Libanon: UN-Friedenstruppe erhebt neue Vorwürfe gegen israelische Armee
Im Libanon ist es bei israelischen Angriffen gegen die Hisbollah-Miliz offenbar erneut zu Zwischenfällen mit Soldaten der UN-Friedenstruppe im Libanon (Unifil) gekommen. Am frühen Sonntagmorgen hätten zwei israelische Panzer das Haupttor einer Unifil-Stellung in der Gegend von Ramia zerstört, seien "gewaltsam" eingedrungen und 45 Minuten später wieder abgezogen, hieß es in einer Erklärung der Blauhelmtruppe. Israel führte unterdessen seine Angriffe im Libanon fort - auch jenseits der bisher ins Visier genommenen Hisbollah-Hochburgen.
Die Unifil erklärte am Sonntag zudem, am Vortag hätten Soldaten der israelischen Armee "eine entscheidende logistische Bewegung der Unifil in der Nähe von Mais al-Dschabal blockiert und ihr den Weg versperrt". Die UN-Friedenstruppe forderte die israelische Armee auf, Erklärungen zu liefern und sprach von "schockierenden Verstößen".
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu forderte am Sonntag UN-Generalsekretär António Guterres auf, die Blauhelmsoldaten aus der Gefahrenzone zu bringen. Ihre Anwesenheit liefere den in der Gegend anwesenden Hisbollah-Kämpfern "menschliche Schutzschilde".
Die UN-Friedensmission hatte der israelischen Armee zuvor bereits vorgeworfen, Stellungen in der südlibanesischen Stadt Nakura, wo sich das Unifil-Hauptquartier befindet, in den vergangenen Tagen "vorsätzlich" beschossen zu haben. Nach Unifil-Angaben wurden dabei insgesamt fünf Soldaten verletzt. Die Vorfälle wurden international scharf verurteilt. 40 Länder sagten der UN-Friedenstruppe im Anschluss ihre "uneingeschränkte" Unterstützung zu.
Die Unifil-Friedenstruppe ist seit 1978 im Libanon stationiert, sie umfasst mehr als 10.000 Soldaten und Zivilkräfte. Seit der nach dem Libanon-Krieg von 2006 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 1701 wurden die Aufgaben der Blauhelmtruppe deutlich erweitert. Die Resolution sieht unter anderem vor, dass lediglich Truppen der Unifil und der libanesischen Armee im Grenzgebiet zu Israel eingesetzt werden sollten. Die Hisbollah blieb ungeachtet dessen dort.
Die israelische Armee führte am Wochenende ihren Kampfeinsatz gegen die Hisbollah fort. Erneut nahm sie dabei Hochburgen der pro-iranischen Miliz im Süden und Osten des Libanon ins Visier. In von der Hisbollah kontrollierten Gebieten trafen israelische Kampfflugzeuge unter anderem einen Marktplatz in der südlichen Stadt Nabatijeh und eine hundert Jahre alte Moschee im Dorf Kfar Tibnit nahe der Grenze, wie die libanesische Nachrichtenagentur NNA berichtete. Die Moschee sei komplett zerstört worden.
Auch in Ortschaften außerhalb der als Hisbollah-Hochburgen geltenden Gebiete flog die israelische Armee Luftangriffe. Libanesischen Angaben zufolge wurden dabei am Samstag mindestens 15 Menschen getötet, neun davon bei einem Angriff auf das mehrheitlich von Schiiten bewohnte Dorf Maaisrah nördlich der Hauptstadt Beirut.
Die israelische Armee rief am Sonntag zudem die Bewohner von 20 weiteren Ortschaften im Südlibanon auf Arabisch zur Evakuierung auf. Israelische Kampfjets trafen nach Armeeangaben im Süden des Libanon Abschussrampen der Hisbollah, Stellungen für Panzerabwehrraketen, Waffenlager sowie "weitere Terrorziele". Am Boden hätten die Soldaten "Dutzende Terroristen ausgeschaltet".
Erstmals seit Beginn des israelischen Bodeneinsatzes im Libanon Anfang Oktober gelang es der Armee zudem am Sonntag nach eigenen Angaben, einen Hisbollah-Kämpfer gefangenzunehmen. Er sei in einem Tunnel gefunden worden, in dem sich auch ein Waffenlager befand.
Der israelische Verteidigungsminister Gallant betonte, sein Land werde auch nach einem Rückzug der Armee aus dem libanesischen Grenzgebiet eine Rückkehr von Hisbollah-Kämpfern dorthin unterbinden.
Die Hisbollah erklärte ihrerseits, sie habe israelische Soldaten in der grenznahen libanesischen Ortschaft Marun al-Ras sowie in Blida unter Beschuss genommen und Raketen auf einen Militärstützpunkt in der nordisraelischen Hafenstadt Haifa abgefeuert. Die israelische Armee sprach von 115 Hisbollah-Geschossen, die auf israelisches Gebiet abgefeuert worden seien.
Nach dem Großangriff der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Krieg im Gazastreifen hatte die mit der Hamas und dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz mit permanenten Raketenangriffen auf den Norden Israels eine zweite Front gegen das Land eröffnet. Infolge der gegenseitigen Angriffe mussten auf beiden Seiten der Grenze zehntausende Menschen ihre Häuser verlassen.
In den vergangenen Wochen weitete Israel seine Angriffe auf die Hisbollah massiv aus. Ende September wurden bei einem Luftangriff Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und andere hochrangige Kommandeure der Schiitenmiliz getötet.
Israel setzt auch seine Angriffe im Gazastreifen fort. Seit Tagen nimmt die Armee insbesondere Ziele in und um Dschabalia im Norden des Palästinensergebiets ins Visier. Ziel sei es, die "Hochburgen" der Hamas zu zerschlagen, sagte Regierungschef Netanjahu.
Nach Angaben der von des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums stieg die Zahl der seit Beginn des israelischen Militäreinsatzes getöteten Menschen auf über 42.200.
se/bfi