Musk teilt Post von AfD-Anhängerin - „Anti-Greta“ hetzt gegen deutsches Vergewaltigungsurteil - dann eskaliert eine Lüge
Mehr als 26 Millionen Mal wurde auf „X“ ein Post zur Vergewaltigung einer 15-Jährigen aus Osnabrück durch einen Syrer angezeigt, nachdem Elon Musk ihn teilte. Hinter dem Post steckt eine umstrittene junge deutsche Influencerin, die wie Musk Verschwörungstheorien propagiert und am rechten Rand agiert.
Youtube hatte ihren Account 2021 wegen Verstößen gegen Communityrichtlinien gesperrt, inzwischen ist sie mit ihm wieder online: Naomi Seibt. Schon vor vier Jahren hatte sich die heute 24-Jährige wegen ihrer den Klimawandel leugnenden Thesen als „Anti-Greta“ einen Namen gemacht. Seibt, die im Alter von 16 Medienberichten zufolge ein glattes Einser-Abi hinlegte, war damals bekannt geworden als der AfD nahestehende Influencerin am rechten Rand mit ausgeprägtem Hang zu Verschwörungstheorien.
Einen ihrer jüngsten Posts hat die Münsteranerin, um die es nach der Sperrung ihres Youtube-Kanals still geworden war, einer Nachricht gewidmet, die in Englisch auf einem Portal namens „Remix News“ erschien. Übersetzt trägt sie die Überschrift „Deutschland: Mann kritisiert Richter, der Syrer für Vergewaltigung von 15-Jähriger verurteilt hat - und wird doppelt so hoch bestraft“.
Falsche Zusammenhänge zu Lasten deutscher Justiz suggeriert
Pikant daran sind vor allem zwei Dinge.
Erstens: Die Überschrift suggeriert deutlich, dass ein Mann, der verbal Kritik an der Entscheidung eines deutschen Richters zu einer Vergewaltigung geäußert hatte, dafür eine doppelt so hohe Strafe wie jener Syrer erhielt, der ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt hatte. Doch dies ist so, wie es in der Überschrift zum Ausdruck kommt, falsch.
Zweitens: Auf „X“ folgen Seibt inzwischen mehr als 300.000 Follower. Dass ihr Post zu den beiden Urteilen der Vergewaltigung inzwischen von mehr als 26 Millionen angezeigt wurde, ist vor allem dem reichsten Mann der Welt zu verdanken: Elon Musk. Er teilte den Post auf jenem Portal, das ihm selbst gehört.
Musk ist auch Chef von Tesla sowie des weltweit größten Raumfahrt-Unternehmen „Space X“ und wurde vom designierten US-Präsidenten Donald Trumps zum Sonderberater ernannt. Er ließ die deutsche Justiz mit seinem Kommentar zu Seibts Post „This is messed up“ - „Das ist eine Schweinerei“ - noch dümmer aussehen als Naomi Seibt mit ihrem Post. Und Musk hat rund 207 Millionen Follower, seine Posts werden Menschen in der ganzen Welt angezeigt.
Behauptete Fakten entsprechen nicht der Wahrheit
Die Influencerin bezeichnet Deutschland in einem ihrer Post als „profitable Tyrannei“. Das Einzige, was ihre Leser außer der Schlagzeile zu dem Fall allerdings noch erfahren, ist eine Bemerkung des Richters zu dem verurteilten Vergewaltiger, worüber auch FOCUS online seinerzeit berichtete: „Sie sind ja auf einem guten Weg, hier ein ganz normaler Mitbürger zu werden.“ Klingt in diesem dürftigen Kontext wirklich nach einer Schweinerei.
Doch schon ein kurzer Blick auf die Fakten zeigt, dass hier Dinge behauptet, geteilt und hämisch kommentiert werden, die keinesfalls der Wahrheit entsprechen.
Denn was in der Meldung nicht steht, ist, dass sich die Schlagzeile ausschließlich auf zwei verhängte Geldstrafen bezieht. Für die „ehrverletzende Weise“, mit der der Mann den Osnabrücker Richter in einer Mail an das Amtsgericht als „offenbar geistig gestört“ bezeichnet hatte, brummte ihm die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 5000 Euro auf, berichtete das Onlineportal „Nius“. Der Syrer hingegen war zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3000 Euro an das Opfer verurteilt worden.
Mit keiner Silbe geht aus Seibts Post hervor, dass der Syrer vom Jugendschöffengericht in Osnabrück auch zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die Strafe wurde aus mehreren Gründen zur Bewährung ausgesetzt. Unter anderem auch deswegen, weil es sich laut Urteilsbegründung, die FOCUS online vorliegt, um eine Vergewaltigung „am unteren Rand“ gehandelt habe, was die angewendete Gewalt und die Schädigung des Opfers betrifft. Ebenso unerwähnt bleibt, dass die Geldstrafe laut „Nius“ von 5000 Euro am Ende auf ein Drittel reduziert wurde.
Aber unter dem Post von Seibt gibt es hunderte Kommentare, die allermeisten User greifen die Halbwahrheiten und Lügen auf, regen sich fürchterlich über den aus ihrer Sicht aufgedeckten Justizskandal und über die angeblich hoffnungslose Lage in Deutschland auf.
Investigativ-Team: Falsche Behauptungen von Seibt zu Coronakrise
Das Investigativ-Portal „Correctiv“ beschäftigte sich bereits mehrfach mit Seibt. Nach einem „Faktencheck“ während der Corona-Krise kam das Portal zu dem Schluss, dass die „rechte Youtuberin irreführende Behauptungen“ zum Coronavirus und den PCR-Tests verbreitet habe.
So hätten sich ihre damals auf Facebook in einem Video verbreiteten Behauptungen als „falsch“ oder „unbelegt“ erwiesen. Dazu zählen jene, dass das damals neuartige Virus bislang nicht isoliert worden sei und PCR-Tests nur auf einem Computermodell des Virus-Genoms basierten, weswegen sie als „unzuverlässig“ gälten.
Das Video stammt laut „Correctiv“ ursprünglich vom Youtube-Kanal der AfD-Bundestagsfraktion. Es soll Seibt auf der „2. Konferenz der Freien Medien“ zeigen, die auf Einladung der AfD am 10. Oktober 2020 in Berlin stattgefunden hatte, wo sich die damals 19-Jährige 21 Minuten über angebliche „Coronamärchen“ ausgelassen hatte.
Seibt nennt menschengemachten Klimawandel „Verschwörungstheorie“
Immer wieder skeptisch äußert Seibt sich auch zum Thema Klimawandel. Auf diesem Gebiet hatte sie ihren ersten großen Auftritt Ende 2020 in München bei einer Veranstaltung des „Europäischen Instituts für Klima und Energie“ (EIKE).
Hinter dem akademisch wirkenden Namen steckt statt einer seriösen Klimaforscher-Gruppe ein eingetragener, AfD-naher Verein, der sich dem wortreichen Leugnen des Klimawandels verschrieben hat. In einer fünfminütigen Rede erklärte sie seinerzeit in München begeistert, dass sie es EIKE verdanke, erkannt zu haben, dass Theorien zum menschengemachten Klimawandel, an die zu glauben sie in der Schule erzogen worden wäre, nichts weiter als „Verschwörungstheorien“ seien.
Infos von „pseudowissenschaftlichen Think Tanks“ vertraut
Wie die AfD kritisiert auch Seibt immer wieder „Mainstream-Medien“ und betonte schon damals, wie sehr sie „unabhängige“ Informationen über den Klimawandel schätze.
Doch so unabhängig, wie sie sich gab und gibt, war sie schon damals offenbar nicht. Im Februar 2020 deckte ein Team von Correctiv und dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ auf, dass Seibt vom umstrittenen „Heartland Institute“ angeworben wurde. Wie EIKE gilt auch dieses Institut als pseudowissenschaftlicher Think Tank.
Curd Benjamin Knüpfer, US-Medienexperte der Freien Universität Berlin, zählt das US-Institut zu einem ganz speziellen Typus von Lobbygruppen. Diese Lobbyisten verfolgten primär das Ziel, den menschengemachten Klimawandel weg vom „wissenschaftlichen Wahrheitsfindungsprozess“ hin zu einer „politischen Frage“ zu bewegen. Auf diese Art erhielten persönliche Meinungen mehr Gewicht als solide Forschung, zitiert die „Neue Osnabrücker Zeitung“ den Medienforscher.
Als Beispiel nennt Knüpfer die Tabakindustrie, die durch eine vergleichbare Strategie „viele Jahre den wissenschaftlichen Konsens um die gesundheitlichen Schäden ihres Produkts in Frage gestellt hat“.
Besondere Brisanz verleihe dieser Strategie der Einsatz von Videos auf Youtube, wodurch vor allem jüngere Menschen erreicht würden, so Knüpfer. „Dabei geht es nicht unbedingt darum, diejenigen zu überzeugen, die den Klimawandel eh schon ernst nehmen, sondern indirekt zu suggerieren, dass es hier zwei unterschiedliche Meinungen gibt, die durchaus beide ernst zu nehmen seien“.
„Brutstätte für Verschwörungserzählungen“: Immer mehr User verlassen „X“
Das Reposten von englischsprachigen Beiträgen Seibts durch Elon Musk zeigt, wie schnell eine solche Strategie Erfolg haben kann. Feierte sie Anfang Juni bei „X“ noch ihren 100.000 Follower, sind es inzwischen fast drei mal so viele. Allein der erste Repost Musks, bei dem es um Angriffe auf den einstigen rbb-Satiriker „El Hotzo“ wegen zynischer Kommentare in Zusammenhang mit dem Trump-Attentat ging, wurde 62 Millionen Mal angezeigt.
Einen ebenfalls auf Englisch kommentierten Bericht der „Welt“ vom 1. Dezember mit der Überschrift „Trump macht ultrarechten Anhänger von Verschwörungstheorien zum FBI-Chef“ Seibts, den Musk ebenfalls repostete, erreichte 49 Millionen User. Musk leitete seinen Post mit der Bemerkung ein, dass die alten Medien „pure Propaganda“ seien und die Menschen in Deutschland „X“ bräuchten, um zu erfahren, was „wirklich“ passiere.
Unterdessen wächst jedoch auch die Zahl jener, die Musks Medium den Rücken kehren. Nach einem Bericht von „Euronews“ lösten allein am Tag nach der US-Wahl Hunderttausende User ihre X-Accounts auf. Nur in den USA seien Schätzungen zufolge am 6. November 115.000 Konten gekündigt worden. Auch renommierte Medienhäuser wie der „Guardian“ erklärten, X zu verlassen. Als Hauptgrund nannte der „Business Insider“ Musks Unterstützung für Trump. Allerdings gehen die Schätzungen zu Kontoauflösungen weit auseinander, da „X“ nicht regelmäßig globale Nutzerdaten veröffentlicht.
In Deutschland erklärten vor wenigen Tagen die TV-Moderatorin Dunja Hayali, die Berliner Ex-Staatssekretärin Sawsan Chebli und weitere Prominente das Verlassen von Musks Plattform damit, dass das einstige Twitter sich seit der Übernahme von Musk zu einer „Brutstätte von Rechtsextremismus, Wissenschaftsleugnung, Hass und Verschwörungserzählungen“ entwickelt habe.