"Dies war der perfekte Moment, um alle Zweifel auszuräumen"
Am Sonntagnachmittag, um kurz vor fünf, war die Gelegenheit für Kai Havertz auf einmal da. Der 24-Jährige bekam in der 89. Minute an der Strafraumgrenze den Ball an die Brust, ließ ihn abprallen und nahm Maß.
Statt ins Netz beförderte der Neuzugang des FC Arsenal den Ball allerdings weit über den Kasten von Tottenham - und es blieb im heimischen Emirates Stadium bis zum Schluss beim enttäuschenden 2:2.
„Dies war der perfekte Moment für ihn, um alle Zweifel auszuräumen“, schrieb der Guardian tags darauf - und fügte blumig hinzu: „Ein Treffer in die obere Ecke, der Sieg im Nordlondoner Derby mit einem brillanten späten Tor, und im Handumdrehen wäre seine Reise in der Zuneigung der Fans von der Verwunderung zur Umarmung vollendet gewesen.“
Stattdessen: Weiterhin Frust. „Havertz kaute an seinem Hemdkragen: Er wusste, was dieser Moment bedeutete“, schrieb das Blatt noch.
Hemmt Havertz die 75-Millionen-Ablöse?
Auch nach sechs Saisonspielen, in denen er insgesamt 368 Minuten zum Einsatz kam, wartet Havertz noch immer auf seine erste Torbeteiligung - für einen Offensivspieler wie ihn eine desaströse Zwischenbilanz.
Der für 75 Millionen Euro vom FC Chelsea gewechselte deutsche Nationalspieler hatte von Anfang an mit Bedenken im Arsenal-Umfeld zu kämpfen. In der Vorsaison war er eines der Gesichter von Chelseas Horror-Saison, entsprechend empfingen viele Gunners-Fans den sündhaft teuren Neuzugang mit einer gewissen Skepsis.
Havertz ist mittlerweile zum Inbegriff der Zweifel geworden, die allerdings nicht nur den Neuzugang erfassen. Trotz des passablen Saisonstarts mit vier Siegen und zwei Unentschieden ist Arsenals Spielweise längst nicht mehr so begeisternd wie in der vergangenen Saison.
Ohne breite Brust wird es für den früheren Leverkusener nun immer schwerer, seine Leistungsfähigkeit abzurufen. Die negativen Kommentare in Englands berüchtigter Presse häufen sich und vermischen sich zunehmend mit einer Portion Spott.
Twitter-User machen sich über Havertz lustig
Als Havertz an der Seitenlinie einen Zweikampf gegen Spurs-Youngster Pape Matar Sarr verlor, filetierte The Sun die Szene genüsslich.
„Havertz‘ auffälligster Beitrag bestand darin, dass er versuchte, den Ball zu erobern, bevor er ins Aus ging“, schreib das Boulevardblatt. „Doch er konnte Pape Matar Sarr nicht aus dem Weg räumen und wurde vom Mittelfeldspieler zu Boden gerissen.“
Anschließend wurde die Szene in einem Clip gezeigt, bevor die Sun mit kleinem Intro („Die Fans konnten nicht anders, als sich über Havertz lustig zu machen) einige User zu Wort kommen ließ.
“Hier gibt es nichts zu sehen, nur den 21-jährige Pape Sarr, der den 1,93 Meter großen Kai Havertz wie ein Kleinkind zu Boden wirft.“, kommentierte ein User bei X (ehemals Twitter), während ein anderer noch hämischer wurde: „Havertz wird in die Top 3 der lustigsten Spieler dieser Generation eingehen, vielleicht sogar aller Zeiten.“
Längst hat auch der ebenso bekannte wie berüchtigte Fußballjournalist Piers Morgan, seines Zeichens eingefleischter Arsenal-Fan, den Glauben an Havertz verloren.
Osimhen statt Havertz? „Jeder sagte, das sei verrückt“
„Wir sollten ihn verkaufen und unsere 70 Millionen Pfund zurückholen“, forderte er bei Talksport. „Ich wäre im Sommer nach Neapel gegangen und hätte 150 Millionen Pfund für Osimhen hingelegt. Jeder sagte, das sei verrückt, aber wir haben fast die Hälfte davon für Havertz ausgegeben, der nicht annähernd das Niveau hat, das wir brauchen, um die Liga zu gewinnen.“
Schon vor dem Wochenende war teils heftige Kritik auf den Offensiv-Allrounder eingeprasselt. Der frühere englische Nationalspieler Graeme Souness schrieb in seiner Kolumne für die Daily Mail spöttisch: „Arsenal hat das Geld in der Hoffnung ausgegeben, dass Mikel Arteta aus ihm etwas anderes herausholen kann, als es Frank Lampard, Thomas Tuchel oder Graham Potter geschafft haben. Viel Glück dabei, Mikel.“
Harte Zeiten für den Hochbegabten, der auch in Deutschland zuletzt viel Kritik für seine Aussagen über den mangelnden Fan-Support in der Nationalmannschaft einstecken musste.
Für Kai Havertz dürfte es in den kommenden Spielen nicht leichter werden, aus seinem Formtief zu kommen - denn er weiß: Solange der Ball bei der nächsten Gelegenheit, wenn er wieder Maß nimmt, nicht im Netz landet, wird er weiter der Prügelknabe bleiben.