Opposition fordert U-Ausschuss - „Außer Kontrolle“ oder „lobenswert“: So wird Baerbock-Ministerium in Visa-Affäre bewertet

Annalena Baerbock, afghanische Reisepässe in der deutschen Botschaft im pakistanischen Islamabad
Annalena Baerbock, afghanische Reisepässe in der deutschen Botschaft im pakistanischen Islamabad

Die Visa-Affäre im Auswärtigen Amt von Annalena Baerbock spitzt sich zu. Die Ministerin steht in der Kritik. Die Grünen-Politikerin unterschätze die Dimension des Skandals gewaltig, kommentiert etwa die NZZ.

Schleichend wird aus der Visa-Affäre im Außenministerium ein Skandal. Afghanen sollen Visa erhalten haben, trotz ungültiger Pässe. Auch der Vorwurf der Vetternwirtschaft wird nun laut . Mittlerweile ermitteln Staatsanwaltschaften gegen Mitarbeiter   aus dem Auswärtigen Amt (AA).

Der Fall, den FOCUS zuerst enthüllt hatte, wird stetig durch neue mediale Enthüllungen befeuert . Im Zentrum des anschwellenden Sturms steht Außenministerin Annalena Baerbock. Die Kritik an ihr wird schärfer.

NZZ zu Visa-Affäre: Baerbock-Ministerium ist „außer Kontrolle“ geraten

So geht etwa die „ Neue Züricher Zeitung “ (NZZ) hart mit der Grünen-Politikerin ins Gericht. Baerbocks Ministerium sei „außer Kontrolle“ geraten und sie unterschätze die Dimensionen des Skandals gewaltig, kommentiert der NZZ-Autor.

Was er konkret meint: Recherchen haben ergeben, dass sich Baerbock Ende 2022 gegen zusätzliche Sicherheitsbefragungen vor der Ausreise nach Deutschland ausgesprochen hat. Damit sollte verhindert werden, dass das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan ins Stocken gerät. Trotz ungültiger Pässe wurden zahlreiche Visa erteilt und damit das Risiko erhöht, dass Islamisten oder feindliche Agenten ins Land gelangen.

Ein weiterer Aspekt des Skandals betrifft einen Beamten des Auswärtigen Amtes, der mit einer Fachanwältin für Ausländerrecht verheiratet ist. Diese Rechtsanwältin vertrat offenbar afghanische Mandanten bei der Beantragung von Visa und beriet gleichzeitig Botschaftsangehörige. Es besteht der Verdacht, dass sie über ihren Ehemann Zugang zu sensiblen Daten hatte, was auf einen möglichen Interessenkonflikt hindeutet. Baerbocks Behörde hat jedoch bereits erklärt, nach Prüfung des Sachverhalts keinen Interessenkonflikt feststellen zu können.

Vermutung: „Baerbock will möglichst viele Afghanen nach Deutschland einfliegen“

„Alle Vorwürfe bündeln sich zu einer begründeten Vermutung: Annalena Baerbock will möglichst viele Afghanen nach Deutschland einfliegen, und sie ist bereit, zu diesem Zweck das Recht zu dehnen“, schreibt der Autor weiter. Baerbock scheine im Zweifel das Ausreiseinteresse von Afghanen höher zu gewichten als die Sicherheitsinteressen Deutschlands.

Die Ministerin scheine auch deshalb auf die Methode Abstreiten und Aussitzen zu vertrauen, weil sie sich einer pfleglichen Behandlung durch die öffentlich-rechtlichen Medien sicher sein könne, meint der Kommentator. „Wer sich über die Visa-Affäre bei den wichtigsten Nachrichtenformaten von ARD und ZDF, der Tagesschau und den Heute-Sendungen, informieren möchte, sucht vergebens.“ Im Ersten habe man den Skandal bisher nicht für mitteilenswert gehalten; das ZDF berichtete nach ersten Vorwürfen im Frühjahr 2023 in der Sendung „Frontal“.

Gastbeitrag lobt Baerbock für ihre Visa-Politik ausdrücklich “

Eine ganz andere Sicht auf die Lage vertritt der Sozialwissenschaftler Klaus Bachmann in einem Gastbeitrag für die „ Berliner Zeitung “. Der ehemalige Osteuropakorrespondent schreibt: „Ich habe Annalena Baerbock und das Auswärtige Amt schon öfter heftig kritisiert […]. Aber jetzt möchte ich Baerbock für ihre Visa-Politik ein ausdrückliches und genauso heftiges Lob aussprechen.“

Die Visa-Affäre sei das Gegenteil eines Skandals. Zum einen habe Baerbock mit ihrer „laxen Haltung“ genau das Richtige getan, zum anderen zeige das, dass die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik Einfluss auf die Außenpolitik habe, schreibt Bachmann.

Bachmann bezieht sich auf den Rückzug der USA aus Afghanistan und das darauffolgende Chaos. Er betont, dass es unter anderem keinen Evakuierungsplan für die in Afghanistan festsitzenden Deutschen und für sogenannte Ortskräfte gegeben habe, also Afghanen, die in den vergangenen 20 Jahren für deutsche Stellen gearbeitet haben. Um ihnen zu helfen, mussten schnelle, unbürokratische Lösungen her.

Baerbock habe also offenbar genau das getan, was die bundesdeutsche Öffentlichkeit in seltener Eintracht 2021 forderte, argumentiert er. „Sie gab Anweisung, bestimmte Menschen aus Afghanistan auch dann ins Land zu lassen, wenn sie keine gültigen Papiere haben.“

Es gehe also hier um die Frage: „Genau prüfen und eventuell ablehnen und so den grausamen Tod des Antragstellers riskieren oder durchlassen, ihm das Leben retten und so riskieren, dass ein Spion oder ein gefährlicher Islamist nach Deutschland einreist?“

Opposition äußert sich kritisch

Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, bewertet das Verhalten des Ministeriums naturgemäß kritischer. In einem Interview sagte er: „Es handelt sich um strafrechtliche Ermittlungen über Straftaten im großen Stil“, so der CDU-Politiker.

Der Verdacht sei ja nicht aus der Luft gegriffen, und es ist die Aufgabe von Opposition und Medien, das aufzuklären. Er habe nicht das Gefühl, dass die Vorgänge die nötige Aufmerksamkeit erhielten. „Man kann nicht geltendes Recht durch bestimmte politische Ideen ersetzen.“

CDU-Fraktion fordert „klare Verhältnisse“, die AfD den U-Ausschuss

Die CDU-Fraktion will die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses in der Affäre bislang nicht ausschließen. Der innenpolitische Sprecher Alexander Throm (CDU) verlangt von der Ampelregierung, „endlich klare Verhältnisse zu schaffen“.

In der Visa-Affäre würde die Koalition bisher nur „beschönigen, aufschieben, mauern“, was seiner Meinung nach einen Vertuschungsverdacht nahelegen würde, sagte Throm der „ Berliner Zeitung “. Falls sich diese Herangehensweise nicht ändere, ziehe die Union im Bundestag „Mittel der parlamentarischen Aufklärung“ in Betracht.

Throm bekräftigt zudem gegenüber der Zeitung seine Forderung, auch über die konkreten Vorwürfe der Visa-Affäre hinaus das Aufnahmeprogramm Afghanistan unverzüglich einzustellen. Wo „Gefahr für unsere Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden kann, darf nicht einfach weitergemacht werden“.

Die AfD geht einen Schritt weiter und fordert einen Untersuchungsausschuss. Dies erklärte die Rechtsaußenpartei in einer Pressemitteilung am vergangenen Donnerstag. Für die Einrichtung eines solchen Ausschusses sind jedoch die Stimmen von mindestens einem Viertel der Abgeordneten erforderlich.