Morgens „vollen Service“ bieten - Neun Dinge brauchen Kinder heute zum Schulstart von ihren Eltern

Schulkinder – was brauchen sie wirklich von ihren Eltern?<span class="copyright">Getty Images</span>
Schulkinder – was brauchen sie wirklich von ihren Eltern?Getty Images

Wenn Kinder in die Schule kommen, sind sie nicht mehr klein – aber auch noch nicht groß. In manchen Situationen brauchen sie noch mehr Unterstützung als wir glauben, in anderen sollten Eltern sich besser zurückhalten. Erziehungsexpertin Nicola Schmidt erklärt, worauf es ankommt.

Wenn ein Kind zum Schulkind wird, beginnt eine spannende und zugleich herausfordernde Zeit für jede Familie: Wie können Eltern ihr Kind bei all den neuen Herausforderungen unterstützen? Wie gehen Eltern mit dem Druck um, der auf ihrem Kind, aber nicht selten auch auf ihnen selbst lastet?

Die Bestsellerautorin, Familienexpertin und Gründerin des „Artgerecht“-Projekts Nicola Schmidt hat ihre bekannte Ratgeberreihe um ein weiteres Buch ergänzt. „Artgerecht – das andere Schulkinderbuch“ ist kürzlich erschienen und soll Eltern von Schulkindern eine Orientierung für die turbulenten Jahre zwischen Kleinkindzeit und Pubertät geben.

Im Gespräch mit FOCUS online erzählt Schmidt, was Schulkinder heute von ihren Eltern brauchen:

1. Eltern, die ihnen nicht den Spaß an der Schule verderben

Wir haben es als Kinder selbst oft genug gehört und geben es nicht selten an unsere Kinder weiter, ohne das zu hinterfragen: Kindern, die bald in die Schule kommen, wird auch heute noch gesagt: „Jetzt fängt der Ernst des Lebens an!“

„Besser kann man Kindern den Spaß an der Schule nicht verderben“, sagt Nicola Schmidt. Auch Sätze wie: „In der Schule kannst du dir das nicht mehr leisten“ seien eine schlechte Idee. „Schule soll auch Spaß machen“, findet die Expertin.

Und die Chance, dass Kinder mit einem offenen Herzen auf die neue Herausforderung zugehen können, steigt, wenn wir ihnen nicht vorher schon Angst davor machen.

2. Eltern, die den Druck rausnehmen

Wenn Kinder in die Schule kommen, ist plötzlich ganz viel Druck da: Sie müssen stillsitzen, zuhören, mitmachen, sich an neue Regeln halten, ihre Aufgaben lösen und das alles möglichst schnell und möglichst gut. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern nicht noch mehr Druck aufbauen, sondern im Gegenteil versuchen, möglichst viel Druck rauszunehmen. Denn:

„Wenn wir Druck aufbauen, riskieren wir, dass es schiefgeht. Was mit Druck funktioniert, das funktioniert in Wirklichkeit überhaupt nicht“, sagt Nicola Schmidt.

Vielen Eltern fällt das jedoch nicht leicht, da sie selbst auch oft einen starken Druck empfinden, dass ihr Kind möglichst gute Leistungen zeigt. „Die Eltern müssen es schaffen, den Druck, den sie von der Schule und auch von der Gesellschaft bekommen, nicht an die Kinder weiterzugeben. Das ist der Knackpunkt“, meint die Erziehungsexpertin. „Wenn ich mit Eltern von Grundschulkindern spreche, sagen sie oft: ‚Ich hab so viel Angst und so viel Druck'.“

 

3. Eltern, die ihre eigene Schulzeit reflektieren

„Wir müssen uns mit unserer eigenen Schulzeit beschäftigen“, sagt Nicola Schmidt. „Wir müssen uns fragen: Was habe ich in der Schule erlebt? Welche Bilder habe ich im Kopf, wenn ich an Schule denke?“

Nur wenn sich Eltern mit ihrer eigenen Schulzeit ganz bewusst auseinandersetzen, können sie verhindern, dass sie ihre Erfahrungen unbewusst an ihre Kinder weitergeben. Und das gilt nicht nur für negative Erlebnisse:

„Es spielt keine Rolle, ob die Schulzeit der Eltern gut oder schlecht war. War sie gut, erwarten sie von ihrem Kind, dass es auch bei ihm gut laufen wird. War sie schlecht, haben sie möglicherweise Angst, dass es auch bei ihrem Kind schiefgeht.“ Beides könne Druck aufbauen, der unbewusst auf die Kinder übertragen werden kann.

4. Eltern, die die Schule nicht zwischen sich und ihr Kind kommen lassen

„Lass niemals die Schule zwischen dich und dein Kind kommen! Das ist etwas, das ich immer wieder sage. Wir dürfen unserem Kind nicht in den Rücken fallen“, sagt Nicola Schmidt. „Wenn etwas für mein Kind nicht funktioniert, dann funktioniert es nicht . Egal was die Schule sagt – es funktioniert für mein Kind nicht.“

Das hieße im Umkehrschluss allerdings nicht, dass ein Kind sich in der Schule alles erlauben darf, worauf es Lust hat. Natürlich gibt es sinnvolle Regeln, an die sich alle halten sollten. Aber Sätze wie:

  • „Der Lehrer hat aber gesagt… „

  • „Jetzt lüg nicht…“

  • „Du musst aber…“

würden einfach nur Druck aufbauen. „Druck erzeugt keine Lernatmosphäre“, betont Schmidt.

Wenn Kinder hingegen ihre Eltern auf ihrer Seite wissen, können sie mit Schwierigkeiten im Schulalltag viel besser umgehen.

 

5. Eltern, die morgens vollen Service bieten

Wenn Kinder in die Schule kommen, kann es vorkommen, dass sie einen Schritt zurück machen und Dinge nicht mehr können, die sie vorher schon gemeistert haben: „Wenn Kinder einen neuen Schritt machen, gehen sie vor Schreck oft erst mal einen Schritt zurück“, erklärt Schmidt. „Wenn sie Geschwister kriegen, wenn wir umziehen, wenn sie in die Kita kommen, wenn sie in die Schule kommen – das ist ganz normal.“ Wichtig sei, dass wir ihnen diese regressive Phase erlauben, anstatt sie anzutreiben und Druck zu machen.

Gerade, wenn Kinder frisch eingeschult sind, ist am Anfang noch alles spannend, sie ziehen sich freudig morgens an, schauen in ihren Schulranzen, bemühen sich, pünktlich fertig zu sein. Aber nach ein oder zwei Wochen ist der Anfangszauber oft schon verflogen und für manche Kinder ist es zu anstrengend, jeden Morgen so selbstständig zu sein. „Viele Eltern sagen dann: ‚Du bist jetzt ein Schulkind! Du hast das die erste Woche doch auch geschafft, jetzt reiß dich mal zusammen!‘ Die Kinder gehen dann schon gestresst in die Schule. Wie sollen sie dann gut lernen?“

Daher sei sie eine große Anhängerin des „Full Service Parenting“. Das bedeutet: Wir Eltern bieten morgens den vollen Service an. Das kann zum Beispiel heißen:

  • Wir ziehen die Kinder morgens an

  • Wir diskutieren nicht mit ihnen

  • Wir machen ihnen Frühstück

  • Wir packen ihre Sachen

  • Wir erinnern sie, dass sie uns den Ranzen und die Brotdose bringen sollen

Eltern müssten keine Angst haben, dass ihr Kind dadurch unselbstständig wird: „Die Kinder lernen das, indem wir diese Dinge Stück für Stück wieder an die Kinder abgeben“, erklärt Schmidt. „Sie lernen es, wenn sie soweit sind. Und das kann locker bis in die zweite oder dritte Klasse dauern, denn es ist gar nicht so einfach, sich an so einen Rhythmus anzupassen.“

 

6. Eltern, die Fünfe gerade sein lassen können

Gerade, wenn es um Hausaufgaben geht, kommt es in vielen Familien regelmäßig zu Streit. Hier empfinden häufig die Eltern einen gewissen Druck und fühlen sich in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Hausaufgaben ordentlich erledigt werden.

Doch gerade beim Thema Hausaufgaben dürfen Eltern locker bleiben. Aus wissenschaftlicher Sicht seien sie ohnehin vollkommen überbewertet, meint Schmidt. Eltern dürfen sich also fragen, ob ein Streit um nicht gemachte Hausaufgaben nicht mehr schadet als hilft. Auch hier gilt: „Lass die Hausaufgaben nicht zwischen dich und dein Kind kommen!“

Wie also mit dem Dilemma umgehen? „Wenn man schon Hausaufgaben machen muss, was nachweislich nicht besonders hilfreich ist, dann sollten Eltern ihren Kindern beibringen, wie sie die Aufgaben effizient erledigen können“, sagt die Expertin.

Dazu gehört zunächst einmal, dass wir herausfinden, was wirklich gefordert ist. Müssen die Kinder wirklich die ganze Seite im Matheheft machen? Oder hat die Lehrerin gesagt, sie sollen eine halbe Stunde rechnen?

Im nächsten Schritt können Eltern ihrem Kind helfen, die Aufgaben effizient zu lösen. Zum Beispiel:

  • Male den Buchstaben N nach, aber nicht hundertmal, zehnmal reicht auch

  • Leg deinen Aufsatz so an, dass du keine ganze Seite schreiben musst, sondern nur eine halbe

  • Schreib dein L so oft du kannst und Lust hast, den Rest übernehme ich

7. Eltern, die wissen, wann sie sich einmischen – und wann sie sich zurückhalten müssen

Es gibt Momente, in denen Kinder die Unterstützung ihrer Eltern brauchen. Aber es gibt auch Bereiche, in die Eltern sich nicht einmischen sollten. Dazu gehören etwa Freundschaften. Sätze wie:

  • „Mit dem solltest du aber nicht spielen“, oder

  • „Der würde ich aber mal die Meinung sagen“

sollten Eltern sich besser sparen, findet Nicola Schmidt. Warum? „Wenn wir uns hier zu stark einmischen, riskieren wir, dass unsere Kinder mit ihren Problemen nicht mehr zu uns kommen.“ Stattdessen könnten wir sie bei Schwierigkeiten fragen: Soll ich dir helfen, soll ich dir nur zuhören, oder brauchst du eine Umarmung?

„Das ist etwas, was wir als Eltern lernen müssen“, sagt Schmidt. „Wenn ich meinen Kindern diese Frage stelle, bekomme ich in 90 Prozent der Fälle die Antwort: ‚Mama, ich will einfach nur, dass du zuhörst.‘ Das fällt mir schwer, aber ich höre dann nur zu und halte die Klappe.“

In anderen Fällen brauchen Kinder aber durchaus elterliche Unterstützung:

„Wenn ich merke, dass es bei der nervigen Mitschülerin nicht mehr darum geht, dass jemand einfach nur doof ist, sondern wenn Kinder zum Beispiel systematisch mobben oder gemobbt werden. Und zwar sowohl von Kindern als auch von Lehrern. Wenn sich solche Strukturen bilden, muss ich sofort eingreifen.“

8. Eltern, die Medienkompetenz vermitteln

„Medienkompetenz ist für Schulkinder heute ein Riesenthema“, sagt Schmidt. „Das kommt auf uns zu, ob wir wollen oder nicht. Und da brauchen unsere Kinder – aber ehrlich gesagt auch wir Eltern – sehr viel Unterstützung.“

Auch viele Lehrer wüssten oft gar nicht, was die Kinder mit den Handys im Unterricht oder auf dem Pausenhof machen.

„Gerade in Deutschland haben wir da sehr viele unregulierte Räume. Allein schon, dass an vielen Schulen Handys völlig unkontrolliert mitgenommen werden dürfen. Es gibt keine einheitlichen Regeln und das müsste so nicht sein. Wir könnten zum Beispiel einmal einen Blick in andere Länder werfen, die mehr Erfahrung haben und uns Best Practices abschauen“, meint Schmidt.

Vor allem aber sollten Eltern sich mit dem Thema Medienkompetenz befassen. Dazu gehört, die eigene Mediennutzung reflektieren, denn Kinder schauen sich das Verhalten der Eltern ab. Besonders wichtig ist auch, dass Eltern Interesse an dem zeigen, was ihre Kinder an den Geräten und im Internet machen und signalisieren, dass sie bei Fragen oder Problemen ein offenes Ohr haben. Denn die Kinder damit allein zu lassen, wäre mehr als fahrlässig:

„Ließen wir Kindern komplett freie Hand, ist es ähnlich, wie wenn wir ihnen ein Streichholz und einen Benzinkanister gäben und sagen: ‚Viel Spaß, du kannst jetzt lernen, wie man Feuer macht'.“

 

9. Eltern, die nachsichtig sind

Schulkinder sind so vielen Herausforderungen ausgesetzt, dass es ganz normal ist, wenn Sachen auch mal schiefgehen. Ein Klassiker:

„Es ist Montagmorgen nach den Ferien und die Brotdose ist schon soweit, dass sie mich mit dem Vornamen anspricht“, sagt die Expertin. Auch ein verlorener Turnbeutel oder eine vergessene Hausaufgabe können für Unfrieden sorgen. Doch:

„Statt zu schimpfen, können wir sagen: ‚Das kann schon mal passieren.‘

„Der Trick ist, dass wir nicht sagen: ‚Macht nichts‘. Sondern ich sage: ‚Das kann schon mal passieren‘, was impliziert: Das sollte nicht passieren . Das ist der erste Kniff. Der zweite ist, dass ich sage: ‚Das kann schon mal passieren. Nächstes Mal räumen wir die Brotdose gleich aus. Oder: Schau morgen bitte noch mal in der Turnhalle nach.‘“

Dieser einfache Satz hat viel Kraft, denn:

„Das kann schon mal passieren, heißt: Das kann auch mir passieren“, sagt Schmidt. Damit würden wir unseren Kindern deutlich machen: Es sollte eigentlich nicht passieren – aber es ist geschehen und es kann passieren.

„Es bringt den Kindern genau diese Entspannung von: Ich bin jetzt vielleicht nicht perfekt – aber ich muss auch nicht perfekt sein. Keiner von uns muss perfekt sein. Das finde ich so schön. Dieses Wissen: Okay, ich kann es noch nicht, aber ich werde es lernen. Und: Jeder macht Fehler. Kinder und Erwachsene. Wir sind Menschen. Und wir lernen das. Das ist super entlastend für alle.“