NRW-Ministerpräsident Laschet entwirft Plan für Exit aus dem Corona-Lockdown

Der CDU-Politiker plädiert für einen flexiblen Ausstieg aus dem Lockdown. Für Laschet ist die entscheidende Frage: Lassen sich Regeln für den richtigen Abstand einhalten?

„Beim Start des Schulbetriebs sollten wir ein bundesweites und einheitliches Signal erreichen.“ Foto: dpa
„Beim Start des Schulbetriebs sollten wir ein bundesweites und einheitliches Signal erreichen.“ Foto: dpa

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat einen Plan für einen Exit aus dem Corona-Lockdown entworfen. „Das Kriterium für mögliche Öffnungen sollte lauten: Sind die Regeln für den richtigen Abstand einhaltbar, und gibt es dafür auch die richtigen Schutzmaßnahmen?“, sagte Laschet im Interview mit dem Handelsblatt.

Wenn das der Fall sei, könne man den flexiblen Einstieg wagen, zeigte sich Laschet überzeugt. Vor dem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am kommenden Mittwoch betonte er: „Wir brauchen einen klaren Fahrplan, durch den das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder ins Laufen kommt.“

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Als Beispiele, in welchen Bereichen Lockerungen möglich seien, nannte der stellvertretende CDU-Vorsitzende den Einzelhandel, die Autoindustrie, die Gastronomie und die Öffnung spezieller Regionen.

Das vollständige Interview lesen Sie hier:

Herr Laschet, Sebastian Kurz hat für Österreich bereits einen Fahrplan mit konkreten Daten zur Lockerung der Ausgangsbeschränkungen vorgelegt. Wir lange müssen sich die Bürger in Deutschland noch gedulden?
Die Ministerpräsidenten werden mit der Bundeskanzlerin nach Ostern einen Fahrplan diskutieren. Da werden wir alle Argumente transparent austauschen und erörtern. Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, sich frühzeitig auch Gedanken über die Zeit nach der Zuspitzung der Krise zu machen.

Warum ist Ihnen das so wichtig?
Eine offene Debatte über die Zeit danach erhöht die Motivation und die Akzeptanz der Menschen, sich jetzt an die Ausgangsbeschränkungen und das Kontaktverbot weiter zu halten, weil sie dann eine Perspektive haben. Wir alle brauchen doch die Hoffnung und den Ausblick, dass es bald wieder besser, wieder ein Stück „normaler“ wird. Denkverbote helfen niemanden.

Wie sehen denn Ihre Überlegungen aus?
Wir werden verschiedene Phasen durchlaufen. Bis zum heutigen Tag gibt es die Phase der strikten Eindämmung und der Verlangsamung der Ausbreitung des Virus. Die Politik hat dafür, unter Einbeziehung von Experten wie Virologen, Kitas oder Schulen geschlossen und das wirtschaftliche und öffentliche Leben zum großen Teil zum Stillstand gebracht. Es muss danach aber auch wieder eine Phase geben, in der das Leben so weit wie möglich wieder von einer gewissen Normalität bestimmt wird. Wir brauchen einen klaren Fahrplan, durch den das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder ins Laufen kommt.

Das ist leicht gesagt…
Das stimmt. Das wirtschaftliche und soziale Leben wieder hochzufahren ist viel komplizierter als alles vorher runterzufahren. Die nächste Phase, die wir jetzt vorbereiten müssen, wird nicht die Normalität sein können, die wir vor der Krise kannten. Es wird eine achtsame, verantwortungsvolle Normalität sein, in der sicher noch eine Weile neue Regeln des Abstands gelten.

Bisher galt als Kriterium, dass die Verdopplungszahl der Infektionen bei rund 14 Tagen liegen muss, bevor man überhaupt über Lockerungen sprechen darf.
Ich bin sehr froh, dass wir ja auf einem guten Weg sind, dieses Kriterium zu erfüllen. Es muss uns aber auch klar sein, dass die aktuellen Einschränkungen schwere Schäden haben, also auch etwa gesundheitliche Schäden nach sich ziehen können. Hier geht um Fragen des Kindeswohls, der häuslichen Gewalt oder den psychologischen oder depressiven Folgen von Arbeitslosigkeit. Wenn wir das öffentliche Leben geschlossen halten, hat das eben auch Konsequenzen. Das hat gerade jetzt auch der deutsche Ethikrat deutlich gemacht, der von Opfern der Eindämmung spricht.

Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Das Kriterium für mögliche Öffnungen sollte lauten: Sind die Regeln für den richtigen Abstand einhaltbar und gibt es dafür auch die richtigen Schutzmaßnahmen? Wenn das der Fall ist, kann man den flexiblen Einstieg wagen. Nehmen Sie den Einzelhandel. Derzeit sind die meisten Geschäfte geschlossen, ein Zustand, der nicht viel länger andauern darf, wenn wir keine Massenpleite und eine folgende neue Massenarbeitslosigkeit erleben wollen. In den Bäckereien erleben wir bereits, wie das Geschäft mit den richtigen Abstandsregeln weiter betrieben werden kann. Die Menschen warten auf dem Gehweg, damit nicht zu viele in der Bäckerei stehen. Warum soll das nicht für kleine Einzelhandelsgeschäfte insgesamt gelten? Wie müssen die Menschen gezielter als durch pauschales Schließen schützen.

Wie sieht es mit der Autoindustrie aus, von der Millionen Jobs abhängen?
Die Autoindustrie hat ihre Produktion zum Teil eingestellt, weil die Lieferketten unterbrochen wurden. Ein weiterer Grund ist die Schließung der Autohäuser, ohne die sie schwerer Autos verkaufen können. In Autohäusern gibt es normalerweise keine Massenaufläufe von Kunden. Hier könnte man auch unter Einhaltung der Abstandsregeln Kunden in die Geschäfte lassen. An diesem Beispiel können Sie auch die Wechselwirkung von Maßnahmen feststellen. Wenn wir die Autohäuser wieder öffnen, ist das auch ein Anreiz für die Industrie, die Produktion wieder aufzunehmen.

Greifen diese Regeln auch in der Gastronomie?
Wir sollten sehr sorgsam abwägen und in kleinen Schritten vorgehen. Ich kann mir vorstellen, dass man zwischen den Tischen klare Abstandsregeln einhält. Ich glaube jedenfalls, dass eine große Kreativität bei Bürgern und Unternehmern entsteht, wenn man ihnen die Rückkehr in den Alltag öffnet. Bei einem großen Süßwarenproduzenten in Nordrhein-Westfalen, den ich gerade gesprochen habe, wird mit gebotenem Abstand zwischen den Beschäftigten produziert. Bei jedem Mitarbeiter wird morgens die Temperatur gemessen. Das Unternehmen bietet eine eigene ärztliche Versorgung an und hat klare Mechanismen für den Fall, dass ein Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wird.

Kann man die Abstandsregeln in ganz Deutschland anwenden?
In Regionen, in denen die Infektionszahlen geringer sind, kann man anders reagieren als in echten Hotspots, also Gebieten mit sehr hohen Infektionszahlen. Gleichzeitig müssen alle Bundesländer eigene Antworten auf sehr spezifische Fragen in ihren Regionen finden. In den norddeutschen Ländern haben wir etwa die Problematik der Zweitwohnsitze. Bürger müssen diese verlassen, quasi aus den Ländern „ausreisen“, obwohl sie dort eine Wohnung oder ein Haus haben. Das ist ein sehr spezifisches Problem in den Regionen der Ost- und Nordsee. Beim Start des Schulbetriebs sollten wir dagegen ein bundesweites und einheitliches Signal erreichen.

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Ein Vorschlag lautet, die Ausgangsbeschränkungen für Ältere und besondere Risikogruppen länger laufen zu lassen. Sehen Sie das auch so?
Auch da ist Differenzierung wichtig. Der Virologe Prof. Streeck von der Uni Bonn führt gerade eine repräsentative Studie in Heinsberg durch. Das ist der Kreis in Nordrhein-Westfalen, der durch die ersten Coronafälle und sehr hohe Infektionszahlen bekannt geworden ist. Wenn die Ergebnisse und Ableitungen dieser Studie vorliegen, können wir anhand der Infektionsverläufe ablesen, welche Menschen wie infiziert wurden, auch welche Menschen durch schwere Krankheitsverläufe wirklich zu den Hochrisikogruppen zählen. Die Erkenntnisse dürften nicht nur für uns, sondern für ganz Deutschland wegweisend für den weiteren Umgang mit der Krise sein. Die Vermutung, dass Ältere stärker betroffen sind, ist allerdings jetzt schon evident. Wir dürfen dabei aber nicht eine Spaltung der Gesellschaft erzeugen, weil Ältere möglicherweise strikt zu Hause bleiben sollten, während Jüngere sich draußen wieder bewegen können. Wir brauchen ein spezielles Schutzsystem für die Älteren und die besonders Schutzbedürftigen. Und auch hier mein Plädoyer: Differenzierung, keine neue Form von Altersdiskriminierung.

In Österreich ist das Tragen von Masken Pflicht beim Einkaufen. Muss es eine solche Pflicht auch in Deutschland geben? Oder scheitert dies daran, dass nicht genug Masken vorhanden sind?
Die Beschaffung von Masken und anderer Schutzkleidung ist eine Daueraufgabe, an der mehrere Bundesministerien, auch die Länder, unter Hochdruck arbeiten. Eine Herausforderung ist es auch, seriöse von betrügerischen Angeboten zu trennen und die Produktion im eigenen Land anzukurbeln. Masken tragen ist ein Ausdruck von Solidarität und kann beim Weg zurück zu einer Normalität hilfreich sein. Eine generelle Maskenpflicht sehe ich aber skeptisch. Wenn sich die Menschen verantwortungsvoll verhalten, kann man von Pflichten absehen. Ich traue den Menschen das zu.

Anders als Bayern zu Österreich haben Sie Grenzen zu Ihren Nachbarländern offengehalten. Warum?
Nordrhein-Westfalen, die Niederlande und Belgien sind ein gemeinsamer Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsraum. Nordrhein-Westfalen braucht den Warenverkehr, etwa die Lebens- und Arzneimittel, aus den Nachbarregionen. Das ist mit anderen Grenzregionen schwer vergleichbar. Wir haben uns mit unseren Nachbarn auch eng in der Gesundheitsversorgung abgestimmt, eine gemeinsame Taskforce eingerichtet. Ob in Heinsberg oder dem niederländischen Limburg jemand erkrankt, wir helfen Patienten aus beiden Ländern. Deshalb und weil wir den wenigen, die die Grenze noch passieren müssen, das Leben nicht noch weiter erschweren wollten, haben wir sie offen gehalten. Das ist europäische Normalität. Das Virus hat keine Staatsangehörigkeit.

Andere Länder leiden noch mehr unter Krise als Deutschland, insbesondere Italien und Spanien. Muss Deutschland da nicht mehr Hilfe leisten?
Es wird eine große europäische Solidarität geben müssen. Das ist auch der Kern der europäischen Idee und damit auch eine gemeinsame Pflicht. Ohne den europäischen Binnenmarkt, ohne ein starkes Italien, ein starkes Frankreich und ein starkes Spanien kann Deutschland mit seiner exportabhängigen Wirtschaft selbst nicht wieder stark werden. Den europäischen Binnenmarkt zusammenzuhalten ist deshalb eine Frage der Solidarität, liegt aber auch im ureigenen deutschen Interesse. Um unsere wirtschaftliche Stärke wiederzuerlangen, werden wir deshalb mehr Geld für Europa aufbringen müssen.

Was schwebt Ihnen vor? Doch Euro-Bonds?
Eine Vergemeinschaftung über Euro-Bonds ist eine alte Debatte. Wir brauchen neue Ideen, ein großes Programm zum Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft. Dafür werden wir neue Instrumente finden müssen. Ein europäischer Marshallplan könnte etwa über den europäischen Haushalt finanziert werden, so wie es die EU-Kommission vorschlägt.

Deutschland soll also mehr Geld in den EU-Haushalt geben?
Deutschland wird mehr in den EU-Haushalt einzahlen müssen. Jedes Land sollte all seine Leistungskraft einsetzen, um den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt wieder in Gang zu bringen. Zum Wohle aller Mitgliedstaaten und im eigenen Interesse.

National hat Deutschland ein Rettungsprogramm von bislang 1,2 Billionen Euro aufgelegt. Wer soll eigentlich all die Schulden wieder zurückzahlen?
In allen akuten Krisen war es immer gut und richtig, sich auf die Soziale Marktwirtschaft zu besinnen. Viele Menschen denken gerade, der Staat könne alles richten, sei es durch Konjunkturprogramme, Staatsbeteiligungen oder Soforthilfen. Im Moment sind die schnellen Hilfen richtig. Wir müssen aber von der ersten Sekunde an auch mitbedenken, dass der Staat sich so bald wie möglich aus all diesen Programmen zurückziehen sollte. Die Illusion, dass alles mit Staatsbillionen geregelt wird, muss man den Menschen nehmen. Wir sind sonst auf dem Weg in die Staatswirtschaft und nicht in die Marktwirtschaft. Damit wird aber kein Euro dieser Schulden zurückgezahlt, wir brauchen Wachstum, Kreativität, freies Unternehmertum und keine Umverteilung.

Bislang scheint die Bevölkerung mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung zufrieden. Die Union legt in Umfragen rasant zu, selbst die SPD etwas. Erleben die Volksparteien durch die Krise gerade ein Comeback?
Ich würde es nicht Comeback der Volkspartei nennen. Regierungen erhalten überall dort Zustimmung, wo sie ihre Arbeit machen, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Koalitionspartner. Die Demokratie hat in dieser Krise bewiesen, über Parteigrenzen hinweg, schnelle Entscheidungen treffen zu können, wichtige Gesetze in der Ausnahme notfalls binnen eines Tages zu verabschieden. Charakterstärke und Seriosität sind gefragt wie nie.

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Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Kanzlerin?
Gut. Das sehe ich so, und die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger auch.

Offenbar. Die Union bewegt sich in Umfragen auf die 40-Prozent-Marke zu. Sollte die Kanzlerin da besser noch vier Jahre dranhängen?
Sie selbst hat alles dazu gesagt.

Die Demokraten in den USA können sich einen virtuellen Parteitag vorstellen. Können Sie sich das auch für die CDU?
Mit der Frage, wann und wie die CDU ihren Parteitag abhält, beschäftige ich mich derzeit nicht. Alles, was nicht mit der Bewältigung der Krise zusammenhängt, ist für mich derzeit sekundär.

Es heißt immer, die Welt wird nach Corona eine andere sein. Haben Sie schon eine Vorstellung, wie diese Welt aussehen könnte?
Die Krise hat sicher noch einmal den Sinn für den sorgsamen Umgang mit Staatsmitteln geschärft. Der Staat kann jetzt nur so entschlossen handeln, weil vorher der Haushalt über Jahre konsequent konsolidiert wurde. Daneben wird die Krise die Menschen hoffentlich erkennen lassen, dass nationale Lösungen nicht helfen, sondern die Bekämpfung eines Virus sich nur durch multilaterale Zusammenarbeit bewältigen lässt. Und die EU wird definieren müssen, was sie unter einer europäischen Daseinsvorsorge versteht. Das muss man vorsichtig machen, weil kein Protektionismus entstehen darf. Aber Europa muss wieder Medikamente oder Schutzkleidung in Eigenregie produzieren und darf bei der Produktion von Atemschutzmasken oder Medikamenten nicht von China abhängig sein. Das ist auf Dauer nicht akzeptabel.