Nena und die andere Meinung - Und dann fragt mich DB-Mitarbeiter: „Warum fahren Sie überhaupt mit der Bahn?“
Ich habe keine hohe Meinung von der Deutschen Bahn, auch nicht von den Bahnmitarbeitern. Kürzlich war mein Zug – mal wieder – über zwei Stunden verspätet, und ich unterhielt mich mit Bahnmitarbeitern. Schenken Sie mir einen Augenblick für die andere Meinung.
Da stehe ich nun auf dem Bahnsteig. Irgendwo im Nirgendwo. Mal wieder. Ich ärgere mich maßlos, habe ich doch später einen wichtigen Termin in Berlin. Mir dämmert bereits, dass mein Puffer zu klein für die erwartete Verspätung ist. Vor allem weiß niemand, wann es denn nun eigentlich weitergeht. Ein Bahnmitarbeiter schaut mich mitleidig an und fragt: „Wieso fahren Sie überhaupt mit der Bahn, wenn Sie einen wichtigen Termin haben? Das würde ich niemals machen. Man weiß doch nie, wann man ankommt.“
Bahnmitarbeiter: Verspätungen sind keine Ausnahme, sondern die Regel
Ich antworte genervt, dass er ja Recht habe, ich das Bahnfahren aber einfach mal wieder ausprobieren wollte. Wie er selbst das denn eigentlich mache, wenn er abends verabredet sei? Der Schaffner schaut mich länger an und erklärt mir dann, dass er sich bei wirklich wichtigen Terminen krankmelde. Schließlich wisse er ansonsten nie, wann er zu Hause sei. Verspätung sei keine Ausnahme, sondern die Regel. Der Feierabend sei dementsprechend schwer bis gar nicht planbar.
Wenn ein Gast bei ihm die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn loben würde, wisse er sofort, dass diese Person nicht oft Bahn fährt. Jetzt eben einmal Glück hatte. Er hat Recht. Bahnfahren ist wie Glücksspiel. Zwischen keiner Fahrt, einer kleinen Verspätung und drei Stunden ist alles möglich. Nur eines ist nahezu ausgeschlossen: Pünktlichkeit und Zufriedenheit. Jeder dritte Zug hatte im Jahr 2023 eine Verspätung (mehr als 6 Minuten). Ausfälle werden von der Bahn nicht erfasst. Böse Zungen würden dahinter Selbstschutz vermuten. Die Gründe für die Verspätungen sind immer vielfältig: Weichenstörungen, Personalmangel und Verspätung eines vorausfahrenden Zuges sind die Klassiker.
Ganz normales Wetter wird für die Deutsche Bahn zur Herkulesaufgabe
Aber auch unterhaltsame Erklärungsversuche sind immer wieder zu hören. Mein Favorit: Wildschweine im Gleisbereich. Doch auch der Aufenthalt in einem fahrenden Zug kann unerträglich werden, besonders wenn Jahreszeiten zu spüren sind. Im Winter ist es der Schnee, im Sommer die Hitze und im Herbst die Stürme. Ganz normales Wetter wird für die Deutsche Bahn zur Herkulesaufgabe.
Auch unsere Nachbarn belastet die notorische Unpünktlichkeit der Bahn. Die Schweiz fällte deshalb ein hartes Urteil, wie der SPIEGEL berichtet: „Inzwischen werden Züge, die 10 bis 15 Minuten oder mehr Verspätung haben, an der Grenze ausgesetzt. Die Schweizer Bahnen SBB setzen ab Basel eigene Züge mit pünktlicher Abfahrt ein. Gäste aus Deutschland müssen dort dann in den nächsten Zug umsteigen.“
Doch als ob das nicht genug Demütigung wäre, bietet uns die Schweiz jetzt Hilfe und Tipps für den Bahnbetrieb an. Deutschland ist wohl nicht in der Lage, seine Bahn selbst zu betreiben. Quasi wie ein Entwicklungsland. Unsere frühere Überheblichkeit kommt jetzt wie ein Bumerang zu uns zurück.
Tatsächlich – man kann es sich kaum vorstellen – gab es eine Zeit in unserem Land, als Bahnfahren ein Genuss war. Sogar die Uhr soll man nach den Zügen gestellt haben. Doch diese goldenen Zeiten sind längst vorbei. Inzwischen eignet sich die Bahn noch für Comedians und als Beispiel für den Zustand unserer Infrastruktur.
Endstation Privatisierung
Zerstört wurde diese Idylle durch die Bahnreform 1994. Die west- und ostdeutschen Bahngesellschaften wurden miteinander in eine Aktiengesellschaft verschmolzen, die zu 100 % dem Staat gehört. Ein durchaus kluger Schritt: Die Bahn wurde moderner und wirtschaftlicher. Das Beamtentum hatte ein Ende. Doch wer hier vermuten würde, dass der Staat etwas Durchdachtes getan hat, irrt.
Die zweite Stufe der Privatisierung sah vor, die Bahn an die Börse zu bringen. Zu diesem Zweck wurde die Bahn in viele kleine Tochtergesellschaften filetiert und unter dem damaligen Bahnchef Mehdorn auf noch mehr Effizienz getrimmt. Eine fatale Nebenwirkung war, dass „zwischen 1994 und 2022 die Betriebslänge des Bahnnetzes immer weiter reduziert wurde: von 40.385 Kilometern 1994 auf 33.469 Kilometer im Jahr 2022“, wie der RBB berichtet.
GDL-Chef Claus Weselsky fasst es in einem Interview mit dem SPIEGEL so zusammen: „Über Jahrzehnte haben Betriebswirtschaftler – ich nenne sie Erbsenzähler – immer wieder rationalisiert, ohne das System zu kennen und ohne zu wissen, welche Auswirkungen es auf das System hat. Unter Mehdorn wurden Weichen rausgeschnitten und Gleise dadurch im Prinzip eliminiert und aus den Büchern gestrichen, damit Herr Mehdorn die schwarze Null für den Börsengang bekam.“
„Mammutprojekt“ Generalsanierung
Natürlich ist auch Claus Weselsky mit den Streiks der GDL für viele wütende Bahnkunden mitverantwortlich. Sein Punkt ist trotzdem spannend. Er beschreibt, dass diese fehlenden Gleise nicht als Überholgleise genutzt werden können, wodurch Regionalzüge ICEs ausbremsen, da sie deutlich langsamer fahren.
Die übrig gebliebenen Schienen sind zudem oft veraltet und dringend sanierungsbedürftig. Die Bundesregierung hat dieses Problem erkannt und stellt für die „Generalsanierung“ von 4.000 Kilometern Schiene 40 Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung. Die Bundesregierung spricht von einem „Mammutprojekt“. Wer sich an Stuttgart 21, den Berliner Flughafen, die Hamburger Elbphilharmonie oder die Kölner Oper erinnert, kann sich vorstellen, wie lange dieses „Mammutprojekt“ dauern und wie teuer es werden wird. An dieser Stelle bleibt nur übrig, der Bahn und der Bundesregierung Glück zu wünschen. Sie werden es brauchen! Und den Bahnmitarbeitern in unserem Land wünsche ich Dienstpläne, auf die sie sich verlassen können.
Aber vielleicht haben Sie, liebe Leser, eine ganz andere Meinung: Was halten Sie von der Deutschen Bahn? Seien Sie sich gewiss, ich lese immer all Ihre Kommentare, Mails und Zuschriften. Es gibt für mich nichts Größeres als politische Debatten!
In diesem Sinne: Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächsten Samstag wieder!
Ihre Nena Brockhaus