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Mut zur Menschlichkeit: John Grants große Vision

John Grant geht kompromisslos seinen Weg. Foto: Jörg Carstensen

Einer der großen Individualisten im US-amerikanischen Indierock kehrt mit seinem bisher wuchtigsten Album zurück: John Grant kombiniert ehrliche, bissige, humorvolle Texte mit ambitionierten Klanggemälden.

Dass dieser Singer-Songwriter längst macht, was er will, merkt man bereits seiner Albumcover-Gestaltung an: Dort ist Grant in recht eigenwilliger Pose zu sehen, die der ernsthaften Musik von «Grey Tickles, Black Pressures» (Bella Union/Pias/Cooperative) nicht auf den ersten Blick entspricht. «Etwas beängstigend und unheimlich» sollte das schrille Bild in David-Lynch-Optik sein, sagt der 47-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Und es sollte den Kontrast darstellen «zwischen dem braven Jungen, der ich früher sein sollte, und dem, der ich heute wirklich bin».

Auf seinem dritten Solo-Studioalbum fügt Grant orchestralen Pop, kantigen Indie-Rock, Funk-Gitarren, Spoken-Word-Passagen und kühle Elektronik kongenial, wenn auch nicht immer bruchlos zusammen. Ein Album, mit dem er endgültig dabei ist, «meine Vision zu verwirklichen», wie Grant selbstbewusst sagt. «Ich bin erleichtert, dass ich jetzt so frei arbeiten kann, und froh, dass das auch rüberkommt.»

Noch stärker als auf seinen beeindruckenden Werken «Queen Of Denmark» (2010) und «Pale Green Ghosts» (2013) löst sich dieser vor 20 Jahren mit der Countryrock-Balladen-Truppe The Czars gestartete Künstler jetzt von Pop-Konventionen und bequemen Gewohnheiten. Über seine Anfänge als traditionsverhafteter Band-Frontmann sagt Grant heute: «Ich stand immer schon mehr auf die elektronischen Sachen, aber es fehlte das Knowhow.» Inzwischen kennt er die richtigen Musiker, um diese progressive Seite im Studio auszuleben. Irgendwann wolle er sogar mal «eine wirklich elektronische Platte machen, so Kraftwerk-mäßig», kündigt Grant an.

Das Sprachengenie - neben der Muttersprache fließend Deutsch, Russisch, Spanisch und Isländisch - singt auch auf «Grey Tickles...» wieder über sehr persönliche Dinge, diesmal aber nicht so sarkastisch, (selbst-)kritisch und bisweilen bitter, sondern mit viel liebenswertem Humor. Früher thematisierte er den Suff, sein mühsames Coming-Out, die HIV-Infektion oder eigene, auch schwierige Charakterzüge. Jetzt sagt er im dpa-Interview: «Man sollte danach streben, ein mitfühlender Mensch zu sein.»

Seine belesenen Texte bettet Grant in komplexe Sound-Installationen. Manche Lieder sind berauschend schön (der Titelsong, «No More Tangles», «Geraldine»), andere sperrig. Das Ergebnis: eine groß angelegte, den Hörer fordernde, aber auch belohnende Platte.

Wer «Grey Tickles...» als kompromisslos und mutig charakterisiert, liegt richtig. «Das ist ein tolles Kompliment», bedankt sich Grant in der ihm eigenen freundlich-bescheidenen Art. Und fügt hinzu: «Ich wollte tatsächlich nicht mehr darauf achten, was andere denken. Das hier ist meine Kunst, meine Musik - alles andere ist Wurscht.»

Grant sagt das wirklich so, in einem nahezu perfekten Deutsch, das viele witzige Redewendungen kennt wie «Das geht ans Eingemachte» oder «Ich will reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist». Seit gut drei Jahren lebt er jetzt in Island, unter nur rund 350 000 Einwohner, «was sehr angenehm ist». Er mag das kleine skandinavische Land sehr, nicht nur, weil «da fast alle Leute gut singen können» und die meisten «ein lockeres Verhältnis zum Leben» haben.

Konzerte: 21.11. Zürich, Kaufleuten; 24.11. Köln, Bürgerhaus Stollwerck; 25.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich; 26.11. Berlin, Postbahnhof

Webseite John Grant