Erinnerungen an Wehrmacht? Hitzige Debatte über Zapfenstreich
Mit Trommeln und Fackeln wird der Afghanistan-Einsatz in Berlin feierlich gewürdigt. Im Netz hagelt es nach dem Zapfenstreich der Bundeswehr plötzlich NS-Vergleiche. Wie groß ist die Entfremdung von Gesellschaft und Truppe?
Dutzende Soldaten in dunklen Uniformen, die im Gleichschritt vor dem Reichstagsgebäude aufmarschieren, sie tragen brennende Fackeln und ernste Gesichtszüge, dazu ein pompöser Militärmarsch.
Gedacht als eine anrührende Gedenkstunde, als höchste Ehrung für die etwa 90.000 deutschen Soldaten, die mit der Bundeswehr in Afghanistan waren und dort ihr Leben riskierten. Bei einigen Beobachtern sorgen die Bilder des Großen Zapfenstreichs vom Mittwochabend allerdings im Nachgang für Befremdung und Unbehagen. Manche ziehen gar Parallelen zur NS-Zeit, als Nazis 1933 mit Fackeln durch das Brandenburger Tor schritten.
Einmarsch zum Großen Zapfenstreich. Vor dem Reichstagsgebäude ehren wir die Soldatinnen und Soldaten, die für unser Land in #Afghanistan im Einsatz waren. 20 Jahre war die #Bundeswehr am Hindukusch. 20 Jahre, die Deutschland geprägt haben. pic.twitter.com/npqoPn6FHd
— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) October 13, 2021
Am Morgen nach dem Zeremoniell, die letzte Fackel ist längst erloschen, entfaltet sich eine hitzige Debatte auf Twitter. Tausende Nutzer posten zu Hashtags wie #Wehrmacht und #Ritual, das Schlagwort #Zapfenstreich liegt zeitweise auf Platz zwei der Twitter-Trends für Deutschland. Nun hat das Kurznachrichtenportal einen gewissen Blasencharakter, der mitunter das Meinungsbild der Bevölkerungsmehrheit verzerrt. Aber aus der Debatte lässt sich auch etwas lesen über das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer Armee.
Bei der Feier am Mittwochabend soll es um Anerkennung gehen, um Würdigung und um einen vorläufigen Schlusspunkt für einen schwierigen, schmerzhaften und langen Einsatz der Truppe. 59 Soldaten ließen am Hindukusch ihr Leben. Der Große Zapfenstreich ist das höchste militärische Zeremoniell der deutschen Streitkräfte. Mit dem Brauch werden etwa Bundespräsidenten und Bundeskanzler sowie Verteidigungsminister bei ihrer Verabschiedung geehrt. Seine Ursprünge liegen nicht in der NS-Zeit, sondern gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Das Zeremoniell findet immer abends statt, besteht aus einem Aufmarsch, mehreren Musikstücken - darunter die Nationalhymne - und dem Ausmarsch. Fackeln gehören immer dazu.
Wenn Deutsche Fackeln in die Hand nehmen sag ich mit Max Lieberman „ick kann janich so viel fressen, wie ich kotzen möchte“. Verteidigungspolitische Richtlinien sprechen inzwischen offen von Verteidigung von Kapitalinteressen. #Zapfenstreich dient Militarisierung der Gesellschaft https://t.co/oAbSMmEwzt
— Jutta Ditfurth (@jutta_ditfurth) October 13, 2021
Eine Reihe von Nutzern, aber auch linke Politiker, fühlen sich durch die Szenen der Zeremonie aber an dunkle Kapitel der deutschen Geschichte erinnert, insbesondere weil der Fackelzug nicht etwa im Bendlerblock, sondern vor dem Reichstagsgebäude stattfand. "Wenn Deutsche Fackeln in die Hand nehmen" sage sie mit Max Liebermann "ick kann janich so viel fressen, wie ich kotzen möchte", schreibt die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth. Die Linke-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen verweist auf die zivilen Opfer des Afghanistan-Krieges und toten Soldaten. "Was gibt es da zu feiern mit diesem militaristischen Mummenschanz?"
Bilanz des #Afghanistan -Kriegs: rund 240.000 Tote (zumeist Zivilisten), 5,5 Millionen Vertriebene, ungesühnte Kriegsverbrechen, Herrschaft der Taliban und 59 tote #Bundeswehr -Soldaten. Was gibt es da zu feiern mit diesem militaristischen Mummenschanz? #Zapfenstreich #Zapfnix
— Sevim Dağdelen, MdB (@SevimDagdelen) October 13, 2021
"Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS-Zeit", fragt Grünen-Urgestein Christian Ströbele.
Großer Zapfenstreich mit Fackelzug heute vor Reichstag. Buwe feiert Ende ihres Einsatzes in Afghanistan. Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS- Zeit. In dem Krieg starben über 175 000 Mensch-meist Zivilisten.Nichts ist gut in Afghanistan. Was gibts da zu feiern.
— Christian Ströbele (@MdB_Stroebele) October 13, 2021
Der Satiriker Jan Böhmermann schreibt, er finde "Fackelmärsche von Uniformierten vorm Reichstag richtig, richtig scheiße". Warum denke sich das Land der Tüftler nicht mal eine Zapfenstreich-Innovation aus, fragt er.
Ich finde Fackelmärsche von Uniformierten vorm Reichstag richtig, richtig scheiße. Egal, aus welchem Anlass.
Aber sowas darf man heutzutage ja nicht mehr öffentlich sagen.— Prof. Dr. Jan Böhmermann 🦠🤨 (@janboehm) October 13, 2021
Das Bundesverteidigungsministerium reagiert ernüchtert auf die Kommentare. "Debatte ist notwendig und wichtig. Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns", schreibt das Ministerium auf Twitter und postet dazu ein Erklärvideo zum Zeremoniell. Die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee. "Als diese hat sie ihren Platz inmitten der Gesellschaft - bei besonderen Anlässen auch vor dem Reichstagsgebäude." Ein politischer Missbrauch des Zapfenstreichs sei unwürdig. Aus Kreisen heißt es, man habe sich im Einklang aller Verfassungsorgane auf den Ort geeinigt.
Debatte ist notwendig und wichtig. Vergleiche mit dem dunkelsten Kapitel Deutschlands enttäuschen uns.
Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee. Als diese hat sie ihren Platz inmitten der Gesellschaft - bei besonderen Anlässen auch vor dem Reichstagsgebäude: pic.twitter.com/JMpAkXNPN8— Verteidigungsministerium (@BMVg_Bundeswehr) October 14, 2021
Unter anderem der Bund Deutscher Einsatzveteranen hatte sich eine Würdigung des Einsatzes vor dem Reichstagsgebäude gewünscht. 2015 gab es dort auch einen Großen Zapfenstreich - zum 60-jährigen Bestehen der Bundeswehr. Für eine Parlamentsarmee könne er sich keinen besseren Platz vorstellen als den Sitz des Parlaments, um die Leistung der Bundeswehr und die Opfer der Truppe zu würdigen, sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, der dpa. "Die Kritik daran, die jetzt aus dem linken Spektrum laut wird, ist aus meiner Sicht Ausdruck einer generellen Ablehnung des Militärischen im Allgemeinen und der Bundeswehr im Besonderen."
Wir brauchen in Deutschland eine breite, regelmäßige & öffentliche Debatte zur Sicherheitspolitik. Das zeigen nicht nur mindestens irritierende Tweets zum #Zapfenstreich. Zeremoniell war in Form, Würde & am einzig richtigen Ort (Parlamentsarmee vor Parlament) absolut angemessen. pic.twitter.com/bh1PTBkzCn
— Marie-Agnes Strack-Zimmermann (@MAStrackZi) October 14, 2021
Auch Verteidigungspolitiker protestierten aufs Schärfste. "Zeremoniell war in Form, Würde & am einzig richtigen Ort (Parlamentsarmee vor Parlament) absolut angemessen", kommentierte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour bezeichnete den Zapfenstreich als "richtig, würdevoll und bewegend".
Der #Zapfenstreich war richtig, würdevoll und bewegend. Und der kleinste Dank, den wir als Parlament der #Bundeswehr erweisen konnten.
Wir sollten aber nicht vergessen: Für die Deutschen gab es ein Ende mit Schrecken.
Für die Menschen in #Afghanistan gibt es Schrecken ohne Ende. pic.twitter.com/GNY9UvibyR— Omid Nouripour (@nouripour) October 13, 2021
"Wer die Parlamentsarmee #Bundeswehr wegen eines Jahrhunderte alten Zeremoniells mit der #Wehrmacht (!) vergleicht, hat die Kontrolle über sein Denken verloren", kritisiert FDP-Politiker Marco Buschmann.
Wer die Parlamentsarmee #Bundeswehr wegen eines Jahrhunderte alten Zeremoniells mit der #Wehrmacht (!) vergleicht, hat die Kontrolle über sein Denken verloren. #GrosserZapfenstreich
— Marco Buschmann (@MarcoBuschmann) October 14, 2021
"Man kann sich nicht in Sonntagsreden beschweren, dass der Einsatz in Afghanistan einen breiteren Raum einnehmen soll in der Debatte, und dann den Soldaten sagen: Geht fürs Zeremoniell in die Kaserne", sagte der Grünen-Politiker Tobias Lindner - aufgrund der Teilnahme an einer mehrtägigen Übung selbst Panzerschütze der Reserve - der Deutschen Presse-Agentur. Man müsse zwar diskutieren, was traditionswürdig für die Bundeswehr sein könne und was nicht - aber man könne Zeremonien nicht frei erfinden. "Auch andere Zeremonien wie Serenaden werden mit Fackeln abgehalten", sagte Lindner. Der Große Zapfenstreich sei weder ein Ritual aus dem Dritten Reich, noch eines, "das etwas Heroisches hochzieht". Aber die Kritik daran zeige auch, wie schwierig die öffentliche Debatte sei.
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