Mutter bringt Töchter aus Tunesien zurück nach Deutschland

Ein Flugzeug vor wolkenlosem Himmel. Foto: Bernd Thissen/Illustration
Ein Flugzeug vor wolkenlosem Himmel. Foto: Bernd Thissen/Illustration

2000 Kilometer trennten Maryam und Hanna fast drei Jahre lang von ihrer Mutter. Obwohl die Ärztin aus Hannover das alleinige Sorgerecht hat, hielt die Familie ihres Ex-Mannes die Kinder in einem Bergdorf in Nordafrika fest. Ein Drama mit Happy End?

Hannover (dpa) - Jahrelang hat Katharina Schmidt um die Rückkehr ihrer in Tunesien festgehaltenen Töchter gekämpft - jetzt hat das Kindesentzugs-Drama einen Ausgang, mit dem viele gar nicht mehr gerechnet haben: Seit Dienstag sind Maryam (11) und Hanna (9) zurück in Deutschland.

«Wir sind total fix und fertig, aber glücklich», sagt die 38-jährige Mutter nach der Ankunft am Hauptbahnhof Hannover. «Jetzt brauchen wir erst einmal Ruhe.» Im rechten Arm hält sie die großgewachsene Tochter, die jüngere läuft an der linken Hand dem Ausgang entgegen. Die dunkelhaarigen, schlanken Mädchen strahlen, die ältere zeigt der Mama und ihrer Schwester einen niedlichen Hund.

Man könnte denken, dass hier eine Familie entspannt aus den Ferien zurückkommt, dabei geht für Katharina Schmidt ein Alptraum zu Ende. Im Sommer 2015 waren ihre Töchter nach Tunesien gereist, um trotz der Trennung der Eltern ein paar Monate lang die Heimat des Vaters kennenzulernen. Doch dann ließ die Familie des Deutsch-Tunesiers Maryam und Hanna nicht zurück. Schmidts Ex-Mann wurde bei einem Sorgerechts-Termin im Frühjahr 2016 in Hannover verhaftet und sitzt seitdem in Deutschland im Gefängnis.

Am Bahnhof will Schmidt kein Interview geben und keine Fotos machen lassen. Später schreibt sie der Nachrichtenagentur dpa: «Ich habe große Sorge, dass mein Ex-Mann die Kinder wieder mitnimmt.» Er habe keinerlei Einsicht gezeigt und auch nicht geholfen, die Mädchen zurückzubringen. «Wir kämpfen in Tunesien sogar gegen Strafanzeigen gegen uns.»

Maryam und Hanna lebten in dem Bergdorf Kasserine abwechselnd bei den Großeltern und der Familie der Tante. «Wir wollen weiter in Kasserine zur Schule gehen», wiederholten sie mechanisch bei Besuchen, berichtete die Mutter im April als Zeugin vor Gericht. Doch Pfingsten kam die Wende. Als die ältere Tochter bei einem Besuch der Mutter den Wunsch äußerte, nach Deutschland zurückzukehren, ergriff Schmidt die Gelegenheit. «Meine Töchter wollten immer zurück», sagt sie. Allerdings habe sie immer jemand daran gehindert. «Dieses eine Mal war keiner da und so sind sie einfach ins Auto gestiegen.»

Doch am Sonntag wurden ihnen am Flughafen die Pässe abgenommen, um die Ausreise zu verhindern. Nach zwei Tagen von nervenaufreibendem Bangen und Warten klappte es am Dienstagmorgen endlich. Schmidt spricht von einer «höllischen Tortur». «Wir sind alle traumatisiert», sagt sie. In den Fall war auch die Bundesregierung eingeschaltet.

Jedes Jahr werden dem Auswärtigen Amt zufolge Hunderte Kinder Opfer einer internationalen Kindesentziehung. Sind Länder betroffen, die das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) unterzeichnet haben, hilft das Bundesamt für Justiz (BfJ). Tunesien ist vor kurzem beigetreten, allerdings ist der Beitritt laut BfJ noch durch die EU anzunehmen.

Katharina Schmidt nahm allein den Kampf auf, die Ärztin erstritt sowohl in Deutschland als auch in Tunesien das alleinige Sorgerecht. Etwa einmal im Monat besuchte sie ihre Kinder in Kasserine, wo die örtlichen Behörden sich weigerten, die Entscheidung aus der Hauptstadt durchzusetzen.

Es gibt Mütter in ähnlicher Situation, die irgendwann aufgeben, weil sie kein Geld für so viele Flüge haben und sich die Kinder im Ausland ihnen völlig entfremden. Auch Schmidt musste wegen der hohen Anwaltskosten in eine kleinere Wohnung ziehen. Dort erzählte sie im Herbst der dpa, dass die Familie ihres Ex-Mannes zunehmend feindseliger werde. Anfangs durfte sie mit den Mädchen noch skypen, dann nur noch kurz und irgendwann gar nicht mehr telefonieren.

Die Neunjährige und die Elfjährige müssen jetzt dort anknüpfen, wo es vor fast drei Jahren einen Bruch gab. Als sie in das Heimatland ihres Vaters flogen, kannten sie nur ein paar Brocken Arabisch. In Kasserine sprach die Kleine zuletzt gar kein Deutsch mehr, die Große nur noch mit Akzent. «Es geht jetzt erstmal um existenzielle Sachen: Ankommen, Kleidung besorgen, deutsche Dinge wiederentdecken», berichtet die Mutter. «Die Kinder haben begeistert ihre gesamten alten Spielzeuge auseinandergenommen und bespielt.»

Im April hatte das Amtsgericht Hannover den Vater zu einer weiteren elfmonatigen Freiheitsstrafe wegen Kindesentzugs verurteilt. Dagegen legten sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft Berufung ein. Es werde jetzt geprüft, ob der Untersuchungshaftgrund der Fluchtgefahr weiter besteht, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover, Thomas Klinge. Dabei spielten auch Erwägungen eine Rolle, ob der Mann die Kinder erneut entziehen könnte. Dessen Anwalt Michael Hahne glaubt das nicht. «Wenn die Kinder zurück sind, besteht eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass die Strafe in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wird», hofft der Anwalt.