Nena und die andere Meinung - „Katastrophaler Fehler“: Ronzheimer wird wegen AfD plötzlich richtig sauer

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FOCUS online/Axel Springer: Niels Starnick/Brockhaus

Diese Woche geht es bei „Nena und die andere Meinung“ um die Frage, ob die CDU mit der AfD auf Landesebene in Koalitionsgespräche gehen sollte. Der renommierte Journalist Paul Ronzheimer sagt: Nein. Ich selbst stimme für Ja. Schenken Sie mir einen Augenblick für beide Meinungen.

Ein Dienstagabend in Düsseldorf. Es klingelt an meiner Haustür. Deutschlands wohl bekanntester Kriegsreporter steht vor der Tür: Paul Ronzheimer. Auch was die deutsche Innenpolitik betrifft, ist er bestens informiert. Sein Podcast „RONZHEIMER“ führt diese Woche mal wieder die Podcast-Charts an.

In den letzten Wochen war Paul für sein neues Sat.1-Primetime-Format „Wie geht’s, Deutschland?“ im Osten unterwegs. Er hat Rechtsradikale getroffen, aber auch sehr viele, die nur aus Frust und Protest gegen die Ampel jetzt AfD-Wähler sind. Am kommenden Montag um 20:15 Uhr bei Sat.1 gibt es seinen Bericht. Ich durfte ein wenig vorab schauen. Prädikat: Sehenswert!

Meine Debatte über die AfD mit Paul Ronzheimer

Doch wie haben Paul und ich uns eigentlich kennengelernt? In drei Wörtern erklärt: 2020 bei „Bild“. Wir mögen uns, obwohl wir in politischen Themen selten einer Meinung sind. Vermutlich macht das den Reiz unserer Freundschaft aus. Als ich 2021 Alice Weidel in meine damalige Polit-Show „Viertel nach Acht“ einlud, war Paul dagegen.

Auch heute wollen wir miteinander über die AfD debattieren – über die Frage, ob die CDU nun in Thüringen und Sachsen in Koalitionsgespräche mit der Alternative für Deutschland eintreten sollte. In beiden Bundesländern holte die AfD kürzlich über 30 Prozent.

Brockhaus: „Paul, die Frage, über die wir zwei heute debattieren wollen, erregt aktuell die Gemüter – auch in meiner Familie. Meine Mutter kann nicht verstehen, wie ich dafür sein kann, dass die CDU mit der AfD Koalitionsgespräche führt. Für mich ist das gelebte Demokratie und die damit verbundene Anerkennung des Wählerwillens.“

Ronzheimer: „Gelebte Demokratie ist für mich, dass sehr viele Menschen die AfD gewählt haben, sie aber eben nicht die absolute Mehrheit im Parlament hat. Das bedeutet, dass sie einen Koalitionspartner bräuchte. Und da sagt die CDU aus meiner Sicht zu Recht: Keine Koalitionsgespräche mit einer Partei, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Herr Höcke ist ein Faschist. Wenn er in einer Landesregierung säße, könnte er als Rechtsradikaler Einfluss auf Polizei, Bildung und vieles mehr nehmen.“

Ronzheimer: Bei Höcke besteht kein Zweifel an der Gesinnung

Brockhaus: „Mich ermüdet das. Anstatt das unterkomplexe Parteiprogramm der AfD auseinanderzunehmen, wird die Partei stets als Gefahr für die Demokratie erklärt – oft genug in Verbindung mit der Hitlerzeit, die man meiner Meinung nach mit absolut gar nichts vergleichen darf. Zu oft fällt dann auch der Ausdruck ‚Wehret den Anfängen‘. Als wären Koalitionsgespräche mit der AfD bereits die Machtergreifung. Wenn über 30 Prozent eine Partei wählen und man nicht mal in Gespräche geht, ist das ein Schlag ins Gesicht der Wähler. Da kann man auch direkt sagen: Uns ist egal, was ihr wählt. Und das in Zeiten, wo man besonders im Osten die Wähler für sich gewinnen will.“

Ronzheimer: „Es mag dich ermüden, aber dadurch wird die AfD nicht weniger gefährlich. Wenn wir uns das Programm von Herrn Höcke anschauen, wenn man sich den Verfassungsschutzbericht anschaut, wenn man sich anschaut, was er in den letzten Jahren gesagt hat, dann besteht ja kein Zweifel an seiner Gesinnung. Was soll denn bei Koalitionsgesprächen rauskommen, außer einem Propagandaerfolg für Herrn Höcke?“

Brockhaus: „Ich halte die CDU-Politiker für klug genug, etwaige Koalitionsgespräche mit der AfD nicht zum Propagandaerfolg für Herrn Höcke verkommen zu lassen. Ich habe mich heute daran erinnert, wie ich das erste Mal zur Wahl ging – gemeinsam mit meinem Vater. Für uns ein bedeutsamer demokratischer Akt. Wir sind ja eine sehr politische Familie, wie du weißt. Wenn die Partei, die ich damals gewählt habe, so ausgeschlossen worden wäre wie die AfD heute, das hätte etwas mit mir gemacht. Wie will die CDU die Jungwähler jemals auf ihre Seite ziehen, wenn die Christdemokraten deren Wählerwillen so ignorieren?“

Ronzheimer: „Die AfD wird nicht ausgeschlossen. Noch einmal: Entweder gewinnt eine Partei die absolute Mehrheit oder sie braucht einen Koalitionspartner. Was den Wählerwillen angeht, muss man also sagen: Eine Mehrheit hat die AfD eben NICHT gewählt. Ich war für Sat.1 viel im Osten unterwegs für meine Reportage. Es war sehr interessant, auch vielen jungen Menschen dort zuzuhören. Das Argument, das ich anführe, also dass Herr Höcke rechtsextrem ist, hat dort viele nicht interessiert. Ich würde sagen, dass ein Teil der AfD-Wähler selbst rechtsextrem denkt, aber ein sehr großer Teil eben nicht – und die Partei dennoch wählt.“

Ronzheimer: Meine Haltung zu AfD in Medien war falsch

Brockhaus: „Was ich für einen großen Fehler des deutschen Journalismus halte: Die AfD-Politiker jahrelang nicht zu interviewen und nur über sie, aber nicht mit ihnen zu sprechen. Klar, bei den Öffentlich-Rechtlichen saßen ein paar, aber viele private Medien wie Handelsblatt, Wirtschaftswoche, FOCUS und Bild führen seit Jahren keine Interviews mit AfD-Politikern.“

Ronzheimer : „Mittlerweile sind AfD-Politiker allein aufgrund der Wahlergebnisse zurecht in allen Medien präsent, und wir sollten ihnen – so wie es unser Job ist – harte Fragen stellen. Meine Haltung in der Vergangenheit dazu war falsch. Ich habe auch in meiner Doku versucht, Herrn Höcke zu interviewen und auf einer Veranstaltung versucht, ihm Fragen zu stellen.“

Brockhaus: „Und hast du es geschafft?“

Ronzheimer: „Das kann man bei Sat.1 sehen – am Montag um 20:15 Uhr. Aber unsere Reportage ist aus meiner Sicht vor allem auch deshalb sehenswert, weil wir ganz unterschiedlichen Stimmen Raum geben und einfach zuhören und nachfragen.“

„In Deutschland hat sich der schlechteste Weg durchgesetzt“

Brockhaus: „Genau aus diesem Grund will ich auch die Koalitionsgespräche mit der AfD. Die publizistische Brandmauer bringt genauso wenig wie das Missachten der AfD-Wahlergebnisse. Von allen Wegen, mit denen man mit dem Aufstieg der AfD hätte umgehen können, hat sich in Deutschland der schlechteste Weg durchgesetzt. Leider!“

Ronzheimer : „Ich hielte das für einen katastrophalen Fehler, wenn die CDU das machen sollte. Allein aus Sorge, dass die AfD noch größer werden könnte, sollte man nicht mit einer rechtsextremen Partei koalieren. Was stimmt: In einer Oppositionsrolle ist es immer leicht, und die Partei könnte natürlich weiter zulegen.“

Brockhaus: „Es wird ganz sicher darauf hinauslaufen. Ich habe bereits in der Universität gelernt, wie machtvoll das ‚We against the others‘-Prinzip ist. Das hat die AfD erst groß werden lassen – wenn wir sie wieder kleinkriegen wollen, müssen wir sie mitregieren lassen. Dann würde gezeigt, dass die AfD eben keine neuen Jobs schafft. Dass die AfD nicht in der Lage ist, den Umschwung für Deutschland zu schaffen.“

Ronzheimer: „Das ist ja wie ein Laborversuch – zu sagen: Ja, hoffentlich wird’s nicht so schlimm, aber wir machen das jetzt mal, weil es könnte noch schlimmer werden. Also lassen wir jetzt Rechtsradikale mit der CDU regieren.“

Wir beenden die Debatte. Essen noch eine Pizza in der Düsseldorfer Altstadt. Dann muss Paul weiter. Für ihn geht es nach Köln. Einigen werden wir uns, was Koalitionsgespräche mit der AfD betrifft, wohl nicht mehr. Aber das macht nichts. Widerspruch ist das Lebenselixier einer funktionierenden Demokratie.

Mich interessiert brennend, was Sie denken, liebe Leser. Sind Sie diese Woche Team Ronzheimer oder Team Brockhaus? Seien Sie sich gewiss: Ich lese immer all Ihre Kommentare – jeden Einzelnen. Jede Woche.  In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder.

Ihre Nena Brockhaus