NDR Talkshow: Der Angriff der männlichen Profilneurotiker

Atze Schröder, Steffen Henssler und Paul Panzer sprachen beim NDR Talk vor allem über sich selbst.
Atze Schröder, Steffen Henssler und Paul Panzer sprachen beim NDR Talk vor allem über sich selbst.

„Heute mit spannenden Gästen“, kündigt Hubertus Meyer-Burckhardt gewohnt großspurig die 805. Ausgabe der NDR Talk Show an. Barbara Schöneberger entkräftet das, indem sie hinzufügt, dass viele geplante Gäste sturmbedingt absagen mussten. Es wird dann genau so, wie sich das anhört. Die Hälfte der Gäste ist interessant und hat wirklich etwas zu erzählen. Dazu gibt’s Profilneurotiker.

Das Schlimmste zuerst. Ob sturmbedingt oder nicht, bei der NDR Talk Show hat es an diesem Abend gerade einmal für zwei Frauen gereicht – und eine davon ist Barbara Schöneberger. Die andere ist Hannelore Lay, die Gründerin der „Stiftung Kinderjahre“. Der Rest der Gäste sind Männer, von denen zwei, ein Klima- und ein Geruchsforscher, interessant sind – weil sie etwas zu erzählen haben.

Die anderen vier, Comedians Atze Schröder und Paul Panzer, Geiger David Garrett und Fernsehkoch Steffen Henssler, wollen hauptsächlich über sich selbst reden. Da das anscheinend beim NDR keinen stört, gerät die Folge „Riechen, Hören, Schmecken“ zu einem Auf und Ab zwischen halbwegs interessantem Fernsehen und einer Runde, die unter dem Gewicht vier massiver, männlicher Egos zerdrückt wird.

Los geht es mit dem Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif. Der ist an diesem Abend hier, um zu erklären, wie Wetterphänomene wie Sturm Xavier, der am Donnerstag über Deutschland zog und in dem mehrere Menschen starben, entstehen. Bevor er das jedoch darf, fragt Barbara Schöneberger erst Mal dummdreist Atze Schröder, ob er in dem Sturm Angst um seine Frisur gehabt habe. Dass das vielleicht ein wenig rücksichtslos wirken könnte, kommt ihr dabei nicht in den Sinn.

Schröder legt noch einen drauf, was die Rücksichtslosigkeit anbelangt, und antwortet, dass der Wind nicht stark genug sei, solange die Schafe noch Locken hätten.

Paul Panzer liefert aus Versehen das beste Fazit für diesen NDR Talk
Paul Panzer liefert aus Versehen das beste Fazit für diesen NDR Talk

Der Auftritt des Meteorologen ist dann einer der wenigen Höhepunkte der Sendung. Er erklärt, dass Xavier ein sogenannter Schnellläufer gewesen sei. „Schnellläufer“ entwickeln sich spontan auf dem Atlantik und ziehen dann mit bis zu hundert Kilometern pro Stunde nach Osten. Zwar sei der Sturm nicht der stärkste aller Zeiten gewesen, allerdings hätte er gravierendere Folgen gehabt, weil er sich früher als sonst gebildet und in den noch belaubten Flächen mehr Angriffsfläche gefunden habe. So bespricht man extreme Wetterphänomene mit schlimmen Folgen. Sehr gut

Leider geht es von oben schnell wieder nach unten.

Geiger David Garrett ist als nächstes dran. Er hat vor kurzem sein neues Album veröffentlicht und spricht deshalb mit Vorliebe über: sich selbst. Dass er Onkel geworden ist, erzählt er, dass er mit seinen Eltern in Urlaub fährt und dass er im Alltag gerne mal trainiert. Spannende Details aus dem Leben eines spannenden Menschen.

Schöneberger lenkt das Gespräch dann auf die extravaganten Cateringanforderungen, die Garrett an Veranstalter schickt. Allerdings kritisiert sie diese Pingeligkeit („Hummerschaumsuppe, 10 Kingprawns ohne Darm, Blumenkohlpüree und Salzburger Nockerln mit entkernten Kirschen und korrespondierendem Vanilleeis“) nicht etwa, sondern lobt ihn noch dafür. Als wäre durch Erfolg aufgeblasene Dekadenz eine Tugend. Garrett lacht kokett und sagt, er mache das wegen der Herausforderung – für die Veranstalter, bleibt zu vermuten.

Weil das in dem Moment an Peinlichkeit noch nicht reicht, würzt Moderator Burckhardt noch mit ein wenig Sexismus nach und warnt Garrett, dass sowas ja keine Frau für ihn kochen würde. Läuft.

Garrett geigt dann schnell noch eine Version von Stevie Wonders „Superstition“. Dass sein Vortrag ein Cover ist, sagt niemand. Info: Es ist schlechter als das Original.

Auf Dekadenz folgt Hunger

Weil „Auf und Ab“ das Thema dieser Sendung zu sein scheint, kommt nach diesem Rockfest der geigerischen Langeweile der zweite Höhepunkt, der im Zusammenhang mit Garretts Auftritt kurz davor leider gleichzeitig zum absoluten Tiefpunkt wird.

Hannelore Lay, Gründerin der „Stiftung Kinderjahre“ unterhält sich mit den Moderatoren und erzählt von ihrer Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern. Die Stiftung hilft Familien, die kaum Geld haben und unterstützt damit Kinder, die es schwer haben im Leben. So zum Beispiel zahlt „Kinderjahre“ Schulessen, damit Kinder nicht hungrig bleiben müssen. Großartig.

Dass Lays Interview direkt nach Garretts Auftritt kommt, ist allerdings ekelhaft. Auf die kulinarischen Extravaganzen des Geigers folgt nahtlos die Besorgnis einer gutverdienenden Talkrunde über Kinder, die Hunger haben? Diese Dramaturgie ist eine Frechheit und zeigt, dass der Redaktion scheinbar jedes Feingefühl fehlt. Auch David Garrett sieht nicht so aus, als würde ihn an dieser Abfolge irgendetwas stören.

Der Rest ertrinkt im Testosteron

Der Rest der Sendung geht völlig in überzogenen, männlichen Egos unter. Atze Schröder witzelt über verheiratete Frauen, die mit ihm Selfies machen wollen, witzelt über Menschen mit Behinderung und “Schlampen“ und verbringt dann gefühlte zwanzig Minuten mit einer richtungslosen Dieter-Thomas-Heck-Imitation, die besonders bei Moderator Burckhardt zu Lachanfällen führt. Warum der wahrscheinlich überschätzteste Comedian Deutschland immer wieder in Talkshows sitzt, bleibt schleierhaft.

Fernsehkoch Steffen Henssler redet über seine alte Kochshow „Grill den Henssler“, seine neue Sportshow „Schlag den Henssler“ und vergleicht sich am Ende – er meint das positiv – mit Mario Barth. Man wünscht sich an dieser Stelle eine Bildstörung.

Paul Panzer wirkt in seinem Auftritt ebenfalls ziemlich profilierungssüchtig, persifliert aber mit seiner Art, auf keine der Fragen einzugehen und stattdessen dadaistische Episoden über seine Familie zu erzählen, wenigstens den Rest der Sendung. Der Duftforscher dazwischen ist zwar interessant, geht aber völlig in dieser testosteronübersteuerten Sendung unter.

Am Ende muss man, um diese Sendung – die ja bei 805 Folgen jede Menge Fans haben muss – zusammenzufassen, trotz allem Paul Panzer bemühen. Der sagt:

„Glück ist auch Glück gewähren. Sich mit einer Nagelpistole ins Knie schießen und sagen: Hey, ich find’s auch gut.“

Fazit: “Hey, ich find’s auch gut.”

(jl)

Fotos: Screenshots/NDR