Natascha Kampusch bei Lanz: “Jeder ist sich selbst der Nächste”

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Zehn Jahre nach ihrer Flucht ist Natascha Kampusch wieder sehr präsent in den Medien. Die 28-Jährige hat gerade ein Buch herausgebracht: „Zehn Jahre Freiheit“. Doch dem Titel fehlt ein Fragezeichen am Ende, erzählt sie bei Markus Lanz. Frei war sie in den vergangenen Jahren nicht immer.

Es ist ihr zweiter Auftritt in der Talkshow. Ruhig und gefasst tritt die junge Frau auf. Ihre Antworten wählt sie bedacht, wirkt sehr reflektiert, wenn sie erzählt, wie sie zuerst glaubte, auf lauter ihr „wohlgesonnene Menschen“ zu treffen. Stattdessen erlebte sie Anfeindungen. Die anfangs positive Stimmung kurz nach ihrer Flucht schlug um. „Alles Mögliche an Menschen, die Verschwörungstheorien sponnen“, Privatdetektive, Medien, ehemalige Richter erschwerten Kampusch eine Rückkehr zur Normalität. An ihrem Schicksal wollten sich viele bereichern. „In Wahrheit ist jeder sich selbst der Nächste. Und das musste ich sehr schmerzlich erfahren“, sagt sie heute.

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Die Wienerin, die als Zehnjährige entführt wurde, glaubt, das „falsche“ Opfer gewesen zu sein. Die Menschen hätten eine gebrochene, schwerst depressive Frau erwartet. Kampusch, die selbstbewusst auftrat, intellektuell, habe nicht in dieses Bild gepasst. „Das hielten die Leute nicht aus.“

Mutter und Tochter haben “die Hölle durchlaufen”

Als Kind wurde Kampusch entführt, als junge Frau kehrte sie zurück. Ihre Mutter glaubte immer daran, dass ihre Tochter noch lebt. “Ich habe die Hölle durchlaufen, sicher nicht so schlimm wie mein Kind, aber trotzdem, es war auch die Hölle.“ Brigitta Sirny erzählt von der schweren Annäherung nach Kampuschs Auftauchen und von den Schuldzuweisungen zuvor: „Ich war die Prügelmutter, ich habe sie umgebracht.“ Ein Teich wurde abgesucht, im Glauben, dort die Leiche von Natascha zu finden. Später wurde Brigitta Sirny eine Zusammenarbeit mit dem Täter unterstellt. Das Buch ihrer Tochter könne sie nicht lesen, all die schrecklichen Erlebnisse kann Sirny nicht ertragen – „zu schmerzhaft“. Auch das Haus des Entführers hat sie nie betreten.

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Ganz anders Kampusch: Sie ist heute die Besitzerin des Hauses ihres Peinigers. Das Kellerverließ, in dem sie gefangen war, wurde zugeschüttet. Zweimal im Monat geht sie dorthin. Für Lanz offenbar unverständlich: Immer wieder fragt er nach ihren Gründen, den Emotionen. „Meistens halt mit Unbehagen“ besuche sie den Ort ihres Martyriums. „Ich fühle mich dann nicht sehr wohl. Es ist zwar nur ein Haus, also eine Sache, aber es ist unangenehm.“ Doch Kampusch will die Kontrolle behalten, kommen und gehen, wann sie es will. Und auf keinen Fall, das ist ihre größte Sorge, wolle sie, dass aus dem Haus eine Art Gruselkabinett, ein Pilgerort werde, an dem die Tat von Priklopil glorifiziert wird.

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Kampusch möchte kein Opfer mehr sein, das macht sie bei Lanz deutlich. Ihr Blick gehe nach vorn. Sie versuche, jeden Tag „positiv zu gestalten“. Es klingt, als wolle sie die verlorenen Jahre aufholen, wenn sie von ihren Projekten erzählt: mehrere Ausbildungen abschließen, sich als Goldschmiedin künstlerisch betätigen, später noch studieren. „Diese Sache hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Leider.“ Eins ist klar: Diese Frau lässt sich ihr Leben nicht mehr aus der Hand nehmen.

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Fotos: ZDF/Screenshot, dpa