"Vor jedem neuen Dreh muss ich Ängste aushalten"

Sie ist die neue Ermittlerin beim "Münchener Polizeiruf 110": Verena Altenberger, 31-jährige Österreicherin, tritt das schwere Erbe Matthias Brandts an. Ein Gespräch über chronische Nervosität, schwere Polizeistiefel und junge Leute, die noch einen Fernseher besitzen.

Verena Altenberger gilt als eine der großen Schauspielentdeckungen der letzten Jahre. Wie wandelbar die 31-jährige Österreicherin ist, beweist die Tatsache, dass man sie sowohl als Hauptdarstellerin eines exzellenten Filmdramas über eine heroinsüchtige Mutter ("Die beste aller Welten", bei Netflix) wie auch als Titelheldin einer RTL-Komödienserie ("Magda macht das schon") engagierte. Nun macht Verena Altenbergers Karriere noch einmal einen Sprung. Beim Münchener "Polizeiruf 110" tritt sie am Sonntag, 15. September (20.15 Uhr, ARD) die Nachfolge Matthias Brandts an - und wird so ein großes Millionenpublikum erreichen. Im Prinzip eine unglaubliche Story, denn in jungen Jahren wurde Altenberger, die so offensichtlich so viele Talente aufweist, von fast allen Schauspielschulen abgelehnt.

teleschau: Sie scheinen in letzter Zeit von Erfolg zu Erfolg zu eilen. Nun werden Sie sogar Nachfolgerin von Matthias Brandt beim Münchener "Polizeiruf" ...

Verena Altenberger: In letzter Zeit, da haben Sie recht, läuft es unglaublich gut. Allerdings hatte ich es davor auch lange Zeit schwer. Ich wollte schon immer Schauspielerin werden, aber das hat lange Zeit nicht geklappt. Mein Berufseinstieg war mit viel Scheitern und Ablehnung verbunden. Deshalb fühlt sich mein Weg für mich nicht wie ein schöner Traum, sondern eher hart erarbeitet an.

teleschau: Ist es nicht schwierig als junge Schauspielerin, weiter an sein Talent zu glauben, wenn alle Welt einem sagt: Wir glauben nicht, dass wir dich gebrauchen können?

Verena Altenberger: Wahrscheinlich gehört ein gewisser Größenwahn dazu, es dann trotzdem immer weiter zu versuchen.

"Am Anfang des Berufswegs die volle Dröhnung"

teleschau: Hielten Sie sich weiterhin für talentiert - trotz der Ablehnung?

Verena Altenberger: Nein, das habe ich noch nie getan. Vor jedem neuen Dreh muss ich Ängste aushalten. Bei jedem neuen Projekt glaube ich: Jetzt ist alles weg, was ich habe. Nun ist es aufgebraucht. Oder ich denke, ab sofort werde ich nur noch Dinge wiederholen. Mein Motor ist weniger der Glaube in die eigenen Fähigkeiten, sondern die Zweifel. Ich werde davon angetrieben, mir selbst diese Zweifel zu widerlegen.

teleschau: Das hört sich ein bisschen masochistisch an ...

Verena Altenberger: Vielleicht ist es das (lacht). Aber mich hat Ablehnung schon immer motiviert. Vielleicht war es deshalb ganz hilfreich, am Anfang des Berufswegs die volle Dröhnung abzukriegen.

teleschau: Was löst Ablehnung in Ihnen aus?

Verena Altenberger: Ein Jetzt-erst-recht-Gefühl. Ich glaube, ich funktioniere sehr gut in diesem Modus. Ein gesundes Maß an Angst und Zweifel lässt mich vorsichtig und gut vorbereitet sein. Ich glaube auch, man sollte im Schauspielberuf sehr genau und gut vorbereitet sein.

teleschau: Es gibt bereits viele Kommissarinnen im deutschen Fernsehen. Andererseits stehen die "Polizeiruf"-Filme des Bayerischen Rundfunks immer für Qualität und Experimentierfreude. Was genau hat man mit Ihnen vor?

Verena Altenberger: Die Experimentierfreude beibehalten, aber eben mit einer jungen Ermittlerin. Ich spiele eine Streifenpolizistin im höheren Dienst, die aus Personalmangel zu ihrem ersten Fall kommt. Deshalb trägt sie auch eine Uniform samt Waffengurt. Das Kostüm an sich hat also schon mal eine besondere Ausstrahlung.

"Erlebe mehr Gewalt als meine Eltern in ihrer Zeit als junge Erwachsene"

teleschau: Sie wirken aber - in der Rolle - nicht gefährlich ...

Verena Altenberger: Nein, meine Elisabeth ist eine eher zurückhaltende Frau. Eine, die man leicht unterschätzt. Die aber viel öfter als andere Menschen mit dem Schlechten, dem Bösen in Kontakt kommt. Trotzdem sagt sie sich: Ich möchte mir mein positives, lebensbejahendes Ich nicht wegnehmen lassen von diesem Beruf. Das ist tatsächlich nicht ganz gewöhnlich im Krimi-Drama, wenn Sie sich mal umschauen.

teleschau: Blickt eine junge Frau anders auf die Abgründe dieser Welt als die älteren Kommissare?

Verena Altenberger: Ich glaube, ja. Meine Generation hat einen anderen Blick auf die Dinge, als ältere Ermittler, die vorwiegend die Kommissars-Landschaft prägen. Ich bin einfach eine Generation jünger.

teleschau: Geht diese Generation anders mit Gewalt um?

Verena Altenberger: Der Umgang mit Gewalt ist grundsätzlich mehr vom Individuum als von der Generation geprägt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich einer Generation angehöre, die sich mehr mit Gewalt auseinandersetzt als die davor. Das liegt zum einen an den Medien, die mehr Gewalt transportieren. Ich habe aber auch das Gefühl, dass unsere Elterngeneration weniger Gewalt erlebte. Sowohl in der Sprache, als auch in ihren Erlebnissen.

teleschau: Diese Annahme müssen Sie ein bisschen erklären ...

Verena Altenberger: Wir erleben einen deutlichen Rechtsruck in der Gesellschaft - und der hat viel mit Gewalt zu tun. Meine Eltern mussten sich mit so etwas viel weniger auseinandersetzen. Wir hingegen müssen uns mit Krieg und Terror vor der eigenen Haustür beschäftigen. Wir erleben die Flüchtlingsströme dieser Welt. Ja, ich glaube, ich erlebe mehr Gewalt als meine Eltern in ihrer Zeit als junge Erwachsene.

teleschau: Sie redeten auch von der Gewalt in der Sprache!

Verena Altenberger: Das Netz, beziehungsweise jene Öffentlichkeit, die sich im Netz abspielt, ist tatsächlich voll mit "hate speech" und anderen Bösartigkeiten. Das gab es früher so nicht.

teleschau: Hatte man es früher also besser?

Verena Altenberger: Gewalt gab es immer schon, aber sie potenziert sich heutzutage so schnell - und daran sind die digitalen Medien nicht unschuldig.

"Ich gehe jeden Tag nervös ans Set"

teleschau: Was tun Sie persönlich gegen diese Gewalt?

Verena Altenberger: Ich glaube, dass es der falsche Weg ist, die Gewalt abzustreiten oder sie für sich auszublenden. Ich versuche stattdessen, sehr genau hinzusehen und bewusst mit ihr umzugehen. Natürlich immer in der Hoffnung, es selbst besser machen zu können. Ich versuche, auch in meiner Sprache auf Gewaltfreiheit zu achten - und darüber zu reden. Meine Mutter hat immer gesagt: Gutes tun und drüber reden bringt mehr, als "nur" Gutes zu tun.

teleschau: Wie belastend ist es, als Nachfolgerin von Matthias Brandt ins Kommissars-Rennen zu gehen?

Verena Altenberger: Es belastet mich nicht, aber es ist mir bewusst, dass ich in große Fußstapfen trete. Auf der anderen Seite kann man uns kaum vergleichen: andere Altersklasse, anderes Geschlecht, andere Herkunft. Meine Rolle Elisabeth ist dazu ein gänzlich anderer Charakter: instinktgesteuert, eher aus dem ländlichen Raum, "nur" Streifenpolizistin. Wir sind wirklich sehr unterschiedlich - was für mich ein Vorteil ist.

teleschau: Stichwort: junge Generation. Sind Sie denn noch eine klassischen 20.15 Uhr-Zuschauerin, wenn sonntags der "Tatort" oder "Polizeiruf" gesendet wird?

Verena Altenberger: Ja, das bin ich tatsächlich. Sogar eine, die pünktlich um 20.15 Uhr vor dem Fernseher sitzt. Ich besitze auch noch einen richtigen Fernseher, was ja gar nicht mehr selbstverständlich ist. Am Medium Fernsehen mag ich, dass ich das Gesehene mit vielen anderen Menschen im selben Augenblick teile.

teleschau: Haben Sie Lieblingsermittler im Fernsehen?

Verena Altenberger: Nein, ich schaue viel mehr auf die Geschichten und Filme an sich, als auf die Ermittler. Wenn Plot und Drehbuch stimmen, kann jeder Kommissar, jede Kommissarin glänzen - oder sich zumindest gut einfügen.

teleschau: Haben Sie Matthias Brandt kennengelernt?

Verena Altenberger: Nein, ich habe ihn noch nie getroffen. Aber vielleicht passiert es ja mal. Mich würde das sehr freuen, denn ich bin ein großer Fan von ihm.

teleschau: Machen Ihnen Stars Angst? Sie haben schon mal mit Tom Cruise gedreht ...

Verena Altenberger: Ja, aber nur fünf Sekunden. Es war keine Szene, in der sich große Ängste aufbauen konnten. Dafür fehlte schlichtweg die Zeit (lacht).

teleschau: Macht es einen Unterschied, ob man eine Szene mit einem Star oder einem eher unbekannten Schauspieler dreht?

Verena Altenberger: Eigentlich nicht. Ich habe es noch nie erlebt, dass eine Szene schwieriger zu drehen war, weil es sich beim Spielpartner um einen Star handelte. Ängste oder Nervosität finden lediglich zuvor im Kopf statt. Das Arbeiten mit Stars ist in der Regel sehr professionell. Außerdem gehe ich jeden Tag nervös ans Set. Ob nun mit Star oder ohne (lacht).

"Viele Kleinigkeiten machen das Leben aus"

teleschau: Wenn Sie sich so intensiv vorbereiten - was haben Sie für diesen Film getan?

Verena Altenberger: Ich beschäftigte mich sehr intensiv mit dem Polizei-Alltag. Man stellte mir eine wunderbare Polizistin zur Seite, die mich sehr gut begleitet hat. Sie konnte ich alles fragen: Wie sieht ein normaler Tagesablauf aus? Wann kommt die Waffe an den Gurt? Wann liegt sie im Spind? Und was mache ich mit diesem unbequemen Polizeistiefeln, muss ich die wirklich die ganze Zeit tragen - selbst wenn ich nur vor dem Computer im Büro sitze?

teleschau: Wie lautet die Antwort - bei den Schuhen?

Verena Altenberger: Man hat sie wirklich die ganze Zeit an, während der Schicht. Wenn etwas los ist und man raus muss, hat man keine Zeit, sich noch schnell andere Schuhe anzuziehen. Das scheinen zwar Kleinigkeiten zu sein. Und doch finde ich es wichtig, alles richtig zu machen, weil sie einer Rolle die richtige Ausstrahlung geben. Ich muss bei einer Figur das Gefühl haben, auch Kleinigkeiten verstanden zu haben, selbst wenn die im Film nicht besprochen werden. Aber: Viele Kleinigkeiten machen das Leben aus.

teleschau: Ihr erster Polizeiruf taucht in die Welt der Tiefenpsychologie und Hypnose ein. Teilweise kippt der Film ins Surreale. Ein mutiger Fall gleich zu Anfang ...

Verena Altenberger: Ich habe grundsätzlich Lust auf interessante Filme. Sowohl beim Zuschauen wie auch beim Machen. Mich freuen auch langsame, gut beobachtete Filme, die kein großes Drama darstellen. Aber ich habe auch Lust auf Experimente und schräge Momente. Insofern war ich sehr froh, als ich das Drehbuch las und sah: Hypnose! So kommt man auch als Schauspielerin in spannende Situationen, die man in hochrealistischen Plots einfach nicht antreffen würde (lacht).

teleschau: Wissen Sie schon, wie es mit Ihrer Figur und dem Münchener "Polizeiruf" weitergeht?

Verena Altenberger: Der zweite Film ist bereits im Kasten, er ist unter der Regie Dominik Grafs entstanden. Günter Schütter schrieb das Drehbuch. Das wird ein ganz anderer "Polizeiruf" als der erste. Hypnose wird darin definitiv keine Rolle spielen (lacht).