Nena und die andere Meinung - Wie schlimm steht es um Deutschland? Italienische Familie bringt mich zum Grübeln

Nena Brockhaus debattiert dieses Mal mit einem SPD-Politiker.<span class="copyright">Brockhaus/dpa</span>
Nena Brockhaus debattiert dieses Mal mit einem SPD-Politiker.Brockhaus/dpa

Diese Woche geht es bei „Nena und die andere Meinung“ um die Absturz-Analyse für Deutschland in Italiens größter Tageszeitung und die unerwartete Bewunderung einer italienischen Familie für unser Land. Schenken Sie mir einen Augenblick für beide Meinungen.

Deutschland, das Land der Pünktlichkeit, der effizienten Verwaltung und des industriellen Fortschritts – so oder so ähnlich wird es oft beschrieben. Moment, hier muss man sagen: wurde. Das Lob ist aus vergangenen Zeiten. Auch wenn es uns Deutsche schmerzt. Die Gegenwartsbetrachtung gleicht im Ausland aktuell eher einem Abgesang.

Ein Überblick über die düsteren Wirtschaftszahlen

Auf jeden Fall, wenn man Italiens größte Tageszeitung „Corriere della Sera“ liest. In einer langen Analyse haben die italienischen Journalisten diese Woche aufgelistet, was im Jahr 2024 bei uns alles so falsch läuft. Es als Absturz-Analyse zu beschreiben, ist wahrlich nicht übertrieben.

Die Liste der Hiobsbotschaften im Juli sei lang, schreibt die Zeitung: 82.000 Arbeitslose binnen eines Monats mehr, ein gegen den europäischen Trend schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt, dazu ein Einbruch im Ifo-Geschäftsklima-Index, der die Erwartungen für die Zukunft zeigt.

 

Deutschlands Schwäche und das Symbol des Versagens

Die italienische Zeitung meint: „Die Frage ist nicht so sehr, ob Deutschland, wie in den späten 90er-Jahren, wieder der ‚große kranke Mann Europas‘ ist. Der eigentliche Punkt ist, dass das Land in Ermangelung großer struktureller Anpassungen – aber man sollte auch sagen: der Mentalität – dazu bestimmt ist, auf einem bestenfalls sehr schwachen Wachstumspfad zu pendeln.“

Besonders treibt die Italiener das Versagen der Deutschen Bahn um. Es sei das Symbol des deutschen Absturzes. „Das Chaos im deutschen Bahnverkehr hat bei allen, die mit dem Turnier zu tun hatten – Journalisten, Zuschauern und sogar Fußballern – einen unauslöschlichen Fleck im Gedächtnis hinterlassen“, schreibt der „Corriere della Sera“ mit Blick auf die Zustände bei der Fußball-Europameisterschaft.

Eine externe Analyse könnten wir gebrauchen

Während ich die Worte in der italienischen Tageszeitung lese, denke ich mir nur: JA, DAS STIMMT! Vielleicht hilft es, wenn endlich eine große publizistische Stimme aus dem Ausland den Zustand in unserem Land sauber analysiert. Denn so geht es nicht nur mir. In den Köpfen vieler Deutscher ist die Bahn zu einem Synonym für Frustration geworden. Der tägliche Kampf gegen Zugverspätungen und Ausfälle hat eine ganze Nation erschöpft und nervt wohl jeden Bahnfahrer.

Die Kritik an der mangelhaften Infrastruktur ist allgegenwärtig, immer mehr Menschen ziehen es vor, bei wichtigen Terminen auf Auto oder Flugzeug umzusteigen. Übrigens nicht nur die Privatleute. Nein, insbesondere die Mitarbeiter der Deutschen Bahn. Bei meinem letzten Versuch, die Deutsche Bahn zu nutzen, saß ich anderthalb Stunden in Minden fest und begann, mich mit den Bahnmitarbeitern zu unterhalten.

 

Wie kann eine Industrienation solche Verspätungen tolerieren?

Die lachten mich aus, dass ich für einen wichtigen Termin die Bahn nehme. Sie meinten es nicht böse, kennen den Horror-Zustand der Bahn nur zu genau. Da würden ja wohl auch keine zwei Stunden Puffer reichen. Wenn sie privat einen wichtigen Anlass haben, würden sie niemals auf die Deutsche Bahn setzen, hieß es von den DB-Mitarbeitern. Es sei jetzt bereits so, dass sie an den Arbeitstagen ihrer Familie sagten, dass sie nicht wüssten, wann sie wieder zu Hause seien. Verspätungen von zwei Stunden gebe es alle zwei bis drei Tage.

Fragen drängen sich auf: Wie kann es sein, dass ein Land, das sich als Industrienation bezeichnet, es nicht schafft, seine Bahn zuverlässig zu betreiben? Dass Mitarbeiter der Bahn privat niemals auf dieses Fortbewegungsmittel setzen würden? Und an ihren Arbeitstagen nicht mal wissen, wann sie zu Hause sind? Wie kann Deutschland tolerieren, dass Verspätungen von zwei Stunden nicht länger die Ausnahme, sondern die Regel sind?

Italiener begeistert: Deutschlands Freibäder sind ein Luxus

Eine italienische Familie, die ein ganz anderes Bild von Deutschland hat, sitzt bei einem Freibadbesuch zufällig neben mir im Gras. Wir kommen ins Gespräch, als die ältere Frau mich plötzlich fragt, ob ich aus dem Süden komme, weil ich so laut sprechen würde. Die Deutschen wären doch leiser, zurückhaltender?

„Nein, nein“, entgegne ich. Und füge hinzu: „Ich bin aus Düsseldorf. Auch hier geboren. Bei mir sind alle deutsch.“ Die ältere Dame ist die Großmutter der zwei kleinen Kinder. Sie ist mit ihrem Schwiegersohn und ihrer Tochter da. Ihr Deutsch ist perfekt, da sie in Bozen groß geworden ist und mit zwanzig Jahren einen Italiener geheiratet und nach Florenz gezogen ist. Seitdem lebt sie dort. Ihren Kindern habe sie Deutsch leider nicht beigebracht. Wie sie Deutschland fände, frage ich sie.

„Toll, toll“, erklärt sie und bringt direkt ein praktisches Beispiel: „Allein dieses Freibad hier, da würden wir in Italien 70 Euro bezahlen.“ Ich schaue sie perplex an: „70 Euro Eintritt?“ Ihr Schwiegersohn antwortet auf Englisch: „Yes, 7 and 0.“ Die Florentinerin ergänzt: „Und für die Sonnenschirme dann noch mal extra. Obwohl die Gehälter in Italien nur halb so hoch sind wie in Deutschland. Wir haben in Italien auch günstigere Freibäder, aber nicht in dieser Qualität. Ohne Gras. Überhaupt tut der italienische Staat viel zu wenig für seine Bürger. Hier in Deutschland wird viel mehr für das Gemeinwohl getan. Viel mehr Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung. Es ist sozialer.”

Kühle Ausstrahlung der Menschen

Der Schwiegersohn stimmt zu: „Ja, in Italien geht das ganze Geld nach Rom. Hier ist es dezentralisiert. Das ist gut. Hier bekommen Städte wie Düsseldorf ihr eigenes Geld, und die Gehälter sind viel höher.“ Die Schwiegermutter ergänzt: „Ja, es wird einfach mehr für die Menschen getan.“

Diese praktischen Vorteile sind für die Familie aus Florenz nicht nur ökonomisch signifikant, sondern auch ein Zeichen für die Lebensqualität in Deutschland. Die Italiener loben nicht nur die Schwimmbäder, sondern auch die allgemeine Lebensqualität, die sie in Düsseldorf und ganz Deutschland erfahren haben. Sie bemerken die Sauberkeit, das gute Gesundheitssystem und die gut gepflegten öffentlichen Einrichtungen.

Ein Gespräch über Heimat und Bahn

Ich bin verwundert über dieses Loblied. Was sie denn an Deutschland störe: „Die kühle Ausstrahlung vieler Menschen, aber das mag an Düsseldorf liegen. Vielleicht ist das in München besser?“ Ich widerspreche leidenschaftlich, verteidige meine Heimatstadt und denke mir gleichzeitig: „Und das ist das Einzige?“

Ich spreche die italienische Familie auf die Deutsche Bahn an. Während die Tochter der Florentinerin mit ihren Kindern auf Italienisch spricht, antwortet ihr Mann: „In Italien ist die Bahn auch nicht besser. Da haben wir eine private und eine staatliche, beides ist nicht toll.“ Vermissen täten sie Italien trotzdem. Auch das italienische Essen, wobei einige Supermarkt-Ketten hier in Deutschland gut seien.

Vielleicht ist doch alles nicht so schlimm

Während die Sonne auf Düsseldorfs Freizeitbad scheint, blicke ich mich um und denke mir nach sehr langer Zeit: Vielleicht ist doch alles nicht so schlimm. Ist es doch ein gutes Gefühl, wenn unser Land von Zugezogenen so geschätzt wird. Ändern muss sich trotzdem einiges. Allen voran die Deutsche Bahn!

Dementsprechend, bei allem Wohlwollen gegenüber dem Spirit der italienischen Familie: In welchem Team sind Sie diese Woche? Team positiv? Oder Team Brockhaus? Seien Sie sich gewiss, ich lese immer all Ihre Kommentare, Mails und Zuschriften.

Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder!

Ihre Nena Brockhaus