Jetzt ist es offiziell - Habeck verkündet Kanzlerkandidatur - doch im eigenen Haus brodelt es gewaltig

Robert Habeck neben Annalena Baerbock<span class="copyright">Sebastian Christoph Gollnow/dpa</span>
Robert Habeck neben Annalena BaerbockSebastian Christoph Gollnow/dpa

Jetzt ist klar: Robert Habeck will für die Grünen als Spitzenkandidat ins Rennen gehen. Klar ist auch: Es steht auf dem Parteitag in einer Woche die erste Machtprobe an. Er könnte ein linkes Programm und einen linken Vorstand vorgesetzt bekommen. Bei den Realos brodelt es deshalb.

Es ist ein seltsamer Zeitpunkt, an dem Robert Habeck heute seine Spitzen- beziehungsweise Kanzlerkandidatur für die Grünen erklärt hat: mitten im Post-Ampel-Chaos , wo die Aufmerksamkeit eher auf anderen Themen liegt. Eigentlich ist die aber für so eine Kandidatur-Ankündigung unerlässlich.

„Ich bewerbe mich als Kandidat von den Grünen - für die Menschen in Deutschland“, sagt Vizekanzler Robert Habeck nach einem Bericht des ARD-Hauptstadtstudios in einem Video. „Wenn Sie wollen, auch als Kanzler. Aber das ist nicht meine, das ist Ihre Entscheidung. Nur Sie können das entscheiden.“

Möglicherweise ist der Zeitpunkt auch genau das Habecks Kalkül, spekulierte schon vorher „Table Media“. Dass die Grünen angesichts der Umfragewerte eigentlich gar keine Chance aufs Kanzleramt haben und der Wirtschaftsminister daran eine Mitschuld trägt, würde in nachrichtenärmeren Zeiten sicher größer diskutiert.

Abweichung vom Krönungs-Zeitplan

Ursprünglich war der Plan offenbar ein anderer. Der „Spiegel“ berichtete im September, dass die Grünen einen geeigneten Rahmen für die Habeck-Kür ausloten. Man wolle diese mit ausreichend Abstand zum Parteitag in Wiesbaden vollziehen. Das ist nicht geschehen: Der Parteitag beginnt in genau einer Woche. Offen ist, warum vom ursprünglichen Plan abgewichen wurde.

Fraglich ist auch, ob die Delegiertenkonferenz zur umjubelten Krönungsmesse wird. Habeck muss Zwist mit der Parteibasis befürchten. Denn der designierte Kanzlerkandidat will einen Mitte-Wahlkampf führen. Er will so unter anderem enttäuschte Unions-Anhänger für sich begeistern, die mit dem stramm konservativen Kurs von CDU-Chef Friedrich Merz unzufrieden sind. Habeck nennt das die „Merkel-Lücke“.

Auf dem Parteitag droht Habeck ein Basis-Aufstand

Die Parteibasis tickt jedoch eher links, das zeigen die Anträge für den Parteitag. Einer war sogar ein Frontalangriff auf Habeck: Der Kreisverband Coburg-Land fordert, komplett auf einen Kanzlerkandidaten zu verzichten und stattdessen ein Kompetenzteam nominieren. Zum einen seien die Erfolgsaussichten einer Kanzlerkandidatur bei den aktuellen Umfragewerten „absolut unrealistisch“. Zum anderen begründen sie: „Der Kurs zur bürgerlichen Mitte ist gescheitert“. Also Habecks Kurs.

Für die Delegierten stellt sich nun die Frage, ob sie für die Geschlossenheit der Partei den Weg ihres wahrscheinlichen Spitzenmannes mitgehen. Oder ob sie die linke Ideologie höher hängen – und Habeck mit einer offenen Revolte bereits jetzt beschädigen. Ein solcher Basis-Aufstand wäre zum Beispiel bei der CDU – oftmals als Kanzlerwahlverein verspottet – undenkbar. Bei den schon aus Tradition rebellischen Grünen ist es das nicht.

Parteitag wird über Kurs in Migrationspolitik entscheiden

Deshalb werden sogar öffentlich Warnungen ausgesprochen. „Der linke Flügel muss den Kandidaten unterstützen und begleiten“, forderte zum Beispiel Matthias Schimpf. Der Landrat ist einer der Grünen, die schon lange einen strikteren Kurs in der Migrationspolitik fordern. Zumindest in dieser Frage musste Schimpf aber schon eine Niederlage einstecken. Sein Antrag „Humanität und Ordnung: Asylrecht erhalten – Einwanderung gestalten“ werden die Delegierten nicht diskutieren. Stattdessen einen, der sich auf die Bekämpfung von Fluchtursachen und eine bessere Integration fokussiert.

„Zurück zur Vernunft“ ist der Antrag überschrieben und wurde vom Europaparlamentarier Erik Marquardt eingebracht, der auch schon als Seenotretter aktiv war. Er rechnet mit viel Gesprächsbedarf auf dem Parteitag: „Es gibt sehr viele Emotionen beim Thema Migration“, sagte Marquardt FOCUS online. „Aber es hilft nichts, es von sich wegzuschieben. Dann wird eine unrealistische Migrationspolitik fortgeführt, die zu viel Chaos und Leid erzeugt. Es ist doch von Vorteil, die Position der Partei zu klären, um endlich etwas verändern zu können.“

Als Misstrauensvotum gegen Habecks Linie will der Parteilinke Marquardt das nicht verstanden wissen: „Seine Aufgabe – für die er die nötige Beinfreiheit bekommt – wird es sein, unsere Migrationspolitik in Geschichten zu gießen, die berühren und die Wähler dann überzeugen.“ Belehrungen wie von Schimpf, hält er deshalb für unnötig. „Manchen geht es leider nicht um das Ringen um die beste Migrationspolitik, sondern darum, den anderen eins einzuschenken. Aber wir sind doch nicht beim Fußball.“

Habeck bekommt einen linken Parteivorstand vorgesetzt

Selbst wenn der Parteitag harmonisch verläuft und die Beschlüsse keinen ganz klaren Linkskurs bewirken, muss Habeck in den kommenden Monaten mit Widerständen rechnen. Denn bei der Delegiertenversammlung in Wiesbaden wird auch ein neuer Bundesvorstand gewählt. Erst vor rund eineinhalb Wochen einigten sich die Strippenzieher auf das Personaltableau.

Die künftige Grünen-Spitze tickt wahrscheinlich überwiegend links: Neben der Habeck-Vertrauten Franziska Brantner vom Realo-Flügel wird der Parteilinke Felix Banaszak zum Vorsitzenden. Politische Geschäftsführerin, so etwas wie die Generalsekretärin der Grünen, wird die linke Pegah Edalatian. Sven Giegold wird stellvertretender Parteivorsitzender. Er ist zwar Staatssekretär in Habecks Wirtschaftsministerium, aber ebenfalls vom linken Parteiflügel. Genauso Andreas Audretsch, der Wahlkampfmanager werden soll.

Bei den Realos brodelt es

Bei den Realos ist man davon wenig begeistert. Man fürchtet, Habeck werde zu wenig Beinfreiheit haben. Sogar von einer „Verschlechterung“ des Tableaus im Vergleich zum Vorstand um die scheidenden Vorsitzenden Ricarda Land und Omid Nouripour ist laut „Tagesspiegel“ die Rede. Die Grünen seien „auf dem Weg zu einer linken Klima- und Gerechtigkeitspartei“, wie die Zeitung einen Realo zitiert. Das sei aber nicht der Weg der Mitte.

Der grüne Flügel-Streit ist der eine Unterschied zu 2021, als Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin wurde. Hinter ihr versammelten sich bedingungslos weite Teile der Partei. Der zweite Unterschied ist, dass die Entscheidung für Baerbock als Kandidatin damals weitaus mehr Aufmerksamkeit erhielt. Vielleicht ist Habecks Ausgangsposition im Vergleich zu Baerbocks aber auch gar nicht so schlecht: Bei ihr war die Erwartungshaltung riesig, sie konnte fast nur enttäuschen. Habeck hat nun sowohl bei der Unterstützung in der eigenen Partei als auch bei der Beliebtheit bei den Wählern viel Luft nach oben.