Moment mal – der Zwischenruf von Saina Cortez - „Trump ist gut für Frauen“: Warum dieser Satz uns alle wachrütteln sollte

Saina Cortez (l) und Donald Trump<span class="copyright">amorefotografie; Alex Brandon/AP/dpa</span>
Saina Cortez (l) und Donald Trumpamorefotografie; Alex Brandon/AP/dpa

Warum feiern Menschen einen homophoben, sexistischen und rassistischen Narzissten wie Trump? Die Nachricht einer Followerin offenbart ein großes gesellschaftliches Problem - auch und vor allem in Deutschland.

„Trump ist gut für uns Frauen“. Ein Satz, der mich bis ins Mark erschüttern ließ. Er kam von einer meiner Followerinnen auf Instagram. Sie schrieb mir auf meinen entsetzten Aufschrei nach Trumps Sieg , dass sie mich und meine Mission für Gleichberechtigung liebe, aber nicht verstehe, warum ich Trump so vehement ablehne. Schließlich würden ihn auch Frauen unterstützen und sie hätte eine Deep-Dive-Recherche betrieben und man solle den Medien nicht glauben. Ich solle mich nicht blenden lassen und verstehen, dass er gut für uns Frauen ist.

Die Rede ist hier von einem mehrfach beschuldigten und verurteilten Sexualstraftäter, der Frauen öffentlich „Miss Piggy“ nennt, wenn sie in seinen Augen zugenommen haben, der sich gegen Abtreibung ausspricht, sogar nach Vergewaltigungen, und der in einem 2005 aufgenommenen und 2016 veröffentlichten Video (bekannt als das Access Hollywood Tape) sagte, dass man als Star Frauen sexuell belästigen könne, ohne deren Zustimmung.

Zitat: „You know, I'm automatically attracted to beautiful – I just start kissing them. It’s like a magnet. Just kiss. I don’t even wait. And when you’re a star they let you do it. You can do anything. Grab 'em by the pussy. You can do anything.“

Homophob, sexistisch, rassistisch – und dennoch wird er gefeiert

Ich muss weder Deep-Dive-Recherche betreiben noch mich von Medien beeinflussen lassen, denn was man Donald Trump lassen muss, ist, dass er einfach immer er selbst ist. Keine aufgesetzte Nettigkeit, kein Schein wie bei vielen anderen Politikern, die oft wie Fähnchen im Wind sind und genau das sagen, was ihnen gerade im Wahlkampf dienlich sein könnte.

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Trump tut das nicht. Er ist homophob, sexistisch, rassistisch und ein absoluter Narzisst. Immer. Seinen Wahlkampf hat er exakt mit den gleichen Stilmitteln geführt , die er auch Jahre zuvor als Reality-TV-Star nutzte. Er „haut“ einfach raus und anstatt empört aufzuschreien, feiern ihn seine Wähler genau dafür. Je grotesker und absurder, desto besser.

Was mich an dieser Nachricht aber so schockierte, ist die Tatsache, dass sie für mich das Sinnbild unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist. Es geht weit über den Wahlsieg von Donald Trump hinaus. Es zeigte mir die Verblendung der Menschen.

Wir leben in einer Welt der Lobbyisten

„Lügenpresse“ ist seit der Pandemie ein sehr häufig benutztes Wort, und ich finde es erschreckend, wie sehr die Menschen den Glauben und das Vertrauen verloren haben. Ich kann es absolut verstehen, denn die Pandemie war für die gesamte Welt eine erschütternde Situation, und auch ich habe meine Einstellung zu vielem seitdem verändert.

Von einem Tag auf den anderen wurden wir quasi lahmgelegt, fast schon entmündigt, und mussten uns an Regeln halten. Viele davon absolut schwachsinnig, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat.

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Vieles wurde hochgeschaukelt, vieles sogar falsch dargestellt, und auch ich weiß, dass dies nicht nur aus Unwissen geschah. Wir leben in einer Welt der Lobbyisten, von denen die Pharmaindustrie nun mal eine der mächtigsten ist.

Lieber einmal zu viel recherchieren, als auf Falschmeldungen hereinzufallen

Gerade während und nach der Pandemie habe ich gelernt, Dinge noch präziser zu hinterfragen, Systeme tiefgehender zu analysieren und Interessengemeinschaften besser zu verstehen.

Wo ich früher Informationen vielleicht einfach hinnahm, recherchiere ich inzwischen lieber einmal zu viel, als auf Falschmeldungen hereinzufallen oder schnell auf eine sogenannte Trendwelle aufzuspringen.

Durch Social Media verbreiten sich Informationen, ganz gleich, ob wahr oder falsch, wie Flutwellen und schaukeln sich binnen Stunden zu Trendwellen hoch. Die Wahrheit ertrinkt oft dabei, doch diese Tatsache scheint ein Preis zu sein, den viele bereitwillig zahlen.

Anstatt uns zu verbinden, suchen wir lieber einen Schuldigen

Auch ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich aus Wut vorschnell urteile oder auf einen Zug aufspringe, dessen Fahrtrichtung ich nicht in Gänze kenne. Es ist so leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, denn das lenkt von einem selbst ab.

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Die Ernennung eines Schuldigen kanalisiert die Wut und den Frust und holt einen zumindest für einen kurzen Augenblick aus der Ohnmacht heraus. Ich weiß, dass sich viele aktuell ohnmächtig fühlen, denn das tue ich auch.

Machtlos schaue ich zu, wie die Welt ins Wanken gerät. Doch anstatt uns zu verbinden und gemeinsam konstruktiv nach Wegen zu suchen, wollen wir lieber einen Schuldigen finden, denn dann können wir unseren Frust auf ein Ziel richten.

Wahrheit ist heute nicht mehr objektiv, sie ist subjektiv

Mir fällt auf, wie oft Menschen eine Sache aufgreifen, die mit ihrer Denkweise übereinstimmt, und den Rest förmlich ausblenden. Sie biegen sich die Wahrheit zurecht und sobald ein Hauch von Gegenwehr kommt, brüllen sie „Lügenpresse“ und fordern die Gegenseite auf, „aufzuwachen“ und sich „nicht länger manipulieren zu lassen“. Selbst wenn man ihnen mit Fakten und Tatsachen entgegenhält, wollen sie es nicht wahrhaben.

Wahrheit ist heute nicht mehr objektiv, sie ist subjektiv, und das macht die aktuelle Zeit so gefährlich. Wo Vertrauen und der Glaube an Systeme fallen, beginnt der Rückschritt, denn die Menschen suchen verzweifelt nach alten Strukturen, an denen sie sich festhalten, und nach einem Sündenbock, dem sie die Schuld für die Misere geben können.

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Sie sehnen sich nach jemandem, der ihren ernannten Sündenbock in die Arena jagt und für sie zur Rechenschaft zieht. Sie wählen dann lieber einen alten weißen Mann, der für Regression steht, als eine Frau, die in ihren Augen für Fortschritt, gleichgesetzt mit Unsicherheit steht.

Sündenböcke sind keine Lösung – sie entziehen uns die Selbstverantwortung

Auch unsere Regierung steht aktuell auf extrem wackligen Beinen. Auf gut Deutsch: Sie hat versagt. Was also können wir tun? Ebenfalls einen Sündenbock suchen und zusehen, wie Wut, Hass und Wahnsinn die Macht übernehmen? Die Emanzipation, Diversität und Integration über Bord werfen und damit die Grundpfeiler unserer Demokratie? Ich weiß, dass sich viele genau das wünschen, aber Gott sei Dank sind viele nicht alle.

Es gibt auch in meinem Leben durchaus Tage, an denen ich mir wünsche, alle Probleme würden sich in Luft auflösen. Auch ich beschönige dann die Wahrheit, damit sie etwas erträglicher erscheint, als sie tatsächlich ist, und suche nach einem Sündenbock, um mich der Selbstverantwortung zu entziehen – und das sage ich keineswegs überheblich.

Ich habe nicht nur von Krieg gelesen oder ihn in Filmen gesehen, sondern ihn über sieben Jahre hinweg hautnah erlebt. Ich weiß, wie sich Frustration, Wut und Angst anfühlen. Doch Angst ist oft ein schlechter Ratgeber. Sie vernebelt den Verstand und lässt auch mich manchmal vergessen, dass viele eben nicht alle sind.

Ich werde weiterhin versuchen, Systeme kritisch zu hinterfragen, mich weder blenden noch verblenden lassen, die Wahrheit objektiv betrachten und meine Verantwortung subjektiv überdenken.

Ich werde den Dialog suchen, selbst wenn dies bedeutet, auf Menschen zuzugehen, die nicht meiner Meinung sind. Denn nur im konstruktiven Austausch können wir einander wirklich verstehen und gemeinsam voranschreiten, anstatt die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.