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Muss man Angst haben vor der deutschen Polizei?

Sind viele Polizisten auf dem rechten Auge blind? Gibt es gar eine rechtsextreme Unterwanderung bei deutschen Schutzbehörden? Nach dem Anschlag in Hanau warfen zuletzt auch die Drohschreiben des "NSU 2.0" viele Fragen auf. Dunja Hayali suchte am Donnerstagabend nach Antworten.

Der Bürger und die Polizei - es ist inzwischen ein angespanntes Verhältnis, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Über 70 Empfänger von Drohschreiben eines "NSU 2.0" gibt es inzwischen bundesweit, die dazugehörigen hochsensiblen Daten wurden von hessischen Polizei-Rechnern abgerufen. "Was ist los in Hessen?", fragte Dunja Hayali am Donnerstagabend ganz konkret in ihrer Sendung. Und: Gibt es womöglich bundesweit rechte Netzwerke in deutschen Schutzbehörden?

Sie habe derzeit "mehr Angst vor der Polizei als je zuvor", erklärt Idil Baydar in der Sendung. Die Kabarettistin, die ironischerweise nur noch mit Polizeischutz auftritt, gehört ebenso zu den Bedrohten wie viele andere Künstler und vor allem Politiker - und zwar aus sämtlichen Fraktionen. Klar ist: Ganz neu ist das Problem nicht. Seit zwei Jahren beschäftigen die Drohschreiben die hessischen Behörden. Wann wird diesem Treiben endlich ein Ende gesetzt?

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Christian Heintz, Vorsitzender des Innenausschusses Hessen, betont per Videoschalte, man habe auch in der Zeit vor den neuesten Drohmails viel unternommen, um zur Aufklärung beizutragen. Aber: "Was wir bis jetzt getan haben, ist offensichtlich nicht genug gewesen." Es gebe jetzt einen Sonderermittler. Gleichzeitig richtet Heintz den Blick nach Karlsruhe: Er würde sich wünschen, dass der Generalbundesanwalt die Sache in die Hand nimmt.

An dem Punkt gerät Studiogast Cem Özdemir (B90/Die Grünen) sichtbar in Rage. Wer wann welche Daten von welchem Computer abgerufen hat, dazu müsse man doch nicht den Generalbundesanwalt einschalten. "Zwei Jahre hat man das Problem nicht gelöst", poltert Özdemir, und ist sich sicher: Die Suche nach den Verantwortlichen wäre sicher ein "lösbarer Fall", wenn es der hessische Innenminister nur entsprechend anordnete. Fehlt es womöglich am Willen zur Aufklärung?

"Jeder, der versagt hat, soll bestraft werden"

"Das Vertrauen in die Polizei sinkt", stellt Moderatorin Dunja Hayali fest. Daran hätte vielleicht eine Studie über rassistische Tendenzen in der Polizei etwas ändern können, wie sie zuletzt im Gespräch war, aber vom Bundesinnenministerium abgelehnt wurde. Die Entscheidung sorgte bei vielen Beobachtern für Unverständnis, im Studio bekam Joachim Herrmann die Gelegenheit, sie zu erklären. "Es gibt Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst", räumt der bayerische Innenminister ein. Statt einer allgemeinen Erfassung etwaiger rechter Tendenzen in der Polizei ziehe er es jedoch vor, den konkreten Beschwerden und Verdachtsfällen nachzugehen - dann aber natürlich mit aller gebotenen Entschlossenheit.

Warum er sich denn so sträube gegen diese Studie, hakt Hayali nach. "Ich sträube mich nicht", windet sich Herrmann, erklärt aber auch: "Ich weiß nicht, was dabei herauskommen soll." Zudem sähe die Mehrheit der deutschen Innenminister ebenfalls "keine Notwendigkeit" für eine solche Studie. Gibt es bei den Ermittlungen der Polizei ein sogenanntes "Racial Profiling", also werden Bürger beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert oder eben nicht kontrolliert? Klar, "schwarze Schafe" gebe es, und "Einzelfälle", aber Herrmann betont: "Ich kann überhaupt nicht erkennen, dass das ein Massenproblem wäre."

Ein Abend, um das Image der Polizei allgemein aufzupolieren, war es nicht. Auch, weil "dunja hayali" im Anschluss an die NSU-2.0-Debatte die Morde von Hanau im Februar zum Thema machte. Neun Menschen wurden bei dem rassistischen Anschlag getötet. Der Täter hatte zwei Wochen zuvor ein rechtsextremes Pamphlet im Internet veröffentlicht, er hatte den Generalbundesanwalt angeschrieben, gleichzeitig aber auch eine Verlängerung seines Waffenscheines erhalten. Wie hat dieser Täter sich aus Sicht der Polizei "unter dem Radar" bewegen können? "Hätte man nicht rechtzeitig handeln können?", fragt Ajla Kurtovic, die Schwester eines Mordopfers von Hanau. Es sind unbequeme Fragen, auf die keiner der anwesenden oder zugeschalteten Gäste eine konkrete Antwort hat außer der, eine lückenlose Aufklärung zu fordern.

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Mit so einer "lückenlosen Aufklärung" rechnen viele Hinterbliebene der Opfer inzwischen nicht mehr. Man fühle sich "zweitklassig" in den Augen der Behörden, berichtet der Vater eines Opfers. Zu viele dringende Fragen seien noch immer offen. Schmerz und auch Zorn, das spürt man bei Hayalis Besuch in Hanau, sitzen tief. Die Behörden hatten Hinweise, irgendwer hat irgendwo nicht genau genug hingesehen. "Jeder, der versagt hat, soll bestraft werden. Jeder."

"Gequatscht wurde schon sehr viel, jetzt muss einfach auch was passieren"

Jenseits möglicher rassistischer Strukturen in den Schutzbehörden diskutiert Dunja Hayali in der Sendung schließlich auch den Alltagsrassismus, der vermeintlich in jedem Einzelnen steckt. "Woher kommst du?" - diese scheinbar harmlose Frage solle man jemandem, nur weil er eine andere Hautfarbe hat, heute nicht mehr stellen. Journalistin und Moderatorin Hadija Haruna-Oelker kritisiert die "permanente Fremdverortung", mit der sich viele Menschen auch dann konfrontiert sehen, wenn sie einen Personalausweis haben und fließend Deutsch sprechen. Auch das "Zigeunerschnitzel" und der "Mohrenkopf" sollten 2020 endlich aus der Alltagssprache verschwinden. Der Rassismus, der bei vielen Menschen so großes Leid verursacht, er beginnt oft im Kleinen und ist nicht selten über die Sozialisation erlernt. "Strukturen ändern heißt, man muss sie sich erstmal anschauen", erklärt Haruna-Oelker.

Mit dem Hinweis, auch die Polizei benötige eine "Dekolonisierung", führt der Bogen zurück zu Hanau und dem NSU 2.0. Das Schlusswort formuliert Dunja Hayali dann selbst: "Gequatscht wurde schon sehr viel, jetzt muss einfach auch was passieren." Der Eindruck, dass ausnahmslos jeder Entscheidungsträger dazu bereit ist, entstand an diesem Abend aber nicht unbedingt.

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