Oktoberfest in München - Wiesn-Übergriffe: „Bewusstsein wächst, sich nicht mehr alles bieten zu lassen“

In München wird das Oktoberfest gefeiert.<span class="copyright">Felix Hörhager/dpa</span>
In München wird das Oktoberfest gefeiert.Felix Hörhager/dpa

Der „Safe Space“ auf dem Oktoberfest verzeichnet in diesem Jahr mehr Besucher als 2023. Ist die Wiesn unsicherer geworden? Nein, sagt das Team der Aktion „Sichere Wiesn“ und erkennt positive Entwicklungen. Ein Angebot wird besonders gut angenommen.

Ein Blick auf die Zahlen könnte zu falschen Schlüssen verleiten. Mit über 180 Fällen verzeichnet die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“ zur Halbzeit des Oktoberfestes einen Anstieg von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

In der Langzeitbetrachtung suchen Frauen immer häufiger Unterstützung im „Safe Space“. Denn: 2003 war das Gemeinschaftsprojekt mehrerer Münchner Hilfsorganisationen noch mit 28 Fällen gestartet.

Daraus lasse sich jedoch nicht ableiten, dass es zu mehr Übergriffen oder Notsituationen von Wiesn-Besucherinnen komme, stellt Sprecherin Kristina Gottlöber im Gespräch mit FOCUS online klar.

Steigende Zahlen: „Viele junge Frauen aus München kommen zu uns“

Vielmehr würden die jahrelange Präsenz und die Öffentlichkeitsarbeit der geschulten Helferinnen Wirkung zeigen. Auch die Kooperationen mit Polizei, Ambulanz oder dem Sicherheitspersonal tragen in Gottlöbers Augen zu diesem Trend bei.

Außerdem wird das Angebot zunehmend auch von Frauen aus München und Umgebung genutzt. Das war vor der Corona-Pandemie noch anders. „Früher hatten wir einen sehr hohen Anteil ausländischer Touristinnen“, sagt Gottlöber.

Offenbar wird die „Sichere Wiesn“ also immer bekannter. In den meisten Fällen würden sich die Betroffenen Hilfe für einen sicheren Heimweg holen - zum Beispiel, wenn sie ihre Gruppe verloren hätten.

Wirte, Sicherheitspersonal, Standlbetreiber: „Sie bagatellisieren das nicht mehr“

Hinzu komme ein politischer und gesellschaftlicher Wandel. Gesetzesänderungen etwa zum Grapschen oder Neuerungen, um unerlaubte Intimaufnahmen (Upskirting) zu ahnden, eröffnen umfassendere Möglichkeiten zur Strafverfolgung.

„Bei vielen, vor allem jungen Frauen wächst das Bewusstsein, sich das nicht mehr bieten lassen zu müssen“, sagt Gottlöber. Sie seien eher bereit, sich zu Hilfe zu suchen, Fälle zu melden und auch anzuzeigen: „Das finde ich eine wirklich positive Entwicklung.“

Die 450 Fälle im Jahr 2022, ein krasser Ausreißer nach oben, führt sie vor allem auf die zweijährige Feierpause während der Pandemie zurück.

Bei Wirten, Sicherheitspersonal oder Standlbetreibern wächst in Gottlöbers Augen derweil das Unrechtsbewusstsein für Belästigung und Übergriffe. „Sie bagatellisieren das nicht mehr“, so die Einschätzung der Aktionssprecherin.

Polizei zählte dieses Jahr weniger Sexualdelikte

Gottlöber fallen außerdem mehr Zivilcourage und Unterstützungsangebote für Frauen auf. Luft nach oben sei zwar immer. Doch die Sprecherin hört immer seltener Aussagen wie, dass Frauen ein anderes Dirndl anziehen oder nicht so viel trinken sollten, um sich zu schützen.

Während in diesem Jahr in der ersten Wiesn-Hälfte mehr Besucherinnen im Safe Space Hilfe suchten, zählte die Polizei in diesem Zeitraum trotz gestiegener Besucherzahlen etwas weniger Sexualdelikte: 31 im Vergleich zu 34 im Vorjahreszeitraum, darunter eine Vergewaltigung; ein zweiter Fall wird noch geprüft.

Der Safe Space unterstützte in zwölf Fällen bei sexualisierter oder körperlicher Gewalt. 2023 waren es elf Fälle. Bei fünf Besucherinnen bestand der Verdacht, dass sie K.O.-Tropfen verabreicht bekommen hatten - 2023 waren es sieben Fälle.

Auch der Safe Space ist manchmal am Limit

Mit dem Taxi-Gutschein für Frauen – in diesem Jahr von fünf auf zehn Euro erhöht – habe die Stadt darüber hinaus eine erhebliche Erleichterung für einen sicheren Heimweg der Wiesn-Besucherinnen geschaffen, meint Gottlöber.

„Wir haben schon am ersten Tag unfassbar viele ausgegeben.“ Sogar Wiesn-Mitarbeiterinnen und Polizistinnen nähmen das Angebot gerne in Anspruch. „Das ist eine super Maßnahme für Frauen, vor allem jüngere, die nachts alleine unterwegs sind“, sagt sie.

Die steigende Resonanz könnte den Safe Space in Zukunft allerdings vor neue Herausforderungen stellen. „Für das aktuelle Aufkommen sind wir ganz gut ausgestattet. Aber wir kommen räumlich manchmal an die Grenzen“, sagt Gottlöber. Allein am ersten Wiesn-Samstag suchten ab Nachmittag 53 Besucherinnen Hilfe beim Team der Aktion „Sichere Wiesn“.

* Der Safe Space befindet sich im Servicezentrum auf der Theresienwiese hinter dem Schottenhamelzelt (Eingang: Erste Hilfe). An allen Wiesntagen ist er von 18 bis 1 Uhr geöffnet. Von Freitag bis Sonntag sowie am 2. und 3. Oktober ist das Team ab 15.30 Uhr vor Ort.