Neustart mit Experten statt Vollblutpolitikern

Wegen mehrerer Rücktritte fiel die Regierungsumbildung in Frankreich größer aus als gedacht. Statt Polit-Profis sitzen im Kabinett nun viele Laien. Einen Namen haben sie sich aber schon in der Zivilgesellschaft gemacht.

Weniger Politiker, mehr Fachfrauen könnte die Devise der neuen Regierung von Emmanuel Macron sein. Viele der Neuzugänge sind keine Vollblutpolitiker, sondern Frauen und Männer, die in der Zivilgesellschaft Karriere gemacht haben.

Florence Parly, Verteidigungsministerin, kommt von der staatlichen Bahngesellschaft SNCF. Die 53-Jährige hat dort die Finanzen gesteuert und war zuletzt für die Reisesparte zuständig. Vorher hat sie sechs Jahre als stellvertretende Generaldirektorin bei Air France gearbeitet. Parly hat einen Abschluss der Eliteschule ENA und hat erste Berufserfahrungen in ministeriellen Kabinetten gesammelt, bevor sie 2000 Staatsekretärin für den Haushalt in der Regierung des Sozialisten Lionel Jospin wurde. Für die bevorstehenden Konflikte um knappe finanzielle Mittel ist sie also bestens vorbereitet, ebenso wie auf die Leitung einer Großorganisation. Beides braucht sie im Verteidigungsministerium.

Nicole Belloubet, Justizministerin, ist eine Spezialistin der Rechtswissenschaften: Sie war seit vier Jahren Juristin im Verfassungsrat. Die meiste Zeit hat sie als Universitätsprofessorin gearbeitet. Mit der Politik kam sie durch verschiedene Expertisen in Berührung, etwa über Gleichstellung oder über die Bekämpfung sexueller Gewalt. 2008 wurde sie für die Sozialisten Stadträtin von Toulouse. Sie folgt auf den Vorsitzenden der Zentrumspartei Modem, François Bayrou.

Nathalie Loiseau, Europaministerin, ist ebenfalls mehr Expertin als Politikerin. Sie hat praktisch ihre gesamte Karriere im Außenministerium verbracht. Dort hat sie zuletzt die Generaldirektion geleitet, der Schlüsselposten in der Verwaltung des Quay d’Orsay. Durch eine Personalintrige wurde sie dort weggelotst und mit der Leitung der ENA betraut.

Brune Poirson ist die Staatssekretärin im Ministerium für die „Umwelt- und Solidarwende“. Die 35-Jährige ist ein Beispiel für die herausragenden französischen Talente: Sie hat an Eliteschulen studiert, Erfahrung in der Privatwirtschaft gesammelt und auch noch politisches Talent gezeigt. Dem Front National hat sie bei der Parlamentswahl für „La République en Marche“ (LREM) den Wahlkreis von Marion Maréchal-Le Pen abgenommen. Ihre Ausbildung machte sie an Sciences Po, der London School of Economics und in Harvard. In Indien und den USA hat sie mit dem Schwerpunkt Wasserversorgung und nachhaltige Entwicklung gearbeitet, zunächst bei der französischen Entwicklungsagentur, dann beim französischen Multi Véolia. Dort wurde es ihr aber offenbar zu eng, sie gründete 2014 ihren eigenen Think Tank „People for global transformation“. Nun kann sie ihrer Passion in der Regierung nachgehen.

Julien Denormandie, Staatsekretär im Ministerium für regionalen Zusammenhalt. Der 36-Jährige ist einer der engsten Vertrauten des Staatschefs. Nach dessen Ausscheiden aus dem Elysée 2014 wollte er mit Macron zusammen ein Startup gründen, doch dann berief Hollande seinen Ex-Berater zum Wirtschaftsminister. Der nahm Denormandie mit und machte ihn zu seinem stellvertretenden Kabinettsdirektor. Eigentlich wollte der Agraringenieur, der die Macron-Partei LREM mit aufgebaut hat, kurz nach dem bevorstehenden Gründungsparteitag wieder zurück in die Privatwirtschaft. Daraus wird nun nichts.

Benjamin Griveaux, Staatssekretär im Wirtschafts- und Finanzministerium. Man hatte erwartet, dass der 39-Jährige den Vorsitzende von LREM übernehmen und 2020 als Bürgermeister von Paris kandidieren würde. Er gehört zum Kreis der engsten Vertrauten des heutigen Staatschefs, und der hat offenbar andere Pläne: Er setzt Griveaux als seinen Brückenkopf in das vom Konservativen Bruno Le Maire geleitete Ministerium, das eines der mächtigsten der Regierung ist, da es das Budget und große Teile der Europapolitik kontrolliert. Macron beweist so erneut seinen ausgeprägten Machtsinn: Er möchte, dass kein Teil des Regierungsapparats sich seiner Aufsicht entzieht.

KONTEXT

Was Macron sich für die Wirtschaft vornimmt

Steuern

Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.

Quelle: Reuters

Arbeitszeit

An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.

Geldverdiener

Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.

Investitionen

Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind eingeplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und das Gesundheitswesen gedacht.

Einsparungen

60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.

Bildung

In Gegenden mit niedrigen Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.