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Natürlich darf Erdogan in Deutschland Wahlkampf machen

Recep Tayyip Erdogan spricht am 24. Mai 2014 zu Anhängern in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)
Recep Tayyip Erdogan spricht am 24. Mai 2014 zu Anhängern in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)

Sollte dem Präsidenten der Türkei ein Auftritt verboten werden? Diese Frage offenbart, wie wenig unserer Demokratie vertraut wird.

Ein Kommentar von Jan Rübel

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Recep Tayyip Erdogan ist ein Meister der Spaltung. Sein Land spaltet er, indem er so viele als „Gruppen“ ausmacht und gegen sie vorgeht, seien es Gewerkschafter, Journalisten, Liberale, Kurden – der Präsident der Türkei sieht nur sich als neuen Vater eines ganzen Landes, und wer sich am Esstisch nicht brav verhält, muss ab in die Küche.

Man ist versucht, ihn als Sultan oder Big Boss zu veräppeln, und Satirisches fliegt ihm in Gedanken zu wie eine Biene zur Blüte. Und man kann nicht sagen, dass dieser Mann seinem Land gut tut, aber das ist nicht Thema dieses Kommentars. Die Frage ist, ob Erdogan, unter dem so viele Menschen gerade leiden, seine Spaltungsmanöver auch in Deutschland weiter fahren darf – wenn er, wie es durchsickert, einen Auftritt hier plant, um für die von ihm angestrebte Verfassungsreform zu werben. Ein Referendum soll darüber abstimmen, ob die Türkei sich von demokratisch-parlamentarischen Elementen verabschiedet und den autoritären Weg eines Papa-Systems geht.

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Türken in Deutschland können darüber mit abstimmen. Und nun regt sich das halbe Land auf, ob dieser Fiesling für sein Projekt hier werben darf.

Ja, er darf. Wenn wir das nicht ertragen, schmeckt unsere Demokratie, auf die wir so stolz sind, wie eine schale Limo.

Eine Frage des Prinzips

Warum sollten wir unsere Werte der Rede- und Versammlungsfreiheit so offenherzig aufgeben? Natürlich wird Erdogan in Deutschland hetzen, er wird einen Keil zu treiben versuchen – in die türkischen und kurdischen Gemeinschaften hinein und überhaupt. Der Big Boss duldet Loyalität nur gegenüber sich selbst.

Unterstützer bejubeln Erdogan bei seiner Rede am 24. Mai 2014 in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)
Unterstützer bejubeln Erdogan bei seiner Rede am 24. Mai 2014 in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)

Neben dem Grundgesetz gibt es aber auch einen weiteren wichtigen Grund, weshalb Erdogan seine Show nicht verwehrt werden sollte. Ein Verbot würde nicht wenige Türken in Deutschland vor den Kopf stoßen, ausgrenzen, bevormunden. Ein Verbot hätte den Odem des Paternalismus.

Wer auf welche Veranstaltung geht, kann jeder am besten für sich entscheiden. Da braucht es keinen weiteren Daddy, der einem sagt, wo es langgeht.

Außerdem verfügen die Türken in Deutschland über ein Wahlrecht – für das Referendum in der Türkei. Wer darüber die Stirn runzelt, vergisst, wie lange wir in Deutschland dem Adolfschen Blutgedanken beim Staatsbürgerrecht nachhingen und zum Beispiel den Türken das Wahlrecht hierzulande verwehrten. Demokratie leben, heißt den Grundsatz zu verinnerlichen: Besser zwei Rechte als keines.

Spalten können wir auch ganz gut

Demokratie leben heißt auch, den Gegnern Erdogans zu ihren Rechten in Deutschland zu verhelfen – über Asyl, aber auch über Reden und Versammlungen, über Demonstrationen, Autoumzüge und Sit-ins. Wenn Erdogan nach Deutschland kommt, sollte das Kunststück gelingen, ihn spüren zu lassen, dass einerseits sein klischeebeladenes Freund-Feind-Denken nicht passt und andererseits es hier nicht nur Recep-Fanclubs gibt.

Prokurdische Demonstration am 12. November 2016 in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)
Prokurdische Demonstration am 12. November 2016 in Köln (Bild: AP Photo/Martin Meissner)

Den besten Grund übrigens für einen Auftritt Erdogans liefert der Chefredakteur der „Offenbach-Post“. Der offenbarte sich als guter Schüler des Präsidenten im Spalten. Er schrieb: „Denn wer Yilderim (er meint Yıldırım, den türkischen Ministerpräsidenten, aber Rechtschreibung ist nicht jedermanns Ding) Fähnchen schwenkend zujubelt, der hat nichts kapiert, ist für eine offene, laizistische Wertegemeinschaft verloren und sollte sein Seelenheil lieber im Lande des Sultans suchen.“

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Diese Worte sind nicht nur voller Bevormundung und Arroganz. Sie richten sich an Menschen, die hier geboren sind, die hier ihre Heimat haben und die unser Land prägen und gestalten. Die sind nicht auf der Suche nach ihrem Seelenheil wie beim Besuch eines Meditationsworkshops an der Kreisvolkshochschule. Die leben hier. Wie dieser Chefredakteur abkanzelt und über die Rechte von anderen faselt, wäre er wohl gern ein Sultan. Diese Attitüde macht mich müde. Ich hab da mal nachgeschaut. Die Volkshochschule in Offenbach bietet einen Kurs an, „Spirituelles Heilen – Aktivierung der Selbstheilungskräfte“. Da muss ich jetzt hin.

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