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Olympische Rivalen und Freunde für's Leben: C.K. Yang und Rafer Johnson

Rafer Johnson stützt sich nach dem 1500-Meter-Lauf auf Yang Chuan-Kwang (Bild: Keystone/Getty Images)
Rafer Johnson stützt sich nach dem 1500-Meter-Lauf auf Yang Chuan-Kwang (Bild: Keystone/Getty Images)

Als die beiden erschöpft an der Ziellinie ankamen, lehnte sich Rafer Johnson an die Schulter seines engen Freundes C.K. Yang, um sich abzustützen. Der Moment bei den Olympischen Sommerspielen 1960 in Rom, als der Zehnkampf-Wettbewerb zu einem Ende kam, war die perfekte Verkörperung des Sportsgeistes und des "fairen Wettbewerbs auf der Laufstrecke und dem Aufbau lebenslanger Freundschaften abseits der Strecke". Die beiden Männer schufen einen der denkwürdigsten Momente in der Geschichte des Sportes.

"Es ist schwer, meine Gefühle in dem Moment zu beschreiben. Sportler wie wir treten an, um zu gewinnen, alle anderen sind Feinde und es kommt selten vor, dass aus Feinden wieder beste Freunde werden, nachdem sie die Ziellinie überquert haben." Der frühere olympische Athlet Chi Cheng erinnert sich daran, dass er voller Erstaunen und Bewunderung war. "Deshalb waren alle, die damals anwesend waren, der Meinung, dass beide die Goldmedaille hätten erhalten sollen."

Yang war ein taiwanesischer Ureinwohner vom Stamm der Amis und stammte aus der Gegend von Taitung, während Johnson Afro-Amerikaner war. Aufgrund der Zeit und des Ortes mussten sie Armut, Rassismus und die komplexen, politischen Probleme der Ära überwinden (den Konflikt der KPCh mit der KMT und der Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR). Sie überkamen all dies und strebten danach, ein multikulturelles Wettbewerbsumfeld zu schaffen.

C.K. Yang beim Stabhochsprung bei den Spielen in Rom (Bild: Getty Images)
C.K. Yang beim Stabhochsprung bei den Spielen in Rom (Bild: Getty Images)

Yang wurde im Jahr 1933 geboren und erbte sein Talent für Baseball und Leichtathletik von seinem Vater. Er war ein Einzelkind und liebte es in seiner Jugend, Baseball zu spielen, aber als Läufer war er so langsam, dass sich die Menschen über ihn lustig machten. Aufgrund seiner großen, schlaksigen Statur wurde ihm auch nachgesagt, dass er wie ein Bambusstock aussah.

Yangs optimistische Natur beeinflusste die Laufbahn, die er später einschlagen würde. Er ließ sich von dem Spott, der ihm entgegenschlug, nicht entmutigen und man sagte ihm, dass er sich Muskeln antrainieren könne, wenn er älter werde. Er gab den Sport also nie auf. Neben Baseball trainierte Yang auch Weit- und Hochsprung. Im Jahr 1954, als die Asienspiele in Manila abgehalten wurden, entschied er sich dazu, Baseball aufzugeben und sich auf die Leichtathletik zu konzentrieren. Es gelang ihm allerdings nicht, bei den nationalen Auswahlveranstaltungen vordere Plätze zu belegen und er verpasste zunächst einen Platz in der Mannschaft. Als er in das Taxi stieg, um das Trainingszentrum von Zuoying zu verlassen, hörte er, wie sein Name im Radio genannt wurde und erfuhr, dass er als 21. Mannschaftsmitglied nominiert wurde (der Kader sollte offiziell nur aus 20 Mitgliedern bestehen) und weinte vor Freude.

Im zarten Alter von 21, während seiner Zeit in Zuoying, ging er mit viel Ehrgeiz und Neugier an alles heran und er verbrachte viel Zeit damit, japanische Trainingshandbücher zu lesen und die Fähigkeiten auf eigene Faust zu trainieren. Egal welche Disziplin sie trainierten, er ging immer über seine Grenzen hinaus, während andere sich ausruhten und erholten, und kam den nationalen Rekorden der damaligen Zeit nahe oder übertraf sie sogar. Sein Trainer war begeistert und dachte, dass seine vielseitigen Fähigkeiten ihn beim Zehnkampf zu einem Naturtalent machen würden. Aus diesem Grund traf er gerade einmal drei Wochen vor Beginn der Asienspiele die Entscheidung, Yang nach Manila zu schicken.

Rafer Johnson beim Kugelstoßen bei den Spielen in Rom (Bild: Getty Images)
Rafer Johnson beim Kugelstoßen bei den Spielen in Rom (Bild: Getty Images)

Der Zehnkampf der Männer ist die schwierigste Disziplin der Leichtathletik. Die zweitägige Veranstaltung testet am ersten Tag Schnelligkeit, Kraft und Sprungkraft mit aufeinanderfolgendem 100-Meter-Sprint, Weitsprung, Kugelstoßen, Hochsprung und 400-Meter-Lauf. Am zweiten Tag werden Technik, Ausdauer und Kondition mit 110-Meter-Hürdenlauf, Diskus, Stabhochsprung und Speerwurf auf die Probe gestellt, die in einem zermürbenden 1500-Meter-Lauf gipfeln.

Damals verstand Yang noch nicht einmal, wie die Punkte für den Zehnkampf berechnet wurden und er hatte vor seiner Abreise nach Manila noch nie einen vollständigen, zweitägigen Zehnkampf absolviert. Das Ergebnis war, dass er mit 5454 Punkten abschloss und seinen japanischen Konkurrenten Fumio Nishiuchi um 25 Punkte schlug, wodurch er die erste Goldmedaille seines Landes in der Leichtathletik bei den Asienspielen gewann und sich den Spitznamen "Eiserner Mann Asiens" erwarb.

Bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne reihte sich Yang erstmals in die Riege der Spitzensportler der Welt ein und belegte beim Zehnkampf den achten Platz, während Rafer Johnson die Silbermedaille gewann. Im Verlauf der folgenden Jahre kreuzten sich die Wege der beiden Männer immer wieder. Yang belegte bei einem Leichtathletik-Wettbewerb in den USA den zweiten Platz und erhielt dadurch die Chance, an einer US-Universität zu trainieren. 1958 wurde Johnson von der weltberühmten Zeitschrift "Sports Illustrated" zum Sportler des Jahres gewählt.

C.K. Yang und Rafer Johnson nach einer Trainingseinheit in Rom (Bild: AP Photo/Raoul Fornezza)
C.K. Yang und Rafer Johnson nach einer Trainingseinheit in Rom (Bild: AP Photo/Raoul Fornezza)

Die beiden Männer trainierten zur gleichen Zeit unter dem hoch geschätzten Leichtathletik-Trainer Elvin Drake an der UCLA. Johnson nahm den jüngeren Yang unter seine Fittiche und führte ihn herum. Statt ihn als Fremden zu behandeln, lud er ihn sogar zum Abendessen nach Hause ein, nahm ihn mit in die Kirche und behandelte ihn wie ein Familienmitglied. 1959 erlitt Johnson bei einem Autounfall eine ernsthafte Rückenverletzung. Während seiner Genesung und Physiotherapie blieb Yang an seiner Seite, in der Hoffnung, dass die beiden bei den Olympischen Spielen miteinander konkurrieren könnten.

Der 1934 geborene Rafer Johnson war inzwischen ein berühmter und einflussreicher Sportler, doch radikale Bürgerrechtler forderten ihn wegen des damaligen Rassismus zum Boykott der Olympischen Spiele auf. Johnson lehnte höflich ab und sagte ihnen: "Ich werde niemals aufgeben, ich werde jeden besiegen, um zu beweisen, dass ich Recht habe." Er wurde der erste Afroamerikaner, der während der olympischen Eröffnungsfeier die Flagge für das US-Team trug und er war der erste schwarze Kapitän der US-Mannschaft.

"Wir waren sehr gute Freunde. Uns war beiden bewusst, dass der Trainer uns gesagt hatte, dass der Zehnkampf sich zwischen uns entscheiden würde und wir um den Sieg kämpfen müssten", erinnerte sich Johnson. Als sie bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom das Spielfeld betraten, widmeten sie sich dem Wettkampf und redeten weniger miteinander. Beide hatten jedoch zwiespältige Gefühle, da sie hofften, dass ihr Gegner gut abschneiden würde, obwohl sie auch selbst gewinnen wollten.

Rafer Johnson und C.K. Yang beim 1500-Meter-Lauf (Bild: Robert Riger/Getty Images)
Rafer Johnson und C.K. Yang beim 1500-Meter-Lauf (Bild: Robert Riger/Getty Images)

Yang gewann drei der fünf Disziplinen am ersten Tag, lag aber beim Kugelstoßen zu weit zurück, sodass Johnson die vorläufige Führung übernahm. Am zweiten Tag leistete sich Yang einen Fehler beim Diskuswurf, wurde aber Bester im 110-Meter-Hürdenlauf und im Stabhochsprung, lag jedoch trotzdem in der Gesamtpunktzahl immer noch hinter Johnson zurück.

Im abschließenden 1500-Meter-Lauf benötigte Yang nur zehn Sekunden Vorsprung auf Johnson, aber Johnson blieb ihm dicht auf den Fersen, sodass die beiden mit weniger als zwei Sekunden Abstand die Ziellinie überquerten. Johnson gewann die olympische Goldmedaille mit einer Punktzahl von 8392 Punkten, während Yang mit nur 58 Punkten Rückstand Silber holte. Dies war das erste Mal, dass ein Chinese eine olympische Medaille gewann und die beiden erschöpften Männer feierten miteinander, bevor sie sich auf das Feld legten und ihr Lächeln das Publikum begeisterte.

Johnson erinnerte sich später: "Ich hatte einen anderen Vorteil, von dem C.K. zu dem Zeitpunkt – glaube ich – nichts wusste. Dies sollte mein letzter Zehnkampf werden. Ich war darauf vorbereitet, im letzten Lauf meines Lebens so schnell zu laufen, wie es meine Kräfte hergaben." Johnson war seinem Freund Yang dankbar, denn ihr gemeinsamer Kampf ermöglichte es ihm, bis zum letzten Moment in diesem epischen Zweikampf durchzuhalten.

Die Zehnkampf-Medaillengewinner Rafer Johnson (USA, Gold) Yang Chuan-Kwang (Taiwan, Silber) und Wassili Kusnezow (Sowjetunion, Bronze) (Bild: Getty Images)
Die Zehnkampf-Medaillengewinner Rafer Johnson (USA, Gold) Yang Chuan-Kwang (Taiwan, Silber) und Wassili Kusnezow (Sowjetunion, Bronze) (Bild: Getty Images)

Die beiden blieben danach bis zu Yangs Tod im Jahr 2007 eng miteinander befreundet, wozu Johnson sagte: "Ich war froh, dass wir uns durch den Sport kennengelernt haben und dass wir unsere Herzen füreinander öffneten." Rafer Johnson starb Ende 2020 im Alter von 86 Jahren.

Yu-Hsin Yang