Neue Details - Recherchen legen nahe: Nawalny-Tod war entscheidende Wende für Gefangenaustausch

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt die frei gelassenen Personen<span class="copyright">Marvin Ibo Güngör/Bundesregier</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt die frei gelassenen PersonenMarvin Ibo Güngör/Bundesregier

Der Tod von Alexei Nawalny in russischer Haft hat alles verändert. Neue Recherchen zeigen, warum der russische Oppositionspolitiker Dreh- und Angelpunkt bei dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, den USA und Deutschland war.

Der Austausch sei für die Verbündeten der USA „ein harter Brocken“ gewesen. So formulierte es US-Präsident Joe Biden, nachdem am 1. August in Ankara der historische Gefangenenaustausch zwischen Amerikanern, Russen und auch Deutschen über die Bühne gegangen war. Jetzt kommen immer mehr Details über die Hintergründe des Deals ans Licht.

Russland hat im Austausch gegen acht Gefangene aus westlichen Staaten insgesamt 16 Personen freigelassen. Bei den russischen Straftätern handelt es sich um zum Teil rechtmäßig verurteilte Personen. Die 16 Westler waren von Russland und Weißrussland zum Teil unter fragwürdigen Bedingungen zu langjährigen Haftstrafen, in einem Fall sogar zum Tode verurteilt worden. Eine Recherche von „Welt“ und „Politico“ zeigt nun, wie es zum größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges kam.

Gefangenenaustausch: Alexej Nawalny war Dreh- und Angelpunkt des Deals

Dreh- und Angelpunkt des Deals sei die Aussicht auf die Freilassung des inhaftierten russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny gewesen. Das sei die Grundlage dafür gewesen, dass sich die Bundesregierung überhaupt erst auf den von den USA vermittelten Austausch einließ.

Auf der anderen Seite saß der sogenannte Tiergartenmörder, der russische Auftragskiller Vadim Krasikow, in Deutschland in Haft. Der Recherche zufolge war er wiederum der Schlüssel, um Russland zur Freilassung mehrerer inhaftierter Amerikaner zu bewegen, darunter der Journalist Evan Gershkovich vom „Wall Street Journal“.

Ein entscheidendes Treffen habe ein halbes Jahr nach Bidens Amtsantritt in einem Herrenhaus am Genfer See stattgefunden, berichtet die „Welt“. Dort habe er von Putin verlangt, dass beide Länder die Kommunikation über den Gefangenenaustausch auf Geheimdienstebene aufrechterhalten.

Die Verhandlungen über diesen komplexen Austausch seien in der Folge schließlich von den USA und Deutschland geführt worden. Anfangs seien die Verhandlungen aufgrund des Widerstands der deutschen Seite ins Stocken geraten, insbesondere weil die Freilassung eines verurteilten Mörders wie Krasikow in Deutschland politisch heikel gewesen sei. Und für die Amerikaner sei der Austausch von Nawalny und Krasikow, wie ihn Deutschland erwogen habe, nicht ausreichend gewesen.

Wladimir Putin (r) begrüßt den vom Westen freigelassenen russischen Gefangenen Wadim Krassikow<span class="copyright">Mikhail Voskresensky/Sputnik Kre</span>
Wladimir Putin (r) begrüßt den vom Westen freigelassenen russischen Gefangenen Wadim KrassikowMikhail Voskresensky/Sputnik Kre

Nawalnys Tod machte umfassenderen Gefangenenaustausch notwendig

Nach dem Tod Nawalnys unter fragwürdigen Umständen in russischer Haft habe sich jedoch alles geändert. Der Deal schien zu scheitern. „An diesem Tag fühlte sich das Team ehrlich gesagt so, als wäre uns der Wind aus den Segeln genommen worden, was unsere Bemühungen betrifft, Paul und Evan nach Hause zu bringen“, sagte ein US-Beamter laut „Welt“.

Mit Nawalnys Tod sei schließlich ein umfassenderer Gefangenenaustausch notwendig geworden, um die Freilassung mehrerer Personen zu erreichen. Erst durch den Tod Nawalnys, so lassen sich die Ergebnisse der Recherchen verstehen, bekamen die deutschen Häftlinge wohl überhaupt die Chance auf eine Rückkehr.

Gefangenenaustausch: Beteiligte Nationen und ausgewählte Gefangenen<span class="copyright">dpa</span>
Gefangenenaustausch: Beteiligte Nationen und ausgewählte Gefangenendpa

 

Am 1. August wurden schließlich die 24 Personen aus den Gefängnissen von sieben verschiedenen Ländern freigelassen. Während der Erfolg des Austauschs in den USA gefeiert wurde, war die Reaktion in Deutschland gemischt.

Alles begann mit der Festnahme des ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan

Ein Bericht der „New York Times“ datiert den Beginn der Entstehung des Gefangenenaustauschs weitere Jahre zurück. Der Ursprung des historischen Deals lasse sich auf die Verhaftung des ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan im Jahr 2018 in Russland zurückführen, der beschuldigt wurde, für die USA spioniert zu haben, und zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde.

Zu jener Zeit hätten die USA jedoch keine geeigneten Gefangenen gehabt, um ihn in einem Austausch freizubekommen, heißt es weiter. Dies habe sich erst im Dezember 2022 geändert.

In Slowenien ging den Behörden ein russisches Agentenpaar ins Netz und konnte verhaftet werden. Die USA hätten Russland daraufhin einen Tausch des Paares gegen Whelan angeboten. Doch Russland habe abgelehnt.

Die Situation eskalierte schließlich weiter, als im März 2023 der amerikanische Journalist Evan Gershkovich in Russland verhaftet wurde. Das Momentum drehte sich. Russland forderte nun im Gegenzug für seine Freilassung die Entlassung von Tiergartenmörder Krasikov. Hier kam Deutschland ins Spiel. Im Frühling 2024 stand schließlich der Deal zwischen den Deutschen und den Amerikanern, so die New York Times.

Hunderte Menschen aus westlichen Ländern in russischer Haft

Die Schätzungen zur Zahl der politischen Gefangenen in Russland gehen auseinander. Laut einem Bericht des „Tagesspiegels“ listet der im Exil lebende russische Unternehmer Michail Chodorkowski 70 politische Gefangene auf, darunter 26 Ausländer. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hingegen listet mehr als 300 Personen.

Der beim jüngsten Gefangenenaustausch freigelassene Moskauer Memorial-Menschenrechtler Oleg Orlow plant, seine Bürgerrechtsarbeit nun im Exil fortzusetzen. Orlow schätzt, dass mindestens 800 politische Gefangene in Russland inhaftiert sind, eine Zahl, die er als konservativ einstuft.

Trotz fragwürdiger Vorwürfe bleiben weiterhin Hunderte Menschen aus westlichen Ländern in russischer Haft. Orlow hofft, sich im Exil für die Freilassung weiterer politischer Gefangener einsetzen zu können, darunter auch acht schwerkranke Personen. „Es war eine große Enttäuschung, als wir feststellten, dass diese Menschen nicht auf der Liste standen, während wir ausgetauscht wurden“, sagte er.

Laut Auswärtigem Amt (AA) sei auch eine „niedrige zweistellige Anzahl an Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft“ weiterhin in Russland inhaftiert, berichtet der „Tagesspiegel“. In Belarus sei es eine „einstellige Zahl“ Deutscher.

Für sie bleibt ungewiss, ob und wann sie freikommen. Seit etwa zwei Jahren würden die russischen Behörden zudem den direkten konsularischen Zugang in Form von Haftbesuchen zu deutsch-russischen Doppelstaatlern verweigern, teilt das Außenministerium auf Anfrage des „Tagesspiegels“ mit.