, anstatt mal wirklich hinzusehen und hinzuhören und auch der Rest der Welt spaltet sich mehr und mehr, anstatt konstruktiv nach Lösungen zu suchen.

Sündenböcke und die Folgen von Frustration

Israel und Palästina, sowie Ukraine und Russland sind gerade in Deutschland brisante Themen, die zu vielen Diskussionen und auch Angst führen, aber damit ist die Liste aktuell stattfindender Kriege und Konflikte leider noch lange nicht beendet.

Dazu gesellen sich noch etliche Naturkatastrophen, denn die Menschen haben zu lange nicht hingesehen und die vermeintlich nicht relevanten Nebenschauplätze fordern nun die Aufmerksamkeit ein, die ihnen zusteht.

Gerade in Zeiten wie diesen ist es sehr bequem den Frust und die Wut zu kanalisieren und einen Schuldigen im Außen zu suchen. „Scheiß Faschisten“, „Dumme AfD-Wähler“, „Radikale Islamisten“ sind nur einige Beispiele ernannter Sündenböcke, die den ganzen Hass aus unterschiedlichen Richtungen abgekommen und als Ursache allen Übels definiert werden.

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Wir leben im Jahr 2024 und sollten geschichtlich bedingt inzwischen wissen, dass mit Krieg, Hass und Ernennung von Schuldigen absolut keine Verbesserung bewirkt werden konnte.

Trotz Fortschritt: Warum stecken wir noch in alten Mustern fest?

Wir leben sogar in einem Zeitalter, in der wir uns ganz bequem die künstliche Intelligenz zu Hilfe nehmen könnten. Ich habe Chat GPT gefragt, was passiert, wenn die Menschen sich weiterhin wütend und frustriert begegnen.

Die Antwort war: Wenn Menschen weiterhin wütend und frustriert aufeinander treffen, kann dies zu einer Eskalation von Konflikten führen. Die Kommunikation wird erschwert, Missverständnisse nehmen zu und das Vertrauen zwischen den Menschen schwindet.

Dadurch können Spannungen und Feindseligkeiten zunehmen, was zu aggressivem Verhalten, Gewalt und sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen führen kann.

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Selbstverständlich, hätte man auch mit reinem Menschenverstand die Frage so beantworten können, aber wieso ziehen wir dann nicht die Handbremse und ändern etwas?

Warum unser Verstand oft aussetzt

Wir Menschen haben evolutionär so viele Fortschritte gemacht. Wir haben phänomenale Erfolge in Forschung und Medizin. Wir fliegen auf dem Mond. Wir haben sogar eine künstliche Intelligenz erschaffen, die unsere eigene manchmal in den Schatten stellt.

Aber wir sind immer noch nicht in der Lage, den Welthunger zu stoppen, Rassismus zu beenden, oder vernünftig miteinander an Lösungen zu arbeiten, statt uns gegenseitig mit Wut, Hass und Schuldzuweisungen zu begegnen.

Warum ist das so? Was schaltet regelmäßig unseren klaren Verstand aus und lässt uns wie unsere Vorfahren die Neanthaler reagieren?

Es ist unser angeborener Instinkt und dieser hat sich seit der Steinzeit leider nicht weiterentwickelt, denn sein Nährboden ist die Angst und er hat nur drei Lösungsansätze: Die Fight-, Flight-, Freeze-Reaktion (deutsch: Kampf-, Flucht-, Erstarr-Reaktion).

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Diese Reaktionen sind tief in unserem biologischen und neurologischen System verwurzelt und dienen dazu, uns schnell auf potenzielle Bedrohungen vorzubereiten und unser Überleben zu sichern.

Angst als schlechter Ratgeber

Kommen wir in für uns neue, stressige, emotionale oder aufreibende Situationen, erstarren, fliehen oder kämpfen wir und das obwohl wir uns anders als unsere Vorfahren selten in lebensbedrohlichen Situationen befinden und unser Überleben sichern müssen.

Doch unser Instinkt zwingt uns förmlich zu einen dieser drei Handlungsweisen, wenn wir der Angst das Zepter überlassen und wie Sie sicher wissen, war und ist Angst selten ein guter Ratgeber.

Indem wir verstehen, wie diese Reaktionen funktionieren, können wir besser darauf reagieren und angemessene Bewältigungsstrategien entwickeln, um mit stressigen Situationen anders umzugehen.

Hinterfragen und rational reagieren

Mein Zwischenruf lautet: Lassen Sie ihre Angst nicht regieren und durchbrechen Sie Instinkte, die ihren Ursprung in der Steinzeit haben. Bleiben Sie stehen und fragen Sie sich, warum sie gerade so reagieren, wie sie es tun. Sind sie wirklich in Gefahr? Ist alles wirklich so schlimm?

Liegt die Ursache für die Wut nur im Außen? Ich habe mir jedenfalls die Frage gestellt, denn scheinbar war mein Flucht-Modus aktiviert. Ich habe mich gefragt, ob Flucht wirklich die Lösung ist und was mir gerade wirklich Angst macht.

Ich lebe nicht in den USA und auch wenn sie eine Weltmacht ist, bin ich nicht komplett von der Politik von Trump betroffen und noch ist er nicht Präsident.

Die steigende Zahlen rechtsorientierter Parteien machen mir Angst, denn davon bin ich betroffen, aber wir reden hier von aktuell 17,2 Prozent bei der Umfrage zu den anstehenden Wahlen.

Aktiv handeln statt fliehen

Also ist die Mehrheit gegen eine rechts orientierte Regierung, die Minderheit ist nur lauter und sollte sich dies irgendwann doch noch ändern, kann ich immer noch handeln. Naturkatastrophen passieren überall, auch in Wäldern und auf einsamen Inseln.

Fliehen ist somit keine Lösung. Sie ist nur eine veraltete Reaktion basierend auf Angst. Den Kopf in den Sand zu stecken hat noch nie jemandem geholfen, geschweige ihn weiter gebracht, also ist Erstarren auch kein Ansatz. Was kann ich demnach konkret tun?

Ich kann meine Perspektive verändern und für meine Werte wie Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Respekt und Mitgefühl einstehen. Ich kann zu Lösungen beitragen und aufhören mich von den Problemen ängstlichen zu lassen. So kann ich klug und proaktiv, statt frustriert und destruktiv handeln.

Jetzt zur inneren Veränderung

Ich habe mich entschieden, zu bleiben und versuche, aktiv zu verändern. In erster Linie mich selbst und meine Reaktionen, denn die Veränderung beginnt immer in und bei uns selbst. Ich nähre meinen Verstand und lasse die Angst aushungern.

Wenn das jeder Einzelne tun würde, könnten wir einander wieder wohlwollend begegnen, einander zuhören, Brücken bauen, gemeinsam anpacken und miteinander laufen, statt gegeneinander.

Wir könnten die Angst beiseite schieben und einander die Hand reichen, denn mit geballter Faust, lässt sich nichts greifen, oder aufbauen. Für diese Erkenntnis müssen wir nicht einmal eine KI befragen.