Nena und die andere Meinung - „Ihr Weg ist DDR light“: Als ich Grünen attackiere, redet der wieder vom Staat
Die grüne Partei hat Kompetenzen. Aber nicht, was die Wirtschaft betrifft. Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek sieht das anders. Schenken Sie mir einen Augenblick für beide Meinungen.
Ich bin überzeugt: Die Grünen können keine Wirtschaft. Man muss sich nur einmal das Parteiprogramm oder die Leistung von Wirtschaftsminister Robert Habeck a nschauen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek sieht das ganz anders. Seit 2013 sitzt er als Wirtschaftspolitiker im Bundestag – seit Januar 2023 auch als Koordinator der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus im Wirtschaftsausschuss des Bundestages.
Wir verabreden uns zum Gespräch in Berlin und treffen uns im Hofbräuhaus um die Ecke vom Bundestag. Janecek bestellt sich grünen Tee, ich mir eine Spezi. Vorhang auf für den Schlagabtausch:
„Der Wirtschaftsweg der Grünen ist für mich ‚DDR light‘“
Brockhaus: Herr Janecek, können die Grünen Wirtschaft?
Janecek: Ja, weil wir daran glauben, dass sich die richtigen Technologien durchsetzen werden. Also erneuerbare Energien, Elektromobilität, Effizienztechnologien – da verdienen wir Deutschen auch mit. Was natürlich stimmt, ist, dass die Transformation auf dem Weg dahin nicht einfach ist. Gleichzeitig haben wir verschiedene Krisen, und dadurch leidet die Wettbewerbsfähigkeit gerade.
Brockhaus: Es leidet nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit. Der Wirtschaftsweg der Grünen ist für mich ‚DDR light‘. Es hat etwas von Planwirtschaft, wo der Staat entscheidet, welche Unternehmen überleben und welche nicht. Nehmen wir einmal die Stahlbranche: Thyssenkrupp kassiert zwei Milliarden Steuergeld, und die Mittelständler gehen quasi leer aus.
Janecek: Naja, der grüne Stahl lässt sich nun mal nicht herstellen, ohne dass der Staat hilft – das ist so. Die Entscheidung ist zugunsten der großen Unternehmen wie Thyssenkrupp oder Salzgitter getroffen worden.
Brockhaus: Hätten Sie die Entscheidung auch getroffen?
Janecek: Ich glaube ja, aber ich denke schon, dass wir die Kritik ernst nehmen müssen, dass Mittelständler sagen: ‚Die Subventionspolitik für grünen Stahl geht in Richtung der Großen. Wo bleibt unser Innovationsbonus?‘ Nur wenn Salzgitter und Thyssenkrupp den grünen Stahl nicht produzieren können, dann können es die Kleinen auch nicht. Das sind halt immer die Leitmärkte.
„Robert Habeck ist der richtige Wirtschaftsminister“
Brockhaus: Ich widerspreche, dass Innovation immer von den Großen der Branche ausgeht. Das sind leider meist träge Dinos. Es ist nicht richtig, dass Wirtschaftsminister über das Wohl von Unternehmen in unserem Land mit Subventionen entscheiden. Es ist völliger Wahnsinn, dass wir Deutschland deindustrialisieren, während viele andere Länder gar nicht mitziehen. Wollen die Grünen Moralweltmeister werden und dafür in Armut leben?
Janecek: Beim Stromsektor geht es doch gut voran. Bei der Schwerindustrie ist es deutlich härter. Da merken wir, dass – wenn gleichzeitig Krisen wie Corona, Krieg, Inflation und dann noch internationaler Druck, Handelskriege, Trump – auftreten, das es eine schwierige Situation ist. Und deswegen wird man nach dieser Legislaturperiode nachdenken müssen, ob die Instrumente so passen. Aber Robert Habeck ist der richtige Wirtschaftsminister. Ein Weg wäre auch, der Automobilindustrie zu sagen, dass in jedem neuen Auto zwei Prozent grüner Stahl sein müssen.
Brockhaus: Ein gutes Beispiel für Planwirtschaft. Man kann dafür selbstverständlich auch sein, dass der Staat alles plant und regelt. Die Publizistin und Grünen-Parteimitglied Ulrike Herrmann hat ja beispielsweise das Buch 'Das Ende des Kapitalismus' geschrieben.
Janecek: Davon halte ich nichts.
„Die fehlende Digitalisierung kostet uns extrem viel Produktivität“
Brockhaus: Aber Sie glauben, dass der Staat ein guter Unternehmer ist?
Janecek: In der Regel nicht, nein. Es sollte möglichst viel Freiheit auf den Märkten herrschen. Aber bei den energieintensiven Bereichen, die eh schon unter Druck stehen ... Wir stehen ja auch in einem globalen Wettbewerb. Ich war in Peking. Da fährt jeder Dritte ein Elektroauto. Die erzwingen das ja auch.
Brockhaus: Anstelle von Zwang könnte man auch die Abgaben für Unternehmen senken. Und Stichwort ‚Staat als guter Unternehmer‘: Ich stand ja gerade an Ihrem Seiteneingang zum Bundestag. Da sitzen drei Menschen bei der Anmeldung, wo kaum jemand ein- und ausgeht. Eine Person könnte den Anmeldeprozess locker allein begleiten. Wie kann es sein, dass kein Politiker das mal anspricht? Einem Familienunternehmer würde das auffallen, und er würde handeln.
Janecek: Das obliegt der Bundesverwaltung. Die hat auch sehr spät erst WLAN eingeführt. Ich glaube, das war 2017. Nein, das ist kein Scherz. Der Digitalausschuss kam auch erst 2014. Da bin ich Gründungsmitglied. Die fehlende Digitalisierung kostet uns extrem viel Produktivität – auch im Bundestag. Wir Politiker haben den Daumen gar nicht so richtig drauf auf der Bundesverwaltung. Und ich finde auch, dass wir mittlerweile zu viele Leute haben, die ohne berufliche Hintergründe ins Parlament kommen. Das nimmt in vielen Parteien zu, auch bei den Grünen.
Brockhaus: Da sind wir einer Meinung. Ich habe bereits 2017 in der 'Wirtschaftswoche' gefordert, dass wir fähigere Politiker mit Berufserfahrung brauchen. Und wissen Sie, was es noch in den Parteien bräuchte – neben der Berufserfahrung? Mehr Streit, mehr Widerspruch, mehr Debatte.
Janecek: Da gebe ich Ihnen recht. Das ist ein großes Problem, und ich kann das auch in meiner Partei beobachten. Ich bin ja jetzt schon 30 Jahre dabei, damals mit 18 eingetreten. Ich kenne noch andere Zeiten. Da hatten wir heftige Streits. Heute herrscht überall diese Unnachgiebigkeit, dieses Pochen darauf, recht zu haben, das sehr schnell in eine Haltungsdiskussion abdriftet. Das lehne ich total ab.
„Abkanzeln von Teilen der Gesellschaft, das ist schon ein Problem“
Brockhaus: Viele Menschen trauen sich auch nicht mehr, ihre Meinung zu sagen.
Janecek: Einem Politiker, der nicht auf Linie ist, kann das auch sehr schnell ein Amt kosten. Das hat zugenommen, das war früher besser. Das ist aber nicht nur bei den Grünen so, das beobachte ich parteiübergreifend. Man muss Diskussionen führen dürfen – und zwar über alle Themen. Ich habe auch Familie in Österreich, die zur Hälfte FPÖ wählt. Ich mag diese Leute trotzdem. Dieses Abkanzeln von Teilen der Gesellschaft, das ist schon ein Problem.
Brockhaus: Was ist Ihr Plan für eine bessere Debattenkultur in unserem Land und innerhalb der politischen Parteien?
Janecek: Man bräuchte mehr Beteiligung der breiten Basis. Es kann nicht sein, dass politische Netzwerke innerhalb der Parteien, die oft sehr vermachtet sind, allein entscheiden. Umso breiter die Basis beteiligt ist, umso besser wird die Entscheidung.
Brockhaus: Wie viel kann die Parteibasis denn aktuell entscheiden?
Janecek: Nichts, ehrlich gesagt. Also ziemlich wenig. Die Basis wird ein bisschen vorgeführt, als könne sie etwas entscheiden, aber am Ende wird in allen politischen Parteien fast alles über Gatekeeper geregelt. Und das ist ein Problem, weil dann immer die gleichen Politikertypen am Ende dabei herauskommen.
„Positivquote für Berufserfahrung in der Politik“
Brockhaus: Was könnte man dagegen tun?
Janecek: Man sollte eine Quote einführen, eine Positivquote für Berufserfahrung in der Politik. Wir Grünen sollten sagen: 50 Prozent der Kandidierenden müssen zumindest mal zwei Jahre außerhalb des Politikbetriebs gearbeitet haben. Das wäre nicht nur für uns Grüne, sondern für alle Parteien sinnvoll.
Brockhaus: Ich stimme dem Vorschlag zu. Fast zu viel Einigkeit haben wir hier heute für ‚Nena und die andere Meinung‘. Aber ich würde noch eine dritte Anforderung ergänzen: Wir brauchen ein Ministerprofil. Die Bundesminister für Justiz haben Jura studiert, aber wieso haben wir als Verkehrsminister keinen Mobilitätsfachmann, und wieso hatten wir in der Vergangenheit drei Verteidigungsministerinnen, die nie bei der Bundeswehr waren?
Janecek: Was zugenommen hat, ist der Punkt: ‚Ich bin Politikprofi, das ist mein Job.‘ Und dann kann ich alles. Aber das stimmt nicht. Wir müssen uns nicht wundern, wenn Leute zum Teil abdriften, weil die Sprache gar nicht mehr stattfindet.
Brockhaus: Ein Problem ist auch das Angstverbreiten. Die AfD tut das mit Blick auf Migration, und ich finde, Sie – also Ihre Partei, die Grünen – tun es mit dem Klimawandel. Ich saß heute in der Maske, und die Maskenbildnerin erzählte, dass sie keine Kinder kriegen wolle, weil es in zwanzig Jahren keine Bäume mehr in Deutschland gäbe.
Janecek: Ich glaube, dass man dramatische Szenarien – und die gibt es bei der Klimakrise – benennen muss. Aber wenn wir den Menschen immer nur Angst machen, auch mit der Atomkraft, dann gewinnen wir damit nur kurzfristig Wählerstimmen.
„Gibt es in zwanzig Jahren noch Bäume?“
Brockhaus: Die Gesellschaft in Deutschland ist eine Angstgesellschaft geworden – in vielerlei Hinsicht. Sie haben Angst vor Migration, sie haben Angst vor der Klimakrise, sie haben Angst vor allem. Also: Gibt es in zwanzig Jahren noch Bäume?
Janecek: Es wird Bäume geben, und wir haben die Chance, das hinzukriegen, weil wir Technologie einsetzen können und weil auf der ganzen Welt Skalierungseffekte stattfinden. Vielleicht nochmal zurück zur Wirtschaft: Ich bin überzeugt, dass wir die Klimakrise am Ende in den Griff kriegen werden – leider etwas spät. Wir werden eine Klimaanpassung haben, die auch Menschenleben kosten wird. Und wenn man Natur und Biodiversität vernichtet, dann ist das ein Problem.
Brockhaus: Da haben wir wieder die Angst: ‚Es wird Menschenleben kosten.‘
Janecek: Das ist die Realität. In Los Angeles gab es früher auch schon Brände, aber in dieser Häufung? Das kann man mittlerweile nicht mehr ignorieren. Es ist ein großes Problem, aber es könnte doch auch eine große Chance sein, dass wir mit einer freien Wirtschaft, die sich aber ganz klar Ziele definiert, das in den Griff kriegen.
Brockhaus: Vorbei mit Einigkeit zwischen uns. Was Sie da ansprechen, ist ganz klar eine gelenkte Wirtschaft. Das kann nicht die Lösung für unser Land sein. Es wäre aber auch tragisch, wenn wir bei ‚Nena und die andere Meinung‘ in Einigkeit enden. Herzlichen Dank für das Gespräch. Es war mir eine große Freude!
Grünen-Politiker ändert Interview-Text nicht
Wir verabschieden uns. Anschließend schicke ich ihm unser Gespräch zur Autorisierung. Das ist in Deutschland gängige Praxis – leider. Anders als in England oder Amerika dürfen Politiker die Gespräche vor der Veröffentlichung ansehen. Die meisten nutzen dies nicht bloß zum Ansehen, sondern zum kreativen Umschreiben.
Ich verrate Ihnen an dieser Stelle ein Geheimnis: Kein einziges Interview, das ich je mit einem Politiker geführt habe, haben Sie, liebe Leser, 1:1 so gelesen, wie es gesprochen wurde. Bis heute. Mit Dieter Janecek ist es passiert. Auf das Wortlautinterview hin antwortete er per Mail: Kann so raus. Danke.
Mir ist bewusst, dass es schlimm ist, wenn ich Politiker schon dafür feiere, sich an das gesprochene Wort zu halten. Aber glauben Sie mir: Die wenigsten Politiker in unserem Land tun das.
Nun interessiert mich aber viel mehr, was Sie denken: Sind Sie diese Woche Team Janecek oder Team Brockhaus? Für Eingriffe in die Wirtschaft oder dagegen? Seien Sie sich gewiss: Ich lese immer all Ihre Kommentare – jeden einzelnen.
In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche Samstag wieder.
Ihre
Nena Brockhaus