Nur ein „Wahlkampfmanöver“? - Kurz vor Wahl gibt es bösen Verdacht zu den Afghanistan-Abschiebungen von Faeser
Auf eine erste Afghanistan-Abschiebung im August folgten bislang keine weiteren, obwohl Innenministerin Faeser das versprochen hat. Manche vermuten hinter dem Stillstand Taktik der SPD-Politikerin. Jetzt könnte aber langsam wieder Bewegung in die Sache kommen – auch im Fall von Syrien.
Es ist ruhig geworden in der Migrationsdebatte – zumindest im Vergleich zum Sommer. Die Diskussionen nahmen nach einem tödlichen Messerangriff im Mai in Mannheim an Fahrt auf und spitzten sich nach dem islamistischen Anschlag in Solingen im August zu. Schließlich gipfelten sie in einem umstrittenen Abschiebeflug nach Afghanistan. Weitere sollten folgen, versprach Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Doch passiert ist in den vergangenen drei Monaten nichts.
Doch jetzt könnte es mit der Ruhe vorbei sein. Von Mittwoch bis Freitag beraten sich die Innenminister von Bund und Ländern in Brandenburg. Im Gespräch mit FOCUS online machte der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) seine Erwartung deutlich: „Der erste Abschiebeflug nach Afghanistan darf kein singuläres Ereignis bleiben, dafür werde ich mich sehr deutlich einsetzen.“
Was bedeuten „zeitnahe“ Abschiebungen? Faeser schweigt dazu
In anderen Bundesländern sieht man das ähnlich, will aber auf Nachfrage nicht noch ein weiteres Statement abgeben. Zu oft habe man schon auf den Bund eingeredet, zu oft sei nichts passiert. Nicht nur Politikerinnen und Politiker, auch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger dürften genervt sein, dass die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte Abschiebeoffensive kaum vorankommt. Immer noch scheitert insgesamt mehr als jede zweite geplante Rückführung, so waren zwischen Januar und September 2024 nur 23.610 Abschiebungen erfolgreich. Das ist zwar mehr als im gesamten Vorjahr, aber für viele noch nicht genug. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zählte Migration im November weiterhin zu den drei wichtigsten Themen.
Verstärkt werden dürfte der Unmut dadurch, dass Faeser erst im Oktober bekräftigt hatte, „zeitnah“ weitere Afghanistan-Abschiebungen durchführen zu wollen. Über die Gründe, warum bislang kein Erfolg vermeldet wurde, ist offiziell nichts bekannt. Das Innenministerium schweigt auf Nachfrage dazu. Auch weitere Fragen von FOCUS online zum Thema hat das Haus von Faeser bis zur gesetzten Frist nicht beantwortet. Erst später lieferte es ein Statement, das vor allem die Bundesländer in die Pflicht nimmt.
CDU-Innenpolitiker äußert bösen Verdacht
Es gibt eine wohlwollende Interpretation, die auch manche Zuständige in den Bundesländern teilen, die nicht in der gleichen Partei wie Faeser sind. Demnach gäbe es eine Reihe organisatorischer Herausforderungen zu überwinden, was wegen der schwierigen politischen Lage in Afghanistan nicht ganz einfach sei. Dort herrschen nach wie vor die Taliban. Mit ihnen oder ihren Mittelsmännern muss eine Abschiebung abgesprochen werden. Dann benötigt es eine passende Maschine – denn Linienflüge zum Beispiel in die Hauptstadt Kabul gibt es derzeit nicht.
Die weniger wohlwollende Interpretation vertritt zum Beispiel Alexander Throm, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag: „Der Abschiebeflug nach Afghanistan kurz vor den Landtagswahlen war offensichtlich ein reines Wahlkampfmanöver der SPD.“ Es sei deshalb weniger überraschend, dass nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg keine weiteren Flieger nach Afghanistan abgehoben hätten. Nach dieser Interpretation könnte es aber auch bald wieder zusätzliche Motivation für Abschiebungen geben, nämlich durch die Bundestagswahl.
Länder tappen im Dunkeln – auch beim Handgeld
Welche der beiden Interpretation zutrifft, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. So oder so: Nach Informationen von FOCUS online arbeitet das Bundesinnenministerium tatsächlich gerade an weiteren Abschiebungen nach Afghanistan. Wann genau diese umgesetzt werden, will das Haus von Nancy Faeser nicht beantworten, die Landesministerien können es nicht, weil sie in dieser Frage offenbar selbst im Dunkeln tappen.
Früher oder später wird sich Faeser mit ihren zuständigen Länder-Kollegen aber abstimmen müssen. Denn die müssen melden, wer in das Flugzeug nach Afghanistan soll. An Ausreisepflichtigen mangelt es nicht. In Baden-Württemberg gibt es derzeit zum Beispiel eine hohe zweistellige Zahl von Afghanen, bei denen es sich um schwere Straftäter handelt oder die die Sicherheit des Landes gefährden und bei denen kein Abschiebeverbot vorliegt.
Die Länder müssen zudem bei der Frage einbezogen werden, ob und in welcher Höhe den Afghanen ein Handgeld bezahlt werden soll. Beim letzten Flug erhielt der Großteil der Abgeschobenen 1000 Euro mit auf den Weg , um präventiv einen gerichtlichen Stopp zu verhindern. In vielen Bundesländern hat das für Unmut gesorgt. Es sei eine kommunikative Katastrophe gewesen, Straftäter so üppig mit Geld auszustatten. Einige Beobachter gehen deshalb davon aus, dass die Summe bei künftigen Afghanistan-Abschiebungen deutlich geringer ausfallen würde.
Kommen wieder mehr Syrer nach Deutschland?
Noch weniger Bewegung als bei Abschiebungen nach Afghanistan gibt es bei solchen nach Syrien. Möglicherweise bekommt das Thema aber bald eine neue Dramatik: Denn in dem Land fügen verschiedene Kampfgruppen dem Regime von Diktator Baschar al-Assad gerade schmerzhafte Niederlagen zu. Die Kämpfe könnten eine Menge weitere Syrer zur Flucht nach Europa bewegen. Die Polizeigewerkschaft DPolG hat Faeser bereits davor gewarnt .
Siegfried Lorek, Migrationsstaatssekretär im Justizministerium Baden-Württemberg, will das verhindern. Der CDU-Politiker fordert im Gespräch mit FOCUS online: „Man kann sich nicht aussuchen, wo man Schutz sucht. Sollten sich Menschen aufgrund des Wiederaufflammens der Kämpfe im Norden Syriens zur Flucht entscheiden, müssten sie zunächst Schutz in anderen, ruhigeren Teilen des Landes oder jedenfalls in den umliegenden Nachbarländern suchen.“
Assad-Sturz könnte Abschiebungen nach Syrien vereinfachen
Möglicherweise entsteht aber auch ein umgekehrter Effekt: Bei einem Sturz des Assad-Regimes wären manche geflüchteten Syrer in ihrem Heimatland nicht mehr akut bedroht. Ein gewichtiges Argument für Abschiebe-Gegner würde dann wegfallen, die Debatte könnte eine andere Dynamik bekommen.
Schon jetzt macht vor allem die Union Druck auf Faeser. CDU-Innenpolitiker Throm betont zum Beispiel, dass „zumindest Teile des Landes als sicher einzuschätzen sind“. Das habe auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bestätigt. Ähnlich sieht es der sächsische Innenminister Schuster. Es bestehe in den Ländern große Einigkeit darüber, dass der Bund ein stabiles Verfahren etablieren müsse, mit dem die Ausreisepflicht von Gefährdern und Gewalttätern nach Syrien durchgesetzt werden kann.
Tatsächlich reicht diese Einigkeit sogar so weit, dass die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg im Bundesrat eine Initiative gestartet hat, die unter anderem Abschiebungen nach Syrien fordert. In der Landtagsfraktion der Grünen stieß das zwar auf Widerstand, aber letztlich passierte das Papier durch das Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Ausgerechnet FDP-Mann sitzt noch an entscheidender Stelle
Lorek, als Staatssekretär Teil der Landesregierung, will mit einem weiteren Vorhaben die Migration regulieren: den Drittstaatenlösungen. Flüchtlinge erhalten dann nicht in Deutschland Schutz, sondern in einem anderen Land, mit dem es einen entsprechenden Deal gibt. „Aus meiner Sicht steht dem nichts entgegen. Aber bei der Umsetzung ist der Bund in der Pflicht, es können sich nicht 16 Länder verschiedene Modelle überlegen“, betont Lorek.
Ein positives Signal könnte es sein, dass im Bundesinnenministerium bei dem Thema trotz des Ampel-Bruchs Kontinuität herrscht. Denn ausgerechnet FDP-Politiker Joachim Stamp hat seinen Posten als Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen behalten. Er brachte in der Vergangenheit immer wieder Drittstaatenlösungen ins Spiel.
CDU-Staatssekretär Lorek würde das begrüßen, verweist aber auf die magere Bilanz von Stamp und Faeser: „Die bisherigen Migrationsabkommen wurden mit Ländern abgeschlossen, aus denen der Zuzug eher gering ist. Es wäre notwendiger, zum Beispiel mit den Maghreb-Staaten einen Deal zu verhandeln.“
Weitere Abkommen könnten zudem ermöglichen, dass Abschiebungen von Syrern und Afghanen über die Nachbarländer der Heimatstaaten laufen. Dann wären Verhandlungen mit den Taliban und Assad nötig, möglicherweise könnten auch Linienflüge für die Rückführungen genutzt werden. „Zeitnah“ würde die Abschiebeoffensive dann doch noch in Fahrt kommen.