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Rohingya-Krise verschärft sich weiter

Ein Kind der Rohingyas hockt in einem Flüchtlingslager in Cox's Bazar unter einem Regenschirm. Foto: Dar Yasin
Ein Kind der Rohingyas hockt in einem Flüchtlingslager in Cox's Bazar unter einem Regenschirm. Foto: Dar Yasin

Als sei ihre Lage nicht schon drastisch genug, müssen die aus Myanmar geflüchteten Rohingya nun auch noch mit Monsunregen zurechtkommen. Bangladesch zügelt zudem ihre Bewegungsfreiheit. Experten rufen zu mehr Druck auf Myanmars Armeechef auf.

Cox's Bazar (dpa) - Die humanitäre Krise der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch spitzt sich dramatisch zu. Der Wetterdienst des Landes warnte vor Stürmen und Monsunregen in der südlichen Region um den Bezirk Cox's Bazar.

Dorthin waren nach UN-Angaben seit dem 25. August rund 415 000 Rohingya geflüchtet. Viele von ihnen schlafen im Freien, da die Flüchtlingslager längst voll sind und es auch an Zelten mangelt. Rund 170 000 von ihnen hätten keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsversorgung, hieß es von den Vereinten Nationen in New York am Montag. Trotz umfassender Bemühungen hätten die UN bislang keinen Zugang zu der Rakhine-Provinz in Myanmar.

Zwei Migranten, die mit anderen auf einem Hügel übernachteten, waren zuvor von wilden Elefanten totgetrampelt worden - darunter ein zweijähriges Kind. Zudem beschränkte Bangladeschs Polizei die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge.

Die Krise soll auch Thema bei der am Dienstag beginnenden Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York sein. Der britische Außenminister Boris Johnson hatte für Montag bereits ein Treffen hinter verschlossenen Türen einberufen. Das könne aber nur «ein erster Schritt» sein, kritisierte Louis Charbonneau von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die UN-Vollversammlung müsse die Menschenrechtsverletzungen per Resolution verurteilen und der UN-Sicherheitsrat müsse Sanktionen und ein Waffenembargo verhängen.

Die Rohingya dürften die für sie vorgesehenen Gebiete in Cox's Bazar nicht verlassen, hatte die Polizei am Wochenende angeordnet. Sie müssten dort bleiben, bis sie in ihr Heimatland zurückkehrten. Die Flüchtlinge dürften weder reisen noch bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Die Bevölkerung solle sie nicht bei sich aufnehmen oder irgendwohin fahren, hieß es.

Am Montag gab Bangladeschs Polizeichef Shahidul Hoque in der Hauptstadt Dhaka die Festnahme von 200 Rohingya bekannt, die außerhalb dieser Gebiete gewesen seien. Sie würden in provisorische Camps in den Orten Ukhiya und Teknaf geschickt, wo die Regierung den Bau neuer Lager plant. «Es war zu ihrem eigenen Wohl», sagte Hoque.

Die deutsche Bundesregierung trägt 60 Millionen Euro zum Nothilfefonds der Vereinten Nationen bei, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mitteilte. Es sei «Hauptaugenmerk, eine noch größere Ausbreitung der humanitären Notlage, die wirklich himmelschreiend auf beiden Seiten der Grenze ist, zu verhindern». Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen rief Myanmar dazu auf, Helfer in den Bundesstaat Rakhine hineinzulassen.

Am 25. August hatten Rohingya-Rebellen in Rakhine Polizei- und Militärposten angegriffen, worauf die Armee nach eigenen Angaben mit einer «Räumungsoperation» reagierte. Flüchtlinge erzählten, dass Soldaten und Selbstjustiz-Mobs ihre Dörfer niedergebrannt und wahllos Menschen erschossen hätten. Menschenrechtsorganisationen und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, warfen Myanmar eine ethnische Säuberung vor. Die Rohingya sind staatenlos, seit ihnen das damalige Birma 1982 die Staatsbürgerschaft entzog. Bereits vor der jüngsten Massenflucht lebten rund 400 000 Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch - jetzt sind es mehr als 800 000 in Bangladesch, das mehr als 160 Millionen Einwohner hat.

In Dhaka demonstrierten Tausende Anhänger der islamistischen Organisation Hefazat-e-Islam Bangladesh für einen eigenen Staat für die muslimische Minderheit der Rohingya. Die Unabhängigkeit von Rakhine als Staat für Muslime sei die einzige Lösung der Krise, sagte ein Anführer der Gruppe, Noor Hossain Kasemi, den Teilnehmern.

Vor Beginn der UN-Vollversammlung in New York am Dienstag erklärte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einer Mitteilung, die dort erwarteten Regierungschefs und Staatsoberhäupter sollten sich für ihr «erbärmliches Versagen» schämen. Sie hätten ein Jahr nach dem Flüchtlingsgipfel bei der bislang letzten Generalversammlung nicht nur ihre Versprechen nicht gehalten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. In vielen Teilen der Welt hätten sie sogar die Rechte von Flüchtlingen aktiv abgebaut.

«Die schreckliche Situation in Myanmar zeigt genau, warum wir mehr als nur einen Heftpflaster-Ansatz brauchen, um denjenigen zu helfen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten», sagte Amnesty-Chef Salil Shetty. Zuvor hatte die Organisation angegeben, ihr lägen Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Myanmar vor.

Internationale Beobachter haben wiederholt das Schweigen von Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi kritisiert. Er würde erwarten, dass die Staatschefin die Gewalt unter Kontrolle bringen könnte und in der Lage wäre, die Situation zu entschärfen, sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Sonntag dem britischen Sender BBC. «Sie hat eine Chance, eine letzte Chance, dies zu tun.» Suu Kyi hat ihre Teilnahme an der Vollversammlung abgesagt und eine Fernsehansprache an die Nation am Dienstag angekündigt.

Manche Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass vor allem Myanmars Armeechef Min Aung Hlaing unter Druck gesetzt werden müsse. Wenige Jahre nach dem Ende der Diktatur im früheren Birma hat das Militär im Parlament immer noch ein Viertel der Mandate unter seiner Kontrolle, ebenso wie das Innen- und das Verteidigungsministerium. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch rief am Montag zu neuen Sanktionen und einem Waffenembargo gegen das Militär des südostasiatischen Landes auf.

«Die einzige Person mit der Macht, das Schießen, Niederbrennen und Töten der Soldaten zu stoppen, ist der Oberbefehlshaber, General Min Aung Hlaing», sagte der britische Menschenrechtsaktivist und Myanmar-Experte Benedict Rogers der Deutschen Presse Agentur. «Es ist an der Zeit, dass die Aufmerksamkeit und der Druck der Welt auf ihn gerichtet werden.»