NRW und Hessen melden Kapazitäten - Hat Deutschland noch Platz für Flüchtlinge? Streit zwischen Bundesländern und Landkreisen
Angesichts eines möglicherweise bevorstehenden Flüchtlingszustroms aus der Ukraine im Winter sind sich Landkreise und Bundesländer uneinig darüber, inwieweit noch Aufnahmekapazitäten vorhanden sind. Nach einer exklusiven FOCUS-Abfrage behaupten die Länder, ausreichend Unterkünfte bieten zu können. Die Kommunen widersprechen.
In Nordrhein-Westfalen sind die Zentralen Unterbringungseinrichtungen gerade zu 72 Prozent ausgelastet. Das bevölkerungsreichste Bundesland bietet damit noch Platz für mehrere Tausend Menschen. Auch wenn laut Angaben des Flüchtlingsministeriums von Josefine Paul (Grüne) NRW bisher schon 252.822 Ukrainer aufgenommen hat.
Hessen meldet ebenso noch Kapazitäten. Von 11.750 Belegungsplätzen in den Ersteinrichtungen sind 5.717 belegt. Dementsprechend ist noch Platz für 6.033 Menschen.
Gut gerüstet für einen möglichen neuen Zustrom sieht sich Bayern. Seit 2022 „besteht ein bewährtes Instrumentarium zur Krisenbewältigung, auf das zurückgegriffen werden kann“, heißt es aus dem Innenministerium.
Zu Beginn des Ukraine-Krieges kamen täglich 10.000 Flüchtlinge nach Berlin. Den Eindruck, dass die Hauptstadt dem nicht gewachsen war, versucht die Senatssozialverwaltung zu entkräften: Sie sei jetzt gut vorbereitet. Klingt alles gut. Vielleicht zu gut?
Kommunen und Landkreise sehen das nämlich ganz anders. „Auf eine nochmalige Aufnahme ukrainischer Geflüchteter in großen Mengen sind wir ganz sicher nicht vorbereitet“, betont Landkreistagspräsident Achim Brötel (CDU). Neben ausgelasteten Kapazitäten habe man es mit „einer zunehmenden Erschöpfung der ehrenamtlich Engagierten zu tun“. Außerdem fehlten den Landkreisen durch die Übernahme sämtlicher Unterbringungskosten sieben Milliarden Euro. Bis 2022 hatte diese Kosten der Bund übernommen.
Unterstützung für die Kommunen kommt vom Innenpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag Christoph de Vries: „Die Belastungsgrenze ist längst überschritten und unsere Gesellschaft migrationspolitisch erschöpft.“ Es fehle nicht nur an Unterbringungsmöglichkeiten, sondern auch an „Deutsch- und Integrationskursen, Kita-Plätzen, IVK-Klassen an Schulen und sozialer Infrastruktur.“ Die Mehrheit der Bevölkerung wünsche sich zudem derzeit eine „echte Asylwende“ und einen „Stopp illegaler Einreisen“. Dazu müsste nach Expertenmeinung auch konsequenter abgeschoben werden.
Denn laut Bundesregierung lebten zum Stichtag 30. Juni 329.517 Menschen ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland.