Neurologe zu Fibromyalgie - Leben mit Schmerzen: Diese Krankheit ignorieren viele Ärzte noch immer
Fibromyalgie ist eine oft missverstandene Erkrankung, die mit vielen verschiedenen Symptomen einhergehen kann. Neurologe und Psychiater Mimoun Azizi beleuchtet die Vorurteile, welche die Diagnose und Behandlung beeinflussen.
Fibromyalgie ist eine chronische Erkrankung des Muskel-Skelett-Systems. Die meisten Betroffenen berichten von anhaltenden Schmerzen in mehreren Körperregionen, die seit mindestens drei Monaten anhalten. Die Schmerzzentren sind meist im Nackenbereich, Rücken und Brustkorb sowie in den Beinen und Armen lokalisiert.
Zusätzlich leiden die Betroffenen unter Kraftlosigkeit, Antriebsarmut und Schlafstörungen. Sie berichten auch über innere Unruhe, Nervosität und Lustlosigkeit. Diese Symptome könnten Mediziner dazu verleiten, eine psychiatrische oder psychosomatische Diagnose zu stellen, daher ist eine gründliche Anamnese unerlässlich.
Neben den Schmerzpunkten treten bei den Betroffenen häufig Magen-Darm-Probleme und Atembeschwerden auf. Auch Herzrhythmusstörungen können zum Krankheitsbild gehören.
Fibromyalgie beeinflusst zwar nicht die Lebenserwartung und führt nicht dazu, dass Betroffene im Rollstuhl sitzen müssen, aber sie kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und die Teilhabe am Leben einschränken. Es gibt verschiedene Stadien der Fibromyalgie, abhängig vom Ausprägungsgrad der Symptome.
Bei der leichten Form klagen die Betroffenen über chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, haben aber kaum psychische oder körperliche Begleitsymptome und ihr Alltag ist kaum beeinträchtigt. Bei schweren Verläufen klagen die Betroffenen über zahlreiche Beschwerden an Muskeln und Gelenken sowie über Magen-Darm-Beschwerden wie Reizdarm und Reizblase. Sie leiden auch unter ausgeprägten psychosomatischen Symptomen wie Antriebsarmut, Niedergeschlagenheit und Angststörungen.
Ursachen und Risikofaktoren
Fibromyalgie betrifft etwa 2 Prozent der Bevölkerung in Industrienationen, wobei Frauen zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr hauptsächlich betroffen sind. Die Symptome dieser Erkrankung können durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, darunter familiärer oder beruflicher Stress.
Es wird angenommen, dass die Entstehung der Fibromyalgie multifaktoriell ist, was bedeutet, dass verschiedene Ursachen und Mechanismen im Körper zur Entwicklung dieser Krankheit beitragen können. Eine Kombination aus sozialen und psychischen Faktoren sowie eine genetische Prädisposition könnten die Ursache für die Entstehung der Fibromyalgie sein.
Zusätzlich können andere Erkrankungen, insbesondere solche aus dem entzündlich-rheumatischen Formenkreis, das Risiko für die Entwicklung einer Fibromyalgie erhöhen. Weitere Risikofaktoren sind Stress, mangelnde Bewegung, Adipositas und Nikotinkonsum. Auch psychische und körperliche Misshandlungen in der Kindheit oder im Erwachsenenalter können diese Krankheit auslösen oder verstärken.
Ist die Krankheit erst einmal manifestiert, können depressive Erkrankungen und mangelnde Aktivität die Symptome verstärken. Stigmatisierung der Betroffenen kann ebenfalls zu einer deutlichen Verschlimmerung der Symptome führen. Eine negative Reaktion der Umwelt auf die Betroffenen hat in vielen Fällen verheerende Auswirkungen.
Was sind die häufigsten Vorurteile gegenüber Menschen mit Fibromyalgie und wie wirken sie sich auf die Diagnose und Behandlung aus?
Die Erkrankung wird oft mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert. In der Vergangenheit wurden Patienten mit Symptomen oder einer bereits bestehenden Diagnose von Fibromyalgie häufig nicht ernst genommen. Die Krankheit wurde entweder als nicht existent betrachtet oder als eine psychiatrische bzw. psychosomatische Erkrankung abgetan. Es gibt sogar einige Ärzte, wenn auch in der Minderheit, die immer noch behaupten, dass Fibromyalgie nicht existiert.
Diese Vorurteile und Fehleinschätzungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Diagnose und Behandlung von Fibromyalgie. Sie führen dazu, dass die Erkrankung oft als anhaltende somatoforme Störung eingestuft wird, was zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führt. Dies kann wiederum dazu führen, dass die Behandlung nicht adäquat ist, da sie auf falschen Annahmen basiert. Es ist daher wichtig, das Bewusstsein für Fibromyalgie zu erhöhen und die Vorurteile abzubauen, um sicherzustellen, dass Betroffene die richtige Diagnose und Behandlung erhalten.
Prozess der Diagnosestellung
Die Diagnosestellung folgt einem spezifischen Prozess, der in erster Linie auf dem Ausschluss anderer möglicher Ursachen für die Symptome basiert. Dies beginnt mit einer ausführlichen Anamnese und körperlichen Untersuchung durch den behandelnden Arzt. Diese ersten Schritte dienen dazu, andere organische und psychische Ursachen auszuschließen.
Im Anschluss daran werden laborchemische und bildmorphologische Untersuchungen durchgeführt, um weitere mögliche Ursachen wie Multiple Sklerose oder Tumorerkrankungen auszuschließen. Trotz der umfangreichen Untersuchungen sind bei Fibromyalgie keine eindeutigen Befunde zu erwarten, da die Erkrankung sich hauptsächlich durch Schmerzen an Muskel-Sehnenansatzpunkten zeigt, die bei Druckausübung sichtbar werden. Daher ist neben den medizinischen Untersuchungen auch das Ausfüllen eines Schmerzfragebogens oder das Führen eines Schmerztagebuchs von entscheidender Bedeutung für die Diagnosestellung.
Insgesamt ist es wichtig zu verstehen, dass die Diagnose Fibromyalgie auf einer Kombination von Anamnese, körperlicher Untersuchung und dem Ausschluss anderer Erkrankungen basiert. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, die Symptome besser zu erfassen und einzuordnen und somit eine genaue Diagnose zu stellen.
Hauptziele der Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung zielt darauf ab, Schmerzen zu reduzieren, den Schlafrhythmus zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen. Es geht darum, den Betroffenen eine Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Die Therapie orientiert sich an der Ausprägung der jeweiligen Symptome. Medikamentös kann mit Antidepressiva vorgegangen werden, um depressive Symptome zu lindern und somit das Gesamtbild zu verbessern. Auch andere Medikamente können alleine oder in Kombination mit Antidepressiva eingesetzt werden. Die Wirksamkeit dieser Medikation muss kontinuierlich überwacht und gegebenenfalls angepasst oder modifiziert werden.
Zusätzlich sind psychotherapeutische Behandlungen empfehlenswert. Eine Umstellung auf gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion, Nichtrauchen und regelmäßige sportliche Aktivitäten wie Schwimmen, Ausdauertraining und Physiotherapie sowie Entspannungsverfahren sind ebenso Teil der Therapie. Es handelt sich hierbei um eine multimodale Therapie.
Ein wichtiger Aspekt ist die Psychoedukation oder Patientenschulung. Wenn Betroffene die möglichen Ursachen der Erkrankung verstehen und den Sinn der jeweiligen Therapien begreifen, zeigen sie mehr Compliance und können besser mit der Erkrankung umgehen. Auch Thermalbäder können zur Linderung der Symptome beitragen. Es sollte jedoch beachtet werden, dass nichtsteroidale Antirheumatika sowie Opioide keine signifikante Wirkung zeigen und daher in der Therapie nicht eingesetzt werden sollten.