Nachwahlbefragungen: Tunesiens Präsident Saied mit 89,2 Prozent wiedergewählt
In Tunesien hat Amtsinhaber Kais Saied die Präsidentschaftswahl laut Nachwahlbefragungen mit haushoher Mehrheit gewonnen. Die Befragungen von Wählerinnen und Wählern nach ihrer Stimmabgabe am Sonntag ergaben eine Mehrheit von 89,2 Prozent für den seit fünf Jahren amtierenden Staatschef, wie das nationale Fernsehen am Abend meldete. Der seit Jahren zunehmend autoritär herrschende Saied hatte keinen gewichtigen Konkurrenten, deswegen galt seine Wiederwahl von vornherein als ausgemacht.
Laut den Nachwahlbefragungen des Instituts Sigma Conseil erreichten Saieds einzige beide Konkurrenten bei der Wahl nur einstimmige Ergebnisse: Der liberale Industrielle Ayachi Zammel kam demnach auf 6,9 Prozent der Stimmen, der frühere Abgeordnete Zouhair Maghzaoui holte 3,9 Prozent.
Zammel kandidierte vom Gefängnis aus. Er sitzt seit September ein, ihm droht eine Haftzeit von mehr als 14 Jahren. Zammel wird vorgeworfen, Unterstützerstimmen gefälscht zu haben, um bei der Wahl antreten zu können. Nicht nur Zammel, auch andere und wesentlich bekanntere Oppositionelle sind entweder im Gefängnis - oder die Wahlbehörde untersagte ihnen die Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl.
Nach der Veröffentlichung der Nachwahlbefragungen feierten rund 400 Anhänger des Präsidenten im Zentrum der Hauptstadt Tunis seinen Sieg. Sie riefen: "Das Volk will Kais nochmal haben."
Der 66-jährige Saied selbst sagte am Sonntagabend in einer Rede vor seiner Wahlkampfzentrale, er wolle "die Revolution von 2011 fortsetzen" und ein von Korruption und Verschwörungen gesäubertes Land aufbauen. "Tunesien wird frei und unabhängig bleiben und niemals ausländische Einmischung akzeptieren", fügte er hinzu.
Das vorläufige offizielle Ergebnis der Wahl soll nach Angaben der Wahlbehörde "spätestens" am Mittwoch veröffentlicht werden. Die Beteiligung an dem Urnengang war schwach. Nach Angaben der Wahlbehörde gaben nur 27,7 Prozent der 9,7 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab.
Dies ist die niedrigste Beteiligung bei einer Präsidentschaftswahl in dem nordafrikanischen Land seit der dortigen Revolution im Jahr 2011. Damals war der Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali nach Massenprotesten gestürzt worden. Tunesien ist das Geburtsland des "Arabischen Frühlings" - der einstigen Serie pro-demokratischer Massenproteste in der arabischen Welt ab Ende 2010.
Saied war 2019 mit der Mehrheit von 73 Prozent erstmals ins Amt gewählt worden. Die damalige Wahl verlief demokratisch. Seither hat sich der tunesische Präsident jedoch zu einem zunehmend autoritären Herrscher entwickelt. 2021 löste er das Parlament auf, ein Jahr später setzte er den Obersten Richterrat ab und besetzte die Leitung der Wahlbehörde nach seinen Vorstellungen.
Im Sommer 2022 ließ Saied dann in einem Referendum über eine Verfassungsänderung abstimmen, die ihm praktisch die Rolle des Alleinherrschers sicherte. Ab Februar 2023 wurden Politiker und Geschäftsleute festgenommen, die sich gegen den Staatschef gestellt hatten, 2024 folgten die Festnahmen bekannter Gewerkschafter, Bürgerrechtsaktivisten und Journalisten.
Nach der jetzigen Wiederwahl Saieds befürchten Kritiker, dass dieser seinen repressiven Kurs weiter verstärkt. "Saied hat versprochen, Verräter und Feinde Tunesiens loszuwerden", sagte der politische Kommentator Hatem Nafti. "Er wird seine Wiederwahl dafür nutzen, noch mehr Repression zu rechtfertigen."
dja/lt