Moment mal – der Zwischenruf von Saina Bayatpour - Auch ich als Migrantin habe die Ampel satt - aber unsere Wut müssen wir klug lenken
Ja, auch mich als Bürgerin mit Migrationshintergrund macht es wütend, wenn ich sehe, dass Abschiebungen scheitern und sich Leute auf „Papa Staat“ ausruhen, während ich Steuern bezahle. Doch Wut kann gefährlich sein. Wir müssen sie jetzt richtig lenken.
Ja, die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sind erschreckend. „Nie wieder“ ist jetzt und traurigerweise scheinen das immer noch nicht alle zu verstehen.
Ich verstehe den Frust. Ich verstehe, dass es so nicht weitergehen kann. Auch als Bürgerin mit Migrationshintergrund macht es mich betroffen und unsagbar wütend, wenn unsere Politik und unser Rechtssystem immer noch nicht in der Lage sind, die Flüchtlingssituation in den Griff zu bekommen. Ich schlafe nachts unruhig, wenn Islamisten, die längst als solche erkannt sind, nicht abgeschoben werden, weil die Bürokratie an Stellen versagt, wo sie an anderer Stelle hart arbeitenden Bürgern Steine in den Weg legt.
Ich bin ebenso entsetzt, dass ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr neben der Schule und der Uni gearbeitet habe, seit bald 18 Jahren Unternehmerin bin, Steuern zahle und Arbeitsplätze schaffe, während andere auf der Tasche von „Papa Staat“ leben, wie sie es selbst nennen. Sie begreifen nicht, dass es keinen „Papa Staat“ gibt, sondern, dass wir anderen hart arbeitenden Menschen das alles finanzieren.
Die Wut kann gefährlich sein – oder Veränderung antreiben
Ich finde, wir hatten noch nie eine so schlechte Regierung, aber ich sehe auch, dass viele Scherben aus vergangenen Legislaturperioden weggefegt werden müssen.
Wut ist eine Emotion, eine der stärksten, die wir haben. Konstruktiv angewendet, ist sie ein perfekter Antrieb für Veränderung. Doch Wut, die nur in Hass und Destruktivität mündet, ist gefährlich. Höchst gefährlich. Bei all dem Frust vergesse ich deshalb nicht, dass die Intelligenz tendenziell nach unten sinkt, wo Emotionen die Führung übernehmen.
Was ich nicht begreifen kann, ist, wie AfD-Wähler nicht akzeptieren wollen, dass die AfD keine Lösung ist. Denn außer in die Wunde zu stechen und den Frust sowie den Hass zu schüren und zu verstärken, tun sie rein gar nichts. Egal, was man über die AfD sagt oder schreibt – sogar wenn man anhand des Wahlprogramms ganz sachlich belegt, dass sie absolut keine Lösung parat hat, sondern nur große Floskeln schwingt – ist der Aufschrei ihrer Wähler groß. „Lügenpresse“, „Verdrehung“, „Manipulation“ und so weiter.
Nur die Frustrierten posaunen ihre Meinung heraus
Wenn ich mir die Kommentare unter meiner Kolumne durchlese, wird mir schlecht. Ignoranz und Unwissen, gepaart mit Rassismus und Hass. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht betroffen macht.
Nach meinem ersten Artikel habe ich den Fehler gemacht, wirklich jeden Kommentar zu lesen. Über 150.000 Menschen hatten meine Kolumne gelesen, und sie hatte mehr als 100 Kommentare. Viele davon genau wie oben beschrieben. Ich habe kurz überlegt, ob ich weiterschreiben und mir das antun möchte.
Wissen Sie, warum ich mich für ein klares Ja entschieden habe? Weil ich sehr viele private Nachrichten von Menschen erhalten habe, die sich verstanden, angesprochen und inspiriert gefühlt haben. Weil ich verstanden habe, dass meistens nur die Frustrierten sich die Mühe machen zu kommentieren und die anderen vielleicht in sich hinein nicken, aber nichts schreiben oder nur privat schreiben. Genau aus dem gleichen Grund, warum ich überlegt hatte, aufzuhören.
Selbst AfD-Politikern wird die eigene Partei zu radikal
Sie haben manchmal Angst, selbst angegriffen zu werden, oder wollen sich das einfach nicht antun. Ich verstehe das. Aber wenn wir aufhören, für unsere Werte und die Demokratie einzustehen, auch wenn es ungemütlich ist, überlassen wir den Rechtsextremen die Bühne. Dann wiederholt sich die Geschichte und wir haben nichts gelernt. Dann werden die Frauenbewegung, die Gleichberechtigung, die Diversität, die Vielfalt und unsere demokratischen Werte nur noch Geschichte sein und nicht mehr unsere gelebte Gegenwart. Die AfD ist keine Alternative, sie ist eine rechtspopulistische Partei und wer das immer noch leugnet, lügt sich in die eigene Tasche.
Viele ihrer eigenen Leute sind aus der AfD ausgetreten, weil sie erkannt haben, dass das Parteiprogramm und die Führung nichts mehr mit dem zu tun haben, womit sie gestartet sind. Der Ex-Vorsitzende Jörg Meuthen sagte: „Die Radikalen haben die Kontrolle über die AfD übernommen.“ Die komplette Stadtratsfraktion der AfD Siegen erklärte öffentlich bei ihrem Austritt aus der Partei: „Den Kampf“ gegen „Nationalbesoffene“, „Radikale“, „Extremisten“, „Höcke-Jünger“ habe man „verloren“. Der Ex-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Markus Plenk, stieg 2019 mit folgendem Satz aus: „Mit Neonazis mache ich mich nicht gemein.“
Die AfD verspricht jedem Baby 10.000 Euro
Auch wenn die Zahlen erschreckend sind, können sie Ansporn sein, noch lauter zu werden und die Demokratie zu verteidigen. Sie können dazu führen, dass wir zusammenrücken und verstehen, dass sich durch Hass nichts verändern lässt, sondern nur mit Zusammenhalt und konstruktiven, sowie realisierbaren Ansätzen. Nur zu versprechen, dass alles besser wird, bringt nichts, wenn die Pläne dazu fehlen. Zu sagen, wir machen alles anders, ohne zu erläutern, wie und wodurch, ist keine Lösung.
In einem ihrer Wahlvideos hat die Thüringer AfD zum Beispiel 10.000 Euro für jedes neugeborene Kind versprochen. „Begrüßungsgeld“ wird das genannt. Auch in Sachsen hat die AfD 5000 Euro versprochen. Wohneigentum soll günstiger werden, die Kita-Plätze gesichert. Tanken wird billiger, das Auftragsbuch der Firmen voll, Nettolöhne steigen, alle ausländischen Straftäter abgeschoben. Klingt großartig, oder?
Was ich mich frage: Wenn alles billiger wird, die Steuern gesenkt werden und jedes Neugeborene 10.000 Euro erhält, wie und womit genau will die AfD das finanzieren? Ich weiß, euphorische AfD-Wähler werden gleich sagen, das könne man mit dem ganzen Geld, das aktuell Migranten erhalten, bezahlen. Das Problem ist nur, dass die angestrebte Remigration auch Millionen und Abermillionen Euro kosten würde. Bei einem Ausländeranteil von rund sieben Prozent in Thüringen würde die Rechnung nicht aufgehen.
70 Prozent sind gegen die AfD
Ich habe früher immer gesagt, dass mich Politik nicht interessiert, aber das war falsch. Politik interessiert mich und vor allem, wie ich sie aktiv mitgestalten und konstruktiv verändern kann. Selbstverantwortung statt die Suche nach Sündenböcken und die Idealisierung von Parteien mit leeren Versprechungen und rechtem Gedankengut.
Auch wenn die Zahlen der Wahl erschreckend sind und wir von 30 Prozent für die AfD sprechen, bedeutet das immer noch, dass 70 Prozent gegen sie sind. Lassen Sie uns gemeinsam für unsere Werte wie Vielfalt, Gleichberechtigung, Gleichstellung und Diversität einstehen und kämpfen. Ich tue es und nehme wieder sinnbefreite Kommentare und Anfeindungen in Kauf. Die Alternative ist nämlich keine Alternative für mich. „Nie wieder“ ist jetzt. Wachen Sie auf.