Olympia-Kolumne von Pit Gottschalk - Traumatisches Olympia-Erlebnis erinnert mich, warum ich froh bin, nicht in Paris zu sein
FOCUS-online-Kolumnist Pit Gottschalk liebt den Sport und fährt regelmäßig zu Großereignissen, Spielen und Wettkämpfen in aller Welt. Olympische Spiele sind auch für ihn etwas Besonderes. Seit seinem traumatischen Olympia-Erlebnis 2008 weiß er aber: Die Sommerspiele sind vor dem Fernsehgerät besser zu genießen als vor Ort.
Nein, Olympia in Paris wollte ich mir von keinem einzigen Miesmacher schlechtreden lassen und munitionierte mich mit Antwortfloskeln. Trübes Wasser für die Triathleten in der Seine? Müssen sie durch. Ungenießbares Essen im Olympiadorf in Saint-Denis? Mensa ist halt so. Gewitterwarnung beim Golfturnier in Guyancourt bei Versailles? Augen auf bei der Berufswahl. Ich liebe alles an Olympia.
Nach einer Woche Olympia bin ich trotzdem froh, dass ich nicht nach Paris gefahren bin. Mal abgesehen davon, dass Hotelzimmer in Paris eine Stange Geld kosten (Bei Booking.com gibt es kaum eine Drei-Sterne-Unterkunft unter 200 Euro pro Nacht). Freunde von mir haben sich den Spaß in der Stadt der Liebe gegönnt und ein halbes Vermögen in das erste Wochenende stecken müssen.
Wucherpreise in Paris - nur die Sportler kriegen nichts ab
Die Eröffnungsfeier war die größte Enttäuschung. Für den Dauerregen konnte ja niemand etwas. Aber 1200 Euro für einen Platz am Flussufer, um Schiffen mit nicht identifizierbaren Menschen bei der Vorbeifahrt zuzuschauen? Ganz ehrlich: Da ist das Geld bei einer Flasche Bier am Hamburger Elbufer in Övelgönne besser angelegt. Und Dauerregen haben wir dort auch.
In Paris gibt’s Tischtennis für 75 Euro, Tennis für ein paar Hunderter mehr. Man könnte jetzt sagen: Seltenheit ist halt teuer. Mag sein. Aber wenn man ein Jahr vorher seinen Platz am Center Court buchen muss, um Olympia-Tennis live im Stadion zu erleben, muss man schon verdammtes Glück haben, dass ein Star wie Novak Djokovic aufschlägt und nicht Hans Wurst aus dem Wunderland.
Gewiss, ich kenne die Gegenrede. Olympia sei ja genau der Kontrapunkt zum Alltagsrummel im Sport. Man bekommt Menschen aus aller Herren Länder an einem einzigen Ort zu sehen, die man sonst nie erlebt. Stimmt schon. Wenn aber die Menschen so wichtig sind und im Mittelpunkt stehen: Warum zahlt ihnen Olympia nicht den angemessenen Anteil an diesem Spektakel?
Ich werde das Thema zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen, aber ich möchte es jetzt in diesem Kontext ansprechen: Die IOC-Bosse wollten den Verbandsvertretern aller 45 Olympiasportarten Prämienzahlungen an die Medaillengewinner untersagen. Nur die Leichtathleten und Boxer wagten den Aufstand und lassen ihre Sportler mit Prämien am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben.
Ein traumatisches Olympia-Erlebnis
Der Rest kuschte. Wenn ich also eine Tischtennis-Eintrittskarte für 75 Euro kaufe, unterstütze ich das System und nicht die Sportler, die da unten für sich und mich ihr Bestes geben. Ist das der Grund, warum bei zu vielen Sportarten zu viele Sitzplätze auf den Tribüne leer bleiben? Ganz sicher nicht. Der Grund ist wohl profaner: Die Eintrittskarten sind zu teuer.
Was man geboten bekommt, ist Spitzensport. Gar keine Frage. Aber halt nur in einer Sportart - in der einen, für die man Tickets erworben hat. Das ist gut für Fans, die diese eine Sportart lieben. Und kann dumm enden für diejenigen, die bei Olympia einfach nichts Wichtiges verpassen wollen. So wie ich. Man ahnt es: Ich erzähle jetzt von einem traumatischen Olympia-Erlebnis.
2008 bekam ich Zutritt zu Fabian Hambüchens Reck-Bronze in Peking. Ich habe seine Darbietung in der Turnhalle jede Sekunde genossen, bitte nicht falsch verstehen. Aber als Matthias Steiner sein Sensationsgold im Gewichtheben gewann und sein berühmtes Foto vom Siegerpost um die Welt ging, saß ich in einem chinesischen Restaurant und zerrupfte genüsslich eine Pekingente.
Sofa statt Spiele
Hinterher ergriff mich Fassungslosigkeit. Ich war zwar in Peking, in der Olympiastadt, aber bekam von der Emotion und der Wucht der Bilder nichts mit, die Steiner mit dem Foto seiner toten Frau und seinem zerrissenen Trikot produzierte. Der Olympia-Höhepunkt lief an mir vorbei. Und das, obwohl ich um die halbe Welt dorthin geflogen war. Ich kam mir wie in einem schlechten Film vor.
An dieses Erlebnis muss ich bei Überlegungen, ob ich zu Olympia reise, immer denken. ARD und ZDF lassen mich nichts verpassen. Von morgens bis abends springt das Öffentlich-Rechtliche von einem Live-Stream zum nächsten, fängt Flair und Dramatik ein und bittet die Protagonisten zum Erklären ins TV-Studio. Ich könnte, wenn ich die Zeit hätte, den ganzen Tag zuschauen.
Sofa statt Spiele: Bin ich deshalb ein schlechterer Sportfan? Hoffentlich nicht. Leider gehört das auch zur Wahrheit: Längst hat das IOC Olympia zum TV-Ereignis umfunktioniert. Man erreicht mehr Zuschauer, mehr Geldgeber, mehr Märkte. Ich bin Zielgruppe. Was ich danach mache? Ich schaue dir in die Augen, Kleines, und antworte mit Casablanca: Uns bleibt immer noch Paris.